OlympiaCOSL-Missionschef Raymond Conzemius über Erwartungen, Professionalisierung und seine Rolle

Olympia / COSL-Missionschef Raymond Conzemius über Erwartungen, Professionalisierung und seine Rolle
Zum ersten Mal wird Raymond Conzemius Team Lëtzebuerg bei Olympischen Spielen als Missionschef anführen Foto: Editpress/Julien Garroy

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Vor drei Jahren bei den Olympischen Spielen in Tokio hat Raymond Conzemius noch eine Beobachterrolle eingenommen. In Paris führt der Technische Direktor des COSL, der diesen Posten im April 2022 von Heinz Thews übernommen hatte, Team Lëtzebuerg nun erstmals beim größten Multisportevent der Welt als „Chef de mission“ an. Dem Tageblatt verriet er, wie die Zielsetzung der luxemburgischen Delegation aussieht, wem er das beste Resultat zutraut und warum er vielleicht sogar ein wenig enttäuscht ist. 

Tageblatt: Am Freitag geht es endlich richtig los. Wie haben Sie die letzten Wochen erlebt, bis die endgültige Delegation des Teams endlich feststand? 

Raymond Conzemius: Man hat bis zum Schluss gehofft und eigentlich sind wir ja schon etwas enttäuscht, dass es schlussendlich nur 13 Athleten geworden sind. Charel (Grethen) ist zum Schluss ja doch noch auf drei Punkte herangerutscht. Aber vor allem tut es mir für Charline (Mathias) leid, weil sie einfach vom Leistungsniveau her absolut dorthin gehört hätte. Wenn man dann noch bedenkt, dass auch Gregor (Payet) knapp nicht hineingekommen ist, dann wären 15 sicherlich keine Utopie gewesen. Vor einem Jahr haben die Leute noch gegrinst, als ich von 15 Athleten geredet habe. Einmal sagte jemand zu mir, wir sind jetzt nur bei vier, wie möchtest du überhaupt auf zehn kommen? Das war vielleicht aber auch eine Sache von Information. (lacht)

Dennoch ist es wieder eine kleine Steigerung, ein Athlet mehr als noch in Tokio … 

Vor allem mit all den Athleten, die nah dran waren. Da ist ja auch noch Victor Bettendorff (der Reiter zog sich selbst zurück, Anm. d. Red.) oder Rémi Fabiani, der genauso dorthin gehört hätte wie ein Ralph Daleiden. Mit 13 sind wir zufrieden, aber eigentlich ist es nicht vermessen zu sagen, wir hätten gut auch 15 sein können, das wäre noch einmal ein neues Niveau an „Support“-Möglichkeiten gewesen. Doch man muss auch sagen, vor einigen Jahren haben wir noch auf zehn gehofft, jetzt hoffen wir schon auf 15. 

Mit vier Athleten gab es die höchste Anzahl an Qualifikationen in der Leichtathletik. Sind Sie überrascht über die Entwicklung hier in den vergangenen Jahren?

Den Sprung, den Patrizia (van der Weken) gemacht hat, hätte man vor zwei Jahren eher nicht erwartet – damals hat man zu einem gewissen Moment sogar gehofft, dass sie es schafft, im Elitekader zu bleiben. Bob (Bertemes) hat man gekannt und Vera (Hoffmann) hat ebenfalls eine schöne Entwicklung hinter sich. Dieses World-Ranking-System hilft uns ein wenig, aber es ist kein dramatischer Effekt, weil die anderen Länder auch diese Möglichkeit haben. Je nachdem, welcher Kontinent man ist, hat man es zudem einfacher als wir. Das ist auch im Tischtennis der Fall, diese Quota-Plätze sind nicht unbedingt fair aufgeteilt zwischen den Kontinenten und da sind wir oft im Nachteil. Es sind ganz viele einzelne Fälle, das System hat aber einzelnen Leuten eine Möglichkeit gegeben. Dass Charline wieder im Rennen war oder dass es Ruben Querinjean noch geschafft hat.

Ist er für Sie die Überraschung dieser Delegation?

Jeder weiß, dass er ein enormes Talent ist, mit seiner Verletzung hatte man ihn aber fast schon abgeschrieben. Wenn man mich gefragt hätte, ob eine Überraschung kommen würde, hätte ich mich bei Ruben und Pit Klein geirrt (lacht). Sie waren aber beide auf der Longlist, also auf dem Radar. Die Unterstützung war jedenfalls da, wir wussten, wo sie dran sind, es war nur nicht so, dass man noch dachte, dass sie die Norm schaffen würden. 

Wir gehen nicht mit der Erwartung einer Medaille rein, das ist kein Thema. Wir hoffen aber schon auf die eine Top-10- oder -15-Platzierung.

