Alain spannt den Bogen: Ein Philharmonie-Abend für Neugierige und Ratefüchse

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Einmal im Jahr präsentieren die Solistes européens Luxembourg (SEL) ein sogenanntes Überraschungskonzert, bei dem Werke erklingen, die im Programm nicht angekündigt und somit vom Publikum blind gehört und erlebt werden. Dieses alljährlich stattfindende Konzert erfreut sich mittlerweile größerer Beliebtheit und zeigt auch, wie sehr das einheimische Publikum den innovativen Wegen der SEL und ihres Chefdirigenten Christoph König vertraut.

Von unserem Korrespondenten Alain Steffen

Beim ersten Teil des Konzertes, das am vergangenen Montag im großen Saal der Philharmonie stattfand, bestand allerdings noch etwas Luft nach oben. Hier erklang das 6. Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven, das nichts anderes ist als eine Transkription des Konzerts für Violine und Orchester. Einem künstlerischen Vergleich mit dem Original hält die Transkription nicht stand. Das Klavier ist hier nur ein sehr schwacher Ersatz für die Violine und auch als 6. Klavierkonzert kann es von der Qualität her nicht mit Beethovens fünf anderen Klavierkonzerten konkurrieren. Etwas seltsam dann auch die Interpretation von Martin Stadtfeld.

Der eigenwillige und wunderbare Bach-Interpret hatte sich eine merkwürdig perkussive Interpretation auf einem ebenso seltsam hell wie auch blechern klingenden Klavier ausgedacht, die mich persönlich nur in der Kadenz (im Zusammenspiel mit dem Paukisten) des ersten Satzes überzeugen konnte. Ich weiß nicht wie, aber irgendwie erschien Stadtfelds Spiel sonst recht manieriert. Manche Noten und Akkorde schien er aus der Substanz heraus lösen zu wollen (ähnlich wie wir das bei Lang Lang, einem Meister der Blendung, kategorisch ablehnen), sodass die, wenn sie von der Violine gespielt wird, wunderbar fließende und sich organisch entwickelnde Musik immer wieder zerstückelt wurde. Christoph König hatte eine eher sichere, bodenständige Begleitung vorbereitet, bei der eigentlich nichts wesentlich schiefgehen konnte.

Recht eigenwillige Interpretation

Und trotzdem hatte man das Gefühl, dass Solist und Orchester nicht immer zusammen waren. Ich habe dann zum Vergleich drei Aufnahmen mit Claire Huangci und Howard Griffith, Olli Mustonen und Jukka Pekka Saraste sowie mit Howard Shelly als Pianist und Dirigent herangezogen, die meinen Eindruck von Stadtfelds recht eigenwilliger und wenig harmonischer Interpretation bestärkten. Die Zugabe einer Toccata von Sergej Prokofjew zeigte dann endlich die Genialität dieses Pianisten. Nur war das an diesem Abend doch etwas zu wenig.

Nach der Pause standen dann zwei Überraschungswerke auf dem Programm. Als Erstes erklang Ludwig van Beethovens eher selten gespielte 1. Symphonie, ein wunderbares Werk, das noch Einflüsse von Haydn und Mozart erkennen lässt, aber schon eine Eroica vorwegnimmt. Dies wurde jedenfalls in Christoph Königs Interpretation deutlich, der die Symphonie sehr ernsthaft mit seinen Musikern vorbereitet hatte und interpretatorisch einen wirklich großartigen Beethoven zeigte.

Die Interpretation lebte vor allem durch die Spielfreude der Musiker und ihre brillantes technisches Könnens. Indem König das Werk ernst nahm und demnach sehr sorgfältig dirigierte, gewann die Symphonie dadurch an Relief, Dynamik und Qualität. Etwas schwieriger zu erraten war das letzte Werk des Abends, nämlich György Ligetis Concert Românesc. Zuerst dachte man wohl an George Enescu und Béla Bartók, denn hier erinnerte vieles an Enescus populäre Rhapsodien und einiges an Bartóks Konzert für Orchester. Der 2006 verstorbene Ligeti komponierte sein Concert Românesc 1951 und verblieb damit musikalisch sehr nahe an der rumänischen Folklore.

Spielfreude, Raffinesse und Brillanz

Über eben genannte Komposition sowie andere Frühwerke aus Ungarn verfasste Ligeti einen Kommentar, welcher später als Einführungstext für das Begleitheft zur CD-Edition bei Teldec Classics (The Ligeti Project II, 8573-88261-2, Hamburg 2002) fungierte. Diesem sind unter anderem folgende Sätze zu entnehmen: „Ich wuchs in Siebenbürgen im ungarischsprachigen Milieu auf. Die Amtssprache war Rumänisch, doch diese Sprache erlernte ich erst im Gymnasium. So hatte die rumänische Sprache, als ich ein Kind war, etwas Geheimnisvolles für mich. Ich begegnete der rumänischen Folklore schon als Dreijähriger. Einmal hörte ich in den Karpaten einen Alphornspieler (…) Das Alphorn klang ganz anders als ,normale‘ Musik (…) 1949, als ich 26 Jahre alt war, erlernte ich das Aufzeichnen von Volksliedern nach Gehör, von Wachsrollen, im Folklore-Institut in Bukarest. Viele Melodien blieben in meinem Gedächtnis haften, daraus entstand 1951 das Rumänische Konzert. Nicht alles ist rumänisch, ich habe auch einiges dazugedichtet (…).“

All dies konnte man sehr gut aus diesem Concert Românesc heraushören, auch die Klänge des Alphorns, hier vom normalen Horn imitiert. Die Interpretation war makellos und von der gleichen Spielfreude, Raffinesse und Brillanz gekennzeichnet wie die Beethoven-Symphonie. Ein SEL-Konzert, von dem uns die zweite Hälfte sicherlich noch lange in Erinnerung bleiben wird.