Luxemburg462 Betroffene an einem Abend: Neue Daten zur Obdachlosigkeit liegen vor – Zahlen auch für Esch

Luxemburg / 462 Betroffene an einem Abend: Neue Daten zur Obdachlosigkeit liegen vor – Zahlen auch für Esch
Wenn Menschen mit ihrem Hab und Gut auf der Straße leben, kann das verschiedene Gründe haben Foto: Editpress/Julien Garroy

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Insgesamt 462 Obdachlose kann man an einem Winterabend in den zwei größten Städten des Landes sowie in der Winteraktion (WAK) schonmal antreffen. Das zeigt ein kürzlich veröffentlichter Bericht. Erstmals liegen nicht nur Zahlen zur Obdachlosigkeit in der Hauptstadt vor – sondern auch zu Esch.

Wie viele Menschen in ganz Luxemburg kein Dach über dem Kopf haben, ist statistisch nicht erfasst. Seit Oktober 2022 werden allerdings Zahlen zu dieser Frage zusammenzutragen. Ein neuer Bericht erschien nun diese Woche. Insgesamt 71 Fachkräfte aus dem sozialen Bereich waren dafür am 14. Dezember des vergangenen Jahres in Luxemburg-Stadt und erstmals auch in Esch sowie in den Räumlichkeiten der „Wanteraktioun“ (WAK) am Findel unterwegs.

Die Erhebung

Am 14. Dezember 2023 (also am Abend, bevor das umstrittene Bettelverbot in der Hauptstadt in Kraft trat) waren Fachkräfte aus dem sozialen Bereich in Luxemburg-Stadt, in Esch und im Gebäude der „Wanteraktioun“ am Findel unterwegs, um die Anzahl an Obdachlosen zu erfassen. 250 waren mit dem Ausfüllen eines Fragebogens einverstanden. In dem Bericht von „Inter-Actions“ und dem Ministerium für Familie, Solidarität, Zusammenleben und Unterbringung von Flüchtlingen wird allerdings auf Folgendes hingewiesen: „Die Zahl der erfassten Personen darf nicht als fixe Anzahl der in Luxemburg lebenden Obdachlosen angesehen werden. Es handelt sich um eine Momentaufnahme der Anzahl an Personen, die auf den Straßen und in Notunterkünften an einem bestimmten Datum und zu bestimmten Uhrzeiten angetroffen wurden.“ Das Dokument ist ein Schritt auf dem Weg zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit, zu der sich Luxemburg mit dem Unterschreiben der Erklärung von Lissabon 2021 verpflichtet hat. Durch das Schaffen einer Europäischen Plattform soll Obdachlosigkeit, so der ambitiöse Plan, bis 2030 der Vergangenheit angehören.

Das Ergebnis: Von 17 Uhr und bis Mitternacht wurden 462 Obdachlose registriert, davon 195 in Luxemburg-Stadt, 39 in Esch und 228 im Gebäude der „Wanteraktion“. Als obdachlos gelten bei der Erhebung Menschen, die in den Straßen beziehungsweise auf öffentlichen Plätzen leben (163 der befragten Personen) oder aber auf das sogenannte „Foyer de nuit“ der WAK (228) oder andere Notunterkünfte (67) zurückgreifen. Hinzu kommen Menschen ohne feste Unterkunft in den Notaufnahmen des „Centre hospitalier de Luxembourg“ (CHL) und „Centre hospitalier Emile Mayrisch“ (CHEM). Am Abend der Befragung im vergangenen Dezember waren es deren vier.

Von 462 Personen füllten 250 einen Testbogen aus und stimmten der Erhebung persönlicher Daten zu. Nicht immer konnten oder wollten sie alles beantworten. Die Antworten auf 26 kurze Fragen zeigen: Fast die Hälfte der Befragten (44.5 Prozent) lebt seit mehr als einem Jahr auf der Straße, bei 19,3 Prozent sind es mehr als fünf Jahre. „Für sie ist es schwierig, die prekäre Situation hinter sich zu lassen, eine feste Unterkunft zu finden und die notwendigen Mittel dafür aufzubringen, um diese langfristig behalten zu können“, heißt es in dem 52 Seiten langen Dokument.

Die Ursachen sind vielfältig

Eins vorneweg: Die große Mehrheit der Befragten will das Leben auf der Straße nicht. So wenden sich 71 Prozent an Sozialdienste, um dauerhaft eine Unterkunft beziehungsweise kurzfristig einen Ort zum Übernachten zu finden. Und ganze 94 Prozent sagen klar „Ja“, wenn sie nach dem Wunsch gefragt werden, die Obdachlosigkeit hinter sich zu lassen. Im Bericht wird darauf hingewiesen, dass manche die Hoffnung verloren haben, zum Verlassen der Straße keine Kraft haben oder sich keine Zukunft vorstellen können.

Hauptgrund für die Obdachlosigkeit: Befragte hatten bei ihrer Ankunft im Land kein Logis und es ist ihnen nicht gelungen, eines zu finden. Weitere Ursachen sind finanzielle Probleme (22 Prozent), Zwangsräumung (14 Prozent), familiäre Trennung (13 Prozent), Verlust der Arbeit beziehungsweise Arbeitslosigkeit (12 Prozent) und Krankheit (6 Prozent). Drogen nannten nur 2 Prozent als Grund. Ganze 26 Prozent gaben noch andere Ursachen an, die vom Warten auf einen Aufenthaltstitel zu nicht näher erläuterten persönlichen Gründen reichen.

