Vor Gran CanariaDer Tod eines Flüchtlingskindes bewegt Spanien

Vor Gran Canaria / Der Tod eines Flüchtlingskindes bewegt Spanien
Migranten kommen mit einem Boot des spanischen Seerettungsdienstes am Hafen El Hierro an Foto: Europa Press Canarias/EUROPA PRESS/dpa

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

„Unbekannter Immigrant – Ruhe in Frieden“, steht auf immer mehr Grabtafeln auf den Friedhöfen der Kanarischen Inseln. In den dazugehörigen Gräbern liegen die sterblichen Überreste von Bootsflüchtlingen, die den gefährlichen Seeweg von Westafrika zu den Kanaren nicht überlebten und nur noch tot geborgen werden können.

Viele dieser Opfer können nicht identifiziert werden. Weil sie keine Papiere bei sich tragen oder diese auf ihrer Odyssee Richtung Europa verloren haben. Hunderte solcher anonymen Gräber gibt es inzwischen auf den Friedhöfen Gran Canarias, Teneriffas, Fuerteventuras oder auf El Hierro. El Hierro ist die kleinste Kanareninsel, auf der momentan die meisten afrikanischen Migranten landen.

Doch dieser Tage wurde unter großer öffentlicher Anteilnahme ein kleines Flüchtlingskind auf der bekannten spanischen Urlaubsinsel Gran Canaria beerdigt, dessen Identifizierung gelungen war. Es handelte sich um einen vierjährigen Jungen aus dem westafrikanischen Armutsland Elfenbeinküste, dessen Schicksal die Menschen auf den Kanaren und in ganz Spanien bewegte.

In dem kleinen weißen Sarg, den der Bürgermeister der Gran-Canaria-Stadt Telde und der katholische Gemeindepastor gemeinsam mit anderen Bürgern zu Grabe trugen, ruhte die Leiche von Moisés. Der Vierjährige starb, als das Migrantenboot, in dem er und 59 weitere Menschen sich befanden, auf dem Weg zu den Kanarischen Inseln sank. Nur 24 der Bootsinsassen konnten lebend gerettet werden.

„Er stieg in den Himmel auf“, steht nun auf Moisés’ grauer Grabplatte. Moisés saß, wie immer mehr Kinder und Jugendliche aus den afrikanischen Krisenländern, unbegleitet, also ohne seine Eltern, in jenem wackeligen Boot, das ihn über den Atlantik nach Europa bringen sollte. Seine Mutter Charlotte hatte ihn an der Küste der von Marokko besetzten Westsahara in diesen Kahn gesetzt. Ein Akt der Verzweiflung. Aber für die Mutter verbunden mit der Hoffnung, dass wenigstens ihr kleiner Sohn einmal eine bessere Zukunft haben solle. Rund zehn Prozent aller an Spaniens Küsten ankommenden Flüchtlinge sind inzwischen Kinder und minderjährige Jugendliche.

In einem bewegenden Brief, der bei der Beerdigung verlesen wurde, erinnerte die Mutter an einen Wunsch ihres verlorenen Sohnes Moisés: „Du hattest mir gesagt: Mama, ich will in die Schule gehen. Und ich versicherte dir: Wenn du in Spanien ankommst, dann wirst du in die Schule gehen.“ Die Analphabetenrate in Moisés‘ Heimat ist hoch, vor allem in der ländlichen Region – jedes zweite Kind geht nicht zur Schule. In Spanien wäre Moisés der Schulbesuch gesichert gewesen. Minderjährige werden grundsätzlich nicht in ihr Heimatland abgeschoben. Aber Moisés kam nie in Spanien an. „Moisés, verzeih mir“, schrieb seine Mutter Charlotte. „Ich liebe dich. Aber mein Herz ist gebrochen.“

Atlantikroute ist gefährlichste der Welt

Die tödliche Tragödie im Atlantik ereignete sich bereits vor einem Jahr, im Juni 2023. Aber die Beisetzung fand erst jetzt statt. Moisés Leiche war damals vom spanischen Seenotrettungsdienst nach Gran Canaria gebracht worden. Dort wurde sie im Kühlhaus des Forensischen Instituts aufbewahrt. Die Identifizierung, die Prüfung einer möglichen Überführung des Sarges in die Heimat und die Erledigung der Beerdigungsbürokratie dauerte Monate.

Auf den Kanarischen Inseln kommen derzeit so viele Bootsflüchtlinge an, wie noch nie zuvor. Seit Anfang des Jahres wurden bereits mehr als 19.000 Schutzsuchende auf den Urlaubsinseln gezählt – gegenüber dem Vorjahr ein Anstieg um 120 Prozent. Die Atlantikroute von der westafrikanischen Küste zu den Kanaren gilt als die gefährlichste der Welt. Schätzungen von Behörden und Hilfsorganisationen zufolge überleben 20-25 Prozent der Menschen, die in Westafrika in die Boote steigen, die Fahrt nicht. Allein 2024 könnten demzufolge vor den Kanaren bereits mehrere tausend Menschen ertrunken sein.

In ganz Spanien kamen nach Angaben des spanischen Innenministeriums seit Januar bereits mehr als 24.000 irreguläre Einwanderer per Boot über den Atlantik oder übers Mittelmeer. Wenn sich diese Tendenz fortsetzt, könnte Spanien im Laufe des Jahres Italien als südeuropäisches Hauptziel der Bootsmigranten ablösen.