ForumDie US-Außenpolitik im Jahr 2025

Forum / Die US-Außenpolitik im Jahr 2025
  Foto: dpa/Kay Nietfeld

Angesichts der bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen fragen sich viele, welche Bedeutung sie für die amerikanische Außenpolitik haben werden. Die Antwort darauf ist von Unsicherheit geprägt.

Zunächst stellt sich die Frage: Wer wird die Wahl gewinnen? Zu Sommerbeginn sahen die Umfragen Donald Trump weit vor Präsident Joe Biden. Doch nun, da Vizepräsidentin Kamala Harris Kandidatin der Demokratischen Partei geworden ist, sehen die Umfragen sie mit einem leichten Vorsprung in Führung. Das Problem dabei ist freilich, dass sich die Wählerstimmung so schnell ändern kann, dass eine Vorhersage der diesbezüglichen Situation am 5. November so gut wie unmöglich ist. Harris hat zwar beeindruckendes politisches Geschick bewiesen, doch die demokratische Politik ist voller Überraschungen.

Zweitens haben auch ausländische Führungspersönlichkeiten und Akteure eine „Stimme“, und zwar in dem Sinne, als ihr Verhalten die US-Agenda und die Eintrittswahrscheinlichkeit verschiedener Entwicklungen plötzlich verändern kann. Die moderate Außenpolitik, die George W. Bush während seines Wahlkampfs im Jahr 2000 skizzierte, hatte nichts mit der Politik gemein, die er nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 verfolgte. Wer weiß, welche Art von Überraschungen Wladimir Putin oder Xi Jinping auf Lager haben könnten.

Wahlkampfaussagen liefern natürlich einige Hinweise auf die Politik. Sollte Harris gewinnen, ist eine Fortsetzung der Politik Bidens zu erwarten, wenn auch mit einigen Anpassungen. Sie scheint weniger Wert auf die Förderung der Demokratie zu legen – eines von Bidens größten Themen – und sie äußert sich etwas deutlicher zu den Rechten der Palästinenser. Im Großen und Ganzen würde sie jedoch die gleiche Politik der Stärkung der US-Bündnisse und der Förderung des Multilateralismus verfolgen.

Trump ist viel unberechenbarer. Obwohl es Politiker mit der Wahrheit generell nicht so genau nehmen, ist er in dieser Hinsicht berüchtigt. Schwer zu sagen, welche seiner Aussagen zu einer politischen Strategie werden könnten. Seine Ausführungen über Unilateralismus sowie die Aufweichung von Bündnissen und den Abbau multilateraler Institutionen geben zwar Aufschluss über den Grundton seiner Außenpolitik, beantworten aber keine Fragen zu konkreten Themen.

Häufig versuchen Beobachter, ihre Prognosen durch einen Blick auf die Berater der Kandidaten zu verbessern. Harris’ wichtigster außenpolitischer Berater ist Philip Gordon, ein pragmatischer, hoch angesehener Mann der politischen Mitte, der in früheren demokratischen Regierungen für Europa und den Nahen Osten zuständig war, bevor er zum wichtigsten außenpolitischen Berater der Vizepräsidentin wurde.

In Trumps Lager ist es hingegen schwierig, eine vergleichbare Person zu finden – auch wenn die Presse manchmal Robert O’Brien, Trumps letzten nationalen Sicherheitsberater, ins Spiel bringt. Bekannt ist, dass Trump es bedauert, während seiner letzten Amtszeit klassische Republikaner in Schlüsselpositionen berufen zu haben, da diese seine Handlungsfreiheit einschränkten und seine Politik gemäßigter gestalteten, als er es wünschte.

Einige Gemeinsamkeiten

Allerdings bestehen auch einige Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Kandidaten, die es zu erwähnen gilt. Am bedeutsamsten präsentieren sich dabei ihre Positionen zu China. Es besteht inzwischen breiter parteiübergreifender Konsens darüber, dass China in Fragen des Handels und des geistigen Eigentums unfair gehandelt hat und dass sein offensives Verhalten im Ost- und Südchinesischen Meer eine Bedrohung für amerikanische Verbündete wie Japan und die Philippinen darstellt. China hat mehrfach erklärt, die Anwendung von Gewalt im Falle einer Übernahme Taiwans – das als abtrünnige Provinz betrachtet wird – nicht auszuschließen. Biden setzte Trumps China-Politik in vielerlei Hinsicht fort, und Harris würde vermutlich das Gleiche mit einigen Anpassungen tun.

Eine zweite Gemeinsamkeit zwischen den Kandidaten besteht in ihrer Ablehnung neoliberaler Wirtschaftspolitik. Während Trumps Präsidentschaft gaben die USA den traditionellen republikanischen Ansatz (aus der Reagan-Ära) im Bereich des Handels auf, erhöhten die