Wem traut der Missionschef denn für Paris die beste Leistung zu?

Jeanne Lehair muss man da nennen und Patrizia, mit ihrer Leistung bei der Diamond League ist sie noch einmal auf einem ganz anderen Niveau. Doch wir wissen auch, wie teuer ein 100-Meter-Finale bei Olympia zu kaufen ist. Es wäre vermessen zu sagen, sie müsste in ein Finale kommen. Aber auch unsere Radfahrer, bei einem Rennen, das atypisch werden wird, mit einem kleineren Feld und zwei Leuten, die eine gewisse Erfahrung haben. Für Bob Bertemes wäre ein Finale die Krönung einer richtig guten Karriere. Im Bogenschießen hatte Pit Klein in den letzten Wochen ebenfalls gute Ergebnisse. Wir haben schon eine Reihe an Leuten, von denen man hofft, dass sie gute Resultate machen können, wenn sie es schaffen, ihre Leistung abzurufen.

Wie würden Sie die Zielsetzung des Teams Lëtzebuerg genau definieren?

Ich glaube, dass die kritische Masse einfach zu klein ist, um A mit B verlgeichen zu können. Tokio mit Paris oder eine Entwicklung zu messen, ist dann sehr schwer. Für die European Games habe ich eine Bilanz erstellt, in der ich jeden Athleten mit seinem Potenzial und dem, was er dort geleistet hat, verglichen habe. War er im Soll? Hat er sich übertroffen oder war es weniger? In Krakau lautet eine Kritik, dass es zu viele Leute gab, die nicht an ihr normales Leistungsniveau herangekommen sind, sodass ich mir wünschen würde, dass die Mehrheit unserer Sportler in Paris ihre Leistung abrufen und auch zwei, drei oder vier ihr Soll übertreffen können. Dieser Vergleich hat mir gefallen, weil er versucht, objektiv zu sein: Was kann der Sportler? Was hat er dort abgerufen? Das war eine Diskussion, die wir nach Krakau hatten. Haben sich die Leute richtig vorbereitet auf diesen Moment, war das alles? Das war nicht der Fall, weil Krakau nicht in die Planung von jedem gepasst hat, weil es nicht den Stellenwert für jeden in der Saison hatte. Olympia hat die größte Bedeutung, sodass man hofft, dass sie ihre beste Leistung dort abrufen können. Das sollte der Mehrheit der Sportler auch gelingen. Wir gehen nicht mit der Erwartung einer Medaille rein, das ist kein Thema. Wir hoffen aber schon auf die eine Top-10- oder -15-Platzierung. 

Wie nah ist der „Chef de mission“ eigentlich an den Sportlern dran?

Ich habe das Organigramm umgestellt, um der Rolle, die ich auch als Sportdirektor des COSL habe, gerechter zu werden. Wir haben eher eine Koordinationsrolle und nah am Athleten sind dann der Trainer und der „Support“, die Kollegen des LIHPS (Luxembourg Institute for High Performance in Sports). Jetzt ist es aber auch so, dass ich die meisten schon aus dem „Sportlycée“ und von Tokio kenne. Ich bin damit schon nah, was das Interesse und den persönlichen Kontakt betrifft, doch in Paris ist die Rolle schon etwas mehr im Hintergrund. Meine Rolle ist, zusammengefasst, eher koordinieren und bestenfalls nur observieren. Die Routinen nicht brechen ist eigentlich unser Motto. Eine Diskussion ist auch, wer direkt am Athleten dran ist: Kiné, Trainer, der Arzt ist da auch schon einen Schritt weiter weg. Wir haben ja auch einen Mental Coach, zeitweise eine Ernährungsberaterin dabei. Das heißt aber nicht, dass zehn Leute am Athleten hängen, nur weil wir mehr vor Ort haben. Das LIHPS hat ja die Gewohnheit, schon so zu funktionieren. Frédéric Margue (Head of Performance des LIHPS, Anm. d. Red.) hat uns eine Bilanz ihrer Unterstützung gemacht, der Sportler, die nach Paris gehen. Da ist schon viel passiert, sodass es im Austauch mit dem Athleten, mit den verschiedenen Services, schon eine gewisse Routine gibt.

Ein Sportler plus drei Betreuer, das ist aber der Schlüssel, den man heutzutage braucht

Man hat das Gefühl, dass sich in den vergangenen Jahren vieles professionalisiert hat.