Die große Mehrheit der Befragten lebt das ganze Jahr über in Luxemburg. Dies haben in der Hauptstadt 87 Prozent der Teilnehmer an der Erhebung, in Esch 96 Prozent angegeben. In der WAK hingegen ist der Prozentsatz geringer und liegt bei 71 Prozent. Im Bericht kann man dazu lesen: „Dieses Ergebnis muss man mit Vorsicht interpretieren, da es sich dabei auch um Personen handelt, die erst vor kurzem in das Land gekommen sind.“ Denn während in der WAK vor allem Menschen anzutreffen sind, die noch nicht lange in Luxemburg leben, sieht es in der Hauptstadt und in Esch anders aus: Die Mehrheit der Befragten ist seit mehr als fünf Jahren im Land.

Immer mehr junge Menschen betroffen

Doch wer sind die Menschen, die auf der Straße leben? Mehrheitlich sind die Obdachlosen männlich. So wurden 378 Männer, 67 Frauen und 17 Personen mit unbekanntem Geschlecht registriert. Auch die im sozialen Bereich aktiven Dienste stellen im Arbeitsalltag fest, dass vor allem erwachsene Männer kein Dach über dem Kopf haben. Aber, so heißt es in dem Text zur Erhebung: „In der Stadt Luxemburg gibt es im Vergleich zu früheren Ausgaben einen Anstieg der Frauenpräsenz: 22 Prozent im Vergleich zu 15,5 Prozent im Juni 2023.“ Von 462 Personen waren 273 alleine unterwegs, 74 in Gruppen und 20 als Paar.

Das Durchschnittsalter liegt bei fast 40 Jahren. „Allerdings ist ein hoher Anteil von 18- bis 25-Jährigen unter den Obdachlosen zu beobachten, was bislang kein Trend war“, steht in dem Dokument. Von den Befragten haben überdies 48,5 Prozent kein Einkommen. Insgesamt 14,2 Prozent leben vom Betteln, während 12,4 Prozent einer regulären Arbeit nachgehen. Staatliche Unterstützung wie der „Revenu d’inclusion sociale“ (Revis) oder Sozialhilfen (9,9 Prozent) werden erst an vierter Stelle als Einkommensquelle genannt, gefolgt von „Andere“ (4,7 Prozent) auf Platz fünf.

Bei der Frage um ihre Gesundheit gaben 20,6 Prozent an, Depressionen oder andere Probleme mit der mentalen Gesundheit zu haben. „Diese Zahl ist recht hoch und entspricht den Rückmeldungen der Fachkräfte vom Feld, die darauf hinweisen, dass viele Obdachlose unter psychologischen oder psychiatrischen Problemen leiden.“ Seit der ersten Erhebung ist die Anzahl von Betroffenen gestiegen. Der Konsum von Alkohol oder Drogen beeinträchtigt die Gesundheit von 19,7 Prozent der Befragten. Derweil sagen 42,2 Prozent, dass sie gar keine gesundheitlichen Beschwerden haben.

Zählungen in anderen Gemeinden möglich

Der Vergleich mit Erhebungen im Oktober 2022 (197 Betroffene) und im Juni 2023 (193) zeigt, dass die Anzahl an Obdachlosen in Luxemburg-Stadt mit nun 195 kaum variiert. Insgesamt 134 von ihnen wurden auf der Straße angetroffen, 59 in Notunterkünften und zwei im Krankenhaus. Bei der Erhebung in den 24 Vierteln der Hauptstadt fiel auf, dass die meisten Obdachlosen in der Oberstadt sowie im Süden von Bonneweg und im „Garer Quartier“ unterwegs sind: 80 Prozent der Befragten wurden in diesen Vierteln angetroffen. „Basierend auf dieser Momentaufnahme wird das Bahnhofsviertel aber weniger von Obdachlosen aufgesucht als die Oberstadt“, heißt es in dem Bericht.

Mit etwa zehn Personen weniger als noch bei der letzten Zählung ist das Bahnhofsviertel das einzige, in dem die Zahl der Obdachlosen stark zurückgeht. Im südlichen Teil von Bonneweg und der Oberstadt ist sie angestiegen, außerdem in Beggen, in Hollerich und im Grund. In mehr als der Hälfte der 24 Stadtviertel wurden allerdings zumindest an diesem Abend gar keine Menschen ohne feste Unterkunft angetroffen. Viele verlassen dem Bericht zufolge am Ende des Tages auch die Stadt, um ruhigere Orte aufzusuchen. Das zeigt die Erfahrung der Streetwork-Dienste aber auch von benachbarten sowie weiter entfernten Gemeinden von Luxemburg-Stadt. 

In den 18 Vierteln von Esch wurden am 14. Dezember 29 Obdachlose in den Straßen angetroffen: zwölf davon in „Al Esch“ und neun in „Schlassgoart“. In den Stadtteilen „Brill“ und rund um die Universität hielten sich an dem Abend ebenfalls Obdachlose auf und in einem geringeren Ausmaß auch im Viertel „Uecht“. In drei Viertel der 18 Escher Stadtteile waren dagegen keine Betroffenen unterwegs. Anders sah es in den Notunterkünften aus, in denen acht Menschen registriert wurden. Außerdem zwei weitere im Krankenhaus. 

Bei den aktuellen Zahlen soll es nicht bleiben: Zwei weitere Erhebungen sind noch in diesem Jahr geplant. Die erste soll bereits kommende Woche stattfinden und eine weitere ist während der letzten drei Monate von 2024 vorgesehen. Die Befragungsorte werden erneut Luxemburg-Stadt und Esch sein, zusätzlich dann im Winter im WAK-Gebäude.

In dem Bericht heißt es abschließend, dass weitere Zählungen an anderen Orten folgen könnten, wenn Gemeinden dem zustimmen. Das Dokument findet man etwas versteckt auf der Webseite des Ministeriums unter mfsva.gouvernement.lu in der Rubrik „Publications“. 


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