Analyse„Autoritäre Politiker sind nicht unbesiegbar“: Lehren aus dem Volksaufstand in Bangladesch

Analyse / „Autoritäre Politiker sind nicht unbesiegbar“: Lehren aus dem Volksaufstand in Bangladesch
Bangladesch bleibt unruhig: Am 15. August zogen sonst Regierungsanhänger zum Elternhaus der geschassten Premierministerin Hasina, deren Vater und Unabhängigkeitsheld an jenem Tag im Jahr 1975 ermordet wurde – dieses Jahr blockierten Demonstranten den Weg dorthin Foto: AFP/Luis Tato

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Der Volksaufstand, der die bangladeschische Premierministerin Sheikh Hasina und die von ihrer Partei, der Awami-Liga, gestellte Regierung stürzte, hält wichtige Lehren für die internationale Gemeinschaft und das benachbarte Indien parat, schreibt die indische Ökonomin Jayati Ghosh – und stellt dabei auch die Rolle des Internationalen Währungsfonds infrage.

Während die Unruhen in Bangladesch zweifelsohne durch die repressiven und zunehmend antidemokratischen Taktiken des Regimes angeheizt wurden, wie sie beispielhaft in der brutalen Niederschlagung der größtenteils friedlichen Studentenproteste zum Ausdruck kamen, werden die eigentlichen Ursachen der öffentlichen Unzufriedenheit oft übersehen.

Die Studentenproteste konzentrierten sich zunächst auf die Abschaffung des Quotensystems, das 30 Prozent der Arbeitsplätze bei staatlichen Stellen für Veteranen des bangladeschischen Unabhängigkeitskrieges von 1971 und deren Nachkommen reservierte. Obwohl Hasinas Regierung 2018 per Erlass alle Quoten abschaffte, setzte der High Court sie im Juni dieses Jahres wieder in Kraft. Das löste Massendemonstrationen aus. Einen Monat später schaltete sich der Oberste Gerichtshof ein, hob die Entscheidung der unteren Instanz auf und entschied, dass die Quoten auf fünf Prozent gesenkt und 93 Prozent der Stellen beim Staat auf der Grundlage der Leistung besetzt werden müssten.

Zu diesem Zeitpunkt hatte das brutale Vorgehen der Regierung jedoch bereits mehr als 300 Demonstranten das Leben gekostet, darunter auch den Studentenaktivisten Abu Sayed, was zu öffentlicher Empörung und Forderungen nach Hasinas Rücktritt führte. Am 5. August trat Hasina zurück und floh nach Indien, nachdem das Militär die Forderung der Premierministerin nach noch härteren Maßnahmen abgelehnt hatte.

Hasinas autoritäre Tendenzen überschatteten letztlich ihre wirtschaftlichen Erfolge

Die traurige Ironie ist, dass Hasina – die Tochter des ersten Präsidenten von Bangladesch, Sheikh Mujibur Rahman – einst selbst eine Studentenführerin und pro-demokratische Aktivistin war, die sich gegen ein Militärregime stellte. Während ihrer vier Amtszeiten als Premierministerin gab es einen bemerkenswerten wirtschaftlichen Wandel, der durch einen dramatischen Anstieg der Bekleidungsexporte und umfangreiche Investitionen in die Infrastruktur vorangetrieben wurde, die auch zu einem starken Anstieg der Erwerbstätigkeit von Frauen führten. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde die Armutsrate halbiert, und das BIP pro Kopf des Landes (in aktuellen US-Dollar) übertraf 2019 das von Indien. Das Land dürfte 2026 den Status eines „am wenigsten entwickelten Landes“ abschütteln.

Doch Hasinas autoritäre Tendenzen überschatteten letztlich ihre wirtschaftlichen Erfolge. Die Hinrichtung angeblicher „Extremisten“ sowie die Verhaftungen und das Verschwinden von Anwälten, Journalisten und Aktivisten für die Rechte indigener Völker, die die Regierung zu kritisieren wagten, schufen ein Klima der Angst, das sich während der Wahlen 2018 noch verstärkte.

Die Wahlen 2024 waren reiner Schwindel

Die auf eine weitere Aushöhlung der demokratischen Institutionen Bangladeschs folgenden Wahlen 2024 waren reiner Schwindel. Da die meisten Oppositionsparteien die Wahl entweder boykottierten oder faktisch von der Teilnahme ausgeschlossen wurden, gewann Hasina eine überwältigende Mehrheit und sicherte sich eine vierte Amtszeit in Folge. Trotz der mangelnden Legitimität ihrer Regierung in der Bevölkerung wurde das Ergebnis rasch von Indien und anderen Großmächten anerkannt.

Auch die stotternde Wirtschaft des Landes spielte eine entscheidende Rolle bei den jüngsten Aufständen. In den letzten zehn Jahren haben die zunehmende Ungleichheit und der Anstieg der Arbeitslosigkeit sowie die steil gestiegenen Preise für lebenswichtige Güter die Wut der Bevölkerung über Vetternwirtschaft und zügellose Korruption noch verstärkt. Die hartnäckige Weigerung der Regierung, diese Probleme anzugehen oder auch nur anzuerkennen, verschärfte die Stimmung in der Bevölkerung weiter.

Eine wichtige Lehre aus den Erfahrungen Bangladeschs ist, dass ein starkes BIP-Wachstum und robuste Exporte allein nicht für breiten Wohlstand sorgen können. Wenn das Wirtschaftswachstum primär denen ganz oben zugutekommt, sehen die meisten Bürger kaum Verbesserungen oder sind sogar noch schlechter dran, was ihre steigenden Erwartungen enttäuscht und die Notwendigkeit einer gerechteren Verteilung von Wohlstand und Einkommen unterstreicht.

Eine weitere wichtige Lehre ist, dass Beschäftigung wichtig ist. Dies umfasst die Schaffung von Arbeitsplätzen, insbesondere für junge Menschen, aber auch die Gewährleistung fairer Löhne und menschenwürdiger Arbeitsbedingungen. Wenn die Einkommen der meisten Menschen stagnieren oder sinken, neigt die Bevölkerung dazu, den Glauben an die offiziellen Darstellungen wirtschaftlicher Dynamik zu verlieren.

Die Regierung des indischen Premierministers Narendra Modi täte gut daran, diese Lehren zu beherzigen, denn auch in Indien herrschen eklatante Ungleichheiten bei Einkommen, Vermögen und Chancen. Bangladesch sollte aber auch eine Warnung für internationale Organisationen und externe Beobachter sein, die sich oft zu sehr von aggregierten Wachstumszahlen und der Offenheit für ausländische Investoren beeinflussen lassen.

Von Analysten häufig übersehen wird die Rolle des Internationalen Währungsfonds bei den jüngsten wirtschaftlichen Schwierigkeiten Bangladeschs. Im Jahr 2023 erhielt Bangladesch ein Rettungspaket in Höhe von 4,7 Milliarden US-Dollar vom IWF – ein Schritt, der nach Ansicht einiger Beobachter unnötig war. Diese Mittel sollten ursprünglich dazu dienen, die durch den Covid-19-Schock und den weltweiten Anstieg der Lebensmittel- und Kraftstoffpreise aufgebrauchten Devisenreserven des Landes aufzustocken. Die an das IWF-Darlehen geknüpften Bedingungen, zu denen auch eine größere Wechselkursflexibilität gehörte, führten jedoch zu einer drastischen Abwertung des bangladeschischen Taka und zur Einführung einer neuen Preispolitik für Erdölprodukte, die beide einen starken Anstieg der Inflation im Lande auslösten.

Der IWF verlangte zudem, dass Bangladesch sein Haushaltsdefizit reduzieren müsse. Dies führte zu Haushaltskürzungen mit Folgen für wesentliche öffentliche Dienstleistungen, darunter wichtige Sozialprogramme. Derweil straffte die Zentralbank ihre Geldpolitik und erhöhte die Zinssätze, um die Inflation einzudämmen, was enormen Druck auf kleine und mittlere Unternehmen ausübte und die Beschäftigungskrise verschärfte. Im Juni genehmigte der IWF die dritte Tranche des Kredits in Höhe von 1,2 Milliarden US-Dollar und stellte 33 neue Bedingungen, die Bangladesch erfüllen muss, um die restlichen Auszahlungen zu erhalten.

Autoritäre Politiker sind nicht unbesiegbar

Diese Maßnahmen sollen angeblich die wirtschaftliche „Effizienz“ steigern und das Vertrauen der Investoren stärken. Doch zeigt die Geschichte, dass das höchst unwahrscheinlich ist. Die vom IWF propagierte Sparpolitik hat in den Entwicklungsländern im Gegenteil zu wirtschaftlicher Unsicherheit und öffentlicher Wut geführt. Die Massenproteste und politische Instabilität, die Länder wie Kenia, Nigeria und Ghana – die sämtlich IWF-Programme umgesetzt haben – erschütterten, unterstreichen die dringende Notwendigkeit, dass der Fonds seinen Ansatz überdenkt.

Die wichtigste politische Lehre ist an dieser Stelle jedoch, dass autoritäre Politiker wie Hasina nicht unbesiegbar sind. Sie mögen demokratische Proteste unterdrücken, die Medien mundtot machen, unabhängige Institutionen untergraben und versuchen, die Justiz zu kontrollieren, aber sie können nicht unbegrenzt an der Macht bleiben. Je rücksichtsloser derartige Regime werden, desto mehr riskieren sie eine Gegenreaktion der Bevölkerung.

Der Sturz Hasinas sollte daher ein Weckruf für Modi sein, einen engen Verbündeten mit eigenen autoritären Tendenzen. Auch die Staats- und Regierungschefs in anderen Teilen der Welt sollten zur Kenntnis nehmen, dass die langfristigen Kosten einer geopolitisch begründeten Zusammenarbeit mit undemokratischen Regimen oft die kurzfristigen Vorteile überwiegen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

* Jayati Ghosh ist Professorin für Volkswirtschaft an der University of Massachusetts in Amherst und Mitglied der Transformational Economics Commission des Club of Rome sowie Co-Vorsitzende der Unabhängigen Kommission für die Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung (ICRICT).

Copyright: Project Syndicate, 2024.
www.project-syndicate.org

JJ
16. August 2024 - 14.42

Man stelle sich Russland oder Nord Korea vor mit einer Bevölkerung die nicht mitmacht. "Wir sind das Volk " funktioniert.