Deswegen waren wir froh, als Frédéric diese Bilanz gemacht hat, weil man sieht, dass die Sachen auf einmal zusammenlaufen. Vor zwei Jahren hätte man gesagt: Komm, wir warten noch, damit zu sagen, dass die Struktur LIHPS einen Einfluss auf einen Sportler für Paris hat. Der erste Einfluss ist auf jeden Fall der Sportler und der Trainer selbst. Doch man muss trotzdem sagen können, dass sich so einiges um den Sportler herum getan hat. Es hat sich ein Kontext etabliert, in dem er sich optimal entwickeln kann. In den letzten zwei Jahren hat sich hier noch einmal etwas getan. Wir haben viel Austausch mit den Verbänden, Trainern, das LIHPS mit den Sportlern, wir mit der Projekt-Herangehensweise, die wir implementieren wollen. Dass auch eine berufliche Perspektive besteht, da kommt man mehr in den Austausch mit den Sportlern, stellt Fragen. Sowohl vom LIHPS her als auch von uns aus gibt es die gleiche Philosophie und die Sportler nehmen das auch an.

Im Ausland ist das ja auch nicht anders.

Wir versuchen, mit den anderen Ländern mitzuhalten, die kommen sogar mit ihren eigenen Matratzen nach Paris. Wir können nicht sagen, dass wir vom Trainer und den Athleten erwarten, alles richtig zu machen, und wir machen eine Ferienreise. Das ist für mich das Wichtigste, dass das Verständnis für die Notwendigkeit da ist, warum jetzt so viele Betreuer in Paris dabei sind. Es ist so, dass wir auf dem höchsten Niveau mithalten wollen und es notwendig ist, dass heute ein Mental Coach in der Gegend ist, eine Ernährungsberaterin, Physiotherapeuten, dass Osteopathen ein Thema werden. Performance Manager sind Sportwissenschaftler, das braucht man, das kann nicht der COSL-Sportdirektor so in einer „All-in-one-Funktion“ machen, das ist nicht mehr zeitgemäß. Ein Sportler plus drei Betreuer, das ist aber der Schlüssel, den man heutzutage braucht. 

Gibt es eine Sportart, einen Wettbewerb, auf den sich der Missionschef besonders freut?

Ich persönlich habe gar kein Bedürfnis, irgendetwas Bestimmtes anzuschauen. Ich bin jetzt kein Fan von einer gewissen Sportart, bin da eher global interessiert, bin eher emotional betroffen, wenn man Patrizia sieht oder sieht, wie sich Pit qualifiziert hat, dann bin ich auf einmal Fan von Bogenschießen. Dass ich mich für Leichtathletik interessiere, ist ja logisch. Ich freue mich vielleicht noch auf Tamberi im Hochsprung (Conzemius hält noch immer den Landesrekord in dieser Disziplin, Anm. d. Red.). Gerne würde ich auch mal eine Kollektivsportart anschauen, ich finde zudem die neuen Sportarten mega spannend. In Tokio habe ich Skateboard gesehen. Ich bin nicht auf etwas Bestimmtes aus, aber es werden sich bestimmt Momente ergeben. Meine größte Hoffnung ist, dass ich diese vier Wochen mitbekomme und genießen kann, dass man nicht auf einmal in den Seilen hängt von Müdigkeit. Frank Muller hat häufiger gesagt, dass wir auch auf unser persönliches Wohlbefinden achten sollen, dass auch wir Phasen haben, in denen man sich erholen kann. 

13

Mit 13 Athleten tritt das Team Lëtzebuerg bei den 33. Olympischen Spielen in Paris an. So viele Athleten hat das Luxemburgische Olympische Komitee in den letzten 50 Jahren nur einmal zu Sommerspielen geschickt, 2008 in Peking waren es ebenfalls 13. 

4

Für Raymond Conzemius sind die Sommerspiele in Paris die vierten, zu denen er einen besonderen Bezug hat. Der ehemalige Hochspringer nennt Los Angeles 1984, als er als Nachwuchssportler am Olympischen Jugendlager teilnahm. Dann Atlanta 1996, als er sportlich auf einem guten Weg war, sich aber verletzte. Seine ersten Olympischen Spiele in den Reihen des COSL waren die Covid-Spiele 2021 in Tokio. Damals reiste er als Stellvertretender Missionschef mit und war eher in einer Beobachterrolle. Umso mehr freut er sich nun auf Paris, sein erstes Olympia in der Funktion des „Chef de mission“, eine Rolle, die bis zu den Winterspielen vor zwei Jahren in Peking Heinz Thews ausgeführt hat. „Das ist noch einmal eine ganz andere Liga, auch weil Paris so nah dran ist und wir erstmals die ,Maison de Luxembourg‘ haben. Viele Luxemburger werden hinüberreisen und auch Familie und Freunde der Sportler werden nach Paris kommen.“