InterviewAuf Globalisierung folgt Deglobalisierung – „Es gilt, ein neues Gleichgewicht zu finden“

Interview / Auf Globalisierung folgt Deglobalisierung – „Es gilt, ein neues Gleichgewicht zu finden“
Thieß Petersen: „Es gibt immer mehr Strafzölle und andere Handelsbarrieren“ Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Bei ihrem „Frühstück mit Experten“ wollte die Spuerkeess diese Woche das Thema „Zukunft der Globalisierung“ unter die Lupe nehmen. Eingeladen hatte sie unter anderen Thieß Petersen von der Bertelsmann-Stiftung. Das Tageblatt hat sich mit dem Gastredner unterhalten. 

Tageblatt: Wie entwickelt sich die Globalisierung?

Thieß Petersen: Wir sind in eine Phase eingetreten, wo wir eine wachsende Deglobalisierung sehen. Es gibt immer mehr Strafzölle und andere Handelsbarrieren. Bereits seit der Finanzkrise von 2008/2009 geht der Anteil der Exporte/Importe an der Wirtschaftsleistung zurück. Seitdem gibt es immer mehr Protektionismus.

Hat die Globalisierung die ärmeren Entwicklungsstaaten reich gemacht? Oder war es ein System der Ausbeutung ärmerer Länder?

Wir müssen da unterscheiden. In allen teilnehmenden Ländern ist die Wirtschaftsleistung gestiegen. Mit der Globalisierung ist die Armut insgesamt zurückgegangen. Innerhalb der Länder gab es aber auch Verlierer. Das sind vor allem die Geringqualifizierten in den Industrieländern.

Dann lagen die Kritiker der Globalisierung falsch?

Die Geringqualifizierten standen plötzlich im Wettbewerb mit den Arbeitern aus Niedriglohnländern. Sie leiden unter der Konkurrenz. Man hätte sie besser an den allgemeinen Wohlstandsgewinnen beteiligen können. Nicht unbedingt mit Geld, möglicherweise durch das Lehren neuer Qualifikationen.

Nun zur Geopolitik: Ist „Wandel durch Handel“ gescheitert?

Ich befürchte ja. Viele Staaten wollen eigene geopolitische Ziele durchsetzen. Etwa durch Sanktionen und Exportverbote. Das hätte ich vor einigen Jahren noch nicht erwartet. Bei den Auseinandersetzungen zwischen den USA und China beispielsweise geht es nicht um das angeprangerte Defizit in der Handelsbilanz. Es geht um die Technologie-Führerschaft. Sie ist Basis für die wirtschaftliche Stärke, die ihrerseits die Basis für politische Stärke ist. Auch bei der chinesischen „Belt and Road“-Initiative geht es um geopolitische Ziele.

Ist die Globalisierung gescheitert?

Das wäre sehr hart geurteilt. Es hat weniger Kriege gegeben. Der kulturelle Austausch zwischen den Ländern hat das Zusammenwachsen gefördert. Die Idee, dass es wegen Handel nun jedoch keine Kriege mehr geben wird, wurde spätestens durch den russischen Angriff auf die Ukraine widerlegt.

Findet jetzt eine richtige Deglobalisierung statt?

Ich glaube ja. Überall sind Deglobalisierungs-Tendenzen zu erkennen. Auch Europa versucht derzeit ja, die Import-Abhängigkeit von lebenswichtigen Gütern zu senken („Reshoring“). Auch den technologischen Fortschritt setzen wir für diesen Zweck ein: Er sorgt dafür, dass andere Länder ihren Produktionsvorteil – die geringeren Kosten für Arbeit – verlieren.

Diese Entwicklung ist nun jedoch nicht ganz neu. Man konnte sie bereits vor dem Krieg in der Ukraine beobachten: Neben dem Senken der Produktionskosten durch Technologie spielen auch die langen Transportwege und die gestiegenen Löhne in Asien eine Rolle. Der Lohnvorteil des asiatischen Kontinents ist geschrumpft.

Thieß Petersen: „Mit der Globalisierung ist die Armut insgesamt zurückgegangen. Innerhalb der Länder gab es aber auch Verlierer.“
Thieß Petersen: „Mit der Globalisierung ist die Armut insgesamt zurückgegangen. Innerhalb der Länder gab es aber auch Verlierer.“ Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Das alles treibt ja auch die Inflationsrate nach oben. Jahrelang haben billige Importe die Preise niedrig gehalten …

Ja, speziell in Europa. Die Energiepreise steigen, und das wird durch die Schwierigkeiten in den Lieferketten verstärkt. Da erkennen wir heute, wie groß der Vorteil der Globalisierung war. Heute gibt es eine Angebotsverknappung und die Preise steigen.

Ist die Globalisierung jetzt vorbei?

Nein. Sie verändert sich jedoch. Bisher haben wir, wenn wir über „Globalisierung“ geredet haben, eigentlich immer den Handel mit physischen Produkten (Importe und Exporte von Konsum- und Investitionsgütern) im Sinn. Das wird jedoch weiter zurückgehen.

Ansteigen wird jedoch der Handel mit Rohstoffen. Die brauchen die Industrieländer für das „Reshoring“. Auch grenzüberschreitende Kapitalflüsse werden möglicherweise zulegen: Konzerne dürften künftig eigene separate Produktionsstätten in bspw. China und den USA haben – zur Bedienung der jeweiligen Märkte. Das drückt die Transportkosten und wird auch dabei helfen, Importzölle zu umgehen.

Welche Rolle spielt der Kampf gegen den Klimawandel?

Die CO2-Preise werden weiter steigen. Das wird die Transportkosten teurer machen. Bestimmte Formen der internationalen Arbeitsteilung werden so nicht mehr sinnvoll sein. Vielleicht werden aber neue Formen der Arbeitsteilung entstehen: Sonnen- oder windreiche Länder könnten sich z.B. auf die Herstellung erneuerbarer Energie spezialisieren.

Hat das einen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit der Länder?

Länder, die eine sehr energieintensive Industrie haben, etwa in Osteuropa, werden unter einem hohen CO2-Preis leiden. Profitieren dürften hingegen Länder mit einem hohen Dienstleistungsanteil. Auch Länder wie Finnland und Schweden, die bereits Anfang der 90er Jahre Preise für CO2 eingeführt haben, haben jetzt den Vorteil der Erfahrung.

Wo geht der Weg jetzt hin? Abhängigkeiten, Geopolitik. Mehr Globalisierung? Weniger?

Seit dem Krieg in der Ukraine gibt es die Gefahr einer Zweiteilung der Weltwirtschaft: Demokratische und autokratische Staaten, die nur Handel unter sich treiben. Und eine dritte Gruppe, wie etwa Indien, die mit beiden handeln will.

Es gilt, ein neues Gleichgewicht zu finden. Jede Region soll sich auf das konzentrieren, wo sie Wettbewerbsvorteile hat. Dabei gilt es aber gleichfalls, zu versuchen, nicht in extreme Abhängigkeiten zu geraten. Die „Just-in-time“-Lieferungen, wie auch die Tendenz, immer nur nach dem allerbilligsten Preis zu suchen, all das wird zurückgefahren werden müssen.

Was bedeuten diese Entwicklungen für die Beschäftigten?

In den exportorientierten Ländern können Arbeitsplätze unter Druck geraten. Ich glaube, dass die zunehmende Digitalisierung und Robotisierung die Produktionskosten drücken wird, und wir so weniger auf billige Importe angewiesen sein werden. Auch bei der demografischen Alterung der Gesellschaft können Digitalisierung und Robotisierung helfen, um das Problem der fehlenden Fachkräfte besser in den Griff zu kriegen.

… und bei den ursprünglichen Verlierern der Globalisierung?

Die werden auch jetzt nicht zu großen Gewinnern. Einerseits werden sie möglicherweise auf preiswerte Importe verzichten müssen. Andererseits werden sie auch von den vielen neuen Technologien, die in den Einsatz kommen, kaum profitieren können. Da entstehen wohl neue Jobs, aber vor allem für qualifizierte Mitarbeiter.

Entwickeln wir auch neue Wege? Etwa die Kreislaufwirtschaft. Oder ist das alles nur heiße Luft?

Das wird passieren. Vor allem die Kreislaufwirtschaft ist ein zentraler Schlüssel, um die Klimaneutralität herzustellen. Auch die „Sharing Economy“ wird wachsen. Das sind alles wesentliche Faktoren, um den Verbrauch von Ressourcen zu senken.

Zur Person

Thieß Petersen ist Diplom-Volkswirt. Seit 2004 arbeitet er bei der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh. Er ist Spezialist für Themen wie Volkswirtschaft, Globalisierung, Digitalisierung, soziale Marktwirtschaft sowie grünes Wachstum. Nebenberuflich ist er auch Lehrbeauftragter an der Universität in Frankfurt/Oder.

Die Bertelsmann-Stiftung ist mit rund 300 Mitarbeitern eine der größten gemeinnützigen Stiftungen in Deutschland. Sie lebt von den Dividenden ihrer Bertelsmann-Aktien. Zur Unternehmensgruppe Bertelsmann zählen u.a. RTL Group, die Buchverlagsgruppe Penguin Random House und das Musikunternehmen BMG.

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Phil
3. November 2022 - 21.39

@Filet
Stimmt, weil wir dann nämlich alle Looser sind!

Filet de Boeuf
31. Oktober 2022 - 0.30

Sagen wir mal so: Wenn man der Loser im Dorf ist, hat man immerhin noch die Möglichkeit es im Nachbardorf zu versuchen. Mit der Globalisierung gibt es aber kein Nachbardorf mehr.