GroßbritannienDie neue Labour-Regierung legt Gesetzgebungsprogramm vor

Großbritannien / Die neue Labour-Regierung legt Gesetzgebungsprogramm vor
Keir Starmers Regierungsprogramm wird am Mittwoch von König Charles im Parlament vorgetragen Foto: Benjamin Cremel/Pool/AFP

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Farbenfrohes Spektakel für Touristen, wichtiger Meilenstein für Premierminister Keir Starmer: An diesem Mittwoch legt König Charles III. den kurzen Weg vom Buckingham-Palast zum Palast von Westminster zurück und eröffnet die erste Session der neuen Legislaturperiode. Fragen und Antworten zum Tag und dem ehrgeizigen Gesetzgebungsprogramm der neuen Labour-Regierung.

Auf der Insel geht nicht wie anderswo einfach der Regierungschef ins Parlament und trägt sein Programm vor. Vielmehr bedarf es dafür eines „King’s Speech“: Der Monarch trägt vor, was sich „die Regierung Seiner Majestät“ für die kommenden Monate vorgenommen hat. Dabei ist jedes i-Tüpfelchen aus der Downing Street vorgeschrieben, mag das jeweilige Vorhaben dem Staatsoberhaupt auch noch so widerstreben. So musste Charles III. im vergangenen Jahr die Vergabe neuer Lizenzen für die Öl- und Gasförderung in der Nordsee verkünden, was dem altgedienten Ökologen gewiss widerstrebte. Dabei bewies der 75-Jährige, dass er Stimme und Gesichtszüge ähnlich gut unter Kontrolle halten kann wie seine 2022 verstorbene Mutter Elizabeth II. (damals natürlich: „Queen’s Speech“).

Eine weitere hübsche Tradition entzückt die Touristen: Mindestens im feinen Bentley, meist aber in einer goldverzierten Kutsche legen Charles und Camilla die anderthalb Kilometer quer durch London zurück, dabei begleitet von Hunderten von Soldaten zu Pferd und gewaltigen Blaskapellen. Man darf gespannt sein, ob ein Parlamentsvertreter öffentlich der Königin zu deren 77. Geburtstag gratulieren wird.

Welche Schwerpunkte will Starmer setzen? „Veränderung wird kommen, aber mit unterschiedlicher Geschwindigkeit“, hat der Sozialdemokrat gesagt. Drei Komplexe dürften unter den rund 35 Gesetzesvorhaben im Vordergrund stehen: die Beschleunigung von Planfeststellungsverfahren, die der Ankurbelung der Wirtschaft dienen soll; die Abgabe von Kompetenzen an die englischen Regionen; sowie eine umfassende Reform der Strafjustiz.

Das Strafrecht sowie die Haftbedingungen sind auf der Insel traditionell auf Rache und Strafe ausgerichtet, die Wiedereingliederung Straffälliger in die Gesellschaft genießt wenig Priorität. Die konservative Vorgängerregierung hatte erst im vergangenen November ein Gesetz auf den Weg gebracht, das lebenslange Freiheitsstrafen ohne jede Chance auf vorzeitige Entlassung für Sexualmörder, Vergewaltiger und Terroristen vorsah.

Strafjustiz soll reformiert werden

Dabei sind die Gefängnisse des Landes schon jetzt total überfüllt, worauf Premier Starmer und die neue Justizministerin Shabana Mahmood vergangene Woche hinwiesen: „Die Strafjustiz steht vor dem Kollaps.“ Mahmood will deshalb die Strafverbüßung für verurteilte Diebe und Betrüger, die ordentliches Verhalten an den Tag legen, von 50 auf 40 Prozent senken. Dadurch würden rund 10.000 Knastplätze frei.

Vize-Premierministerin Angela Rayner forderte zu Wochenbeginn die Verantwortlichen der Regionen Englands zu neuen Absprachen mit der Zentralregierung auf. Die Grundlage dafür bietet ein Gesetz mit dem provokativen Titel „Take Back Control“, also die Kontrolle wiedergewinnen. Unter diesem Slogan waren die Brexit-Befürworter ins EU-Referendum gezogen. Nach dem Austritt aus dem Brüsseler Club beklagten Regionalpolitiker häufig, die Zentralisierung des Königreichs sei nun noch stärker als zuvor.

Ein ganzer Strauß von Gesetzen soll die Wirtschaft ankurbeln sowie den Bau von mehr Wohnungen und neue Investitionen in die Energie-Infrastruktur ermöglichen. Bereits vergangene Woche hob Energieminister Edward Miliband das Verbot für neue Windräder im Land auf. Zur Sicherung der Stromversorgung werden in den nächsten Jahren eine Vielzahl riesiger Pylone gebraucht; um deren Bau dürfte es vor Ort heftige Auseinandersetzungen geben, ganz egal, ob die neuen Gesetze zur Verschlankung der Planfeststellungsverfahren greifen oder nicht.

Weitere Gesetzesprojekte

Wie im Wahlprogramm versprochen will Labour die letzten 92 Erblords aus dem Oberhaus entfernen. Die Rede war auch von einer neuen Altersgrenze von 80 Jahren für die Mitgliedschaft in der zweiten Parlamentskammer; dazu soll es nun aber zunächst eine Konsultation geben. Das „schönste Altenheim des Landes“, wie der verblichene Labour-Lord Frank Longford einst scherzte, weist viele Frauen und Männer auf, die in ihren jeweiligen Spezialgebieten zu den Topkräften gehörten und auch im höheren Alter noch wichtige Beiträge leisten.

Die unabhängige Budgetbehörde OBR soll erweiterte Vollmachten erhalten – eine Reaktion auf die Kaltstellung der OBR-Fachleute durch die Katastrophen-Premierministerin Liz Truss. Angestellte in prekären Jobs dürfen sich auf größere Jobsicherheit freuen; insbesondere will Labour die Praxis verbieten, dass Unternehmen ihre Leute entlassen und zu niedrigeren Tarifen sofort wieder einstellen. Ein derartiger Vorgang beim Fährunternehmen P&O hatte 2022 für Empörung gesorgt. Geplant ist auch ein Gesetz zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz (KI). Während die Vorgängerregierung statt gesetzlicher Regelungen auf die Selbstbeschränkung der Branche setzte, ist das EU-Parlament im März den Gesetzesweg gegangen. Daran dürfte sich Wissenschaftsminister Peter Kyle orientieren.

JJ
17. Juli 2024 - 8.23

Pomp and Circumstance. Na ja,wenn's denn hilft. Aber eine " neue Altersgrenze von 80 Jahren " wäre doch auch eine gute Regel für Präsidenten und Päpste die in ihren Spezialgebieten zu den Topkräften gehören.( sic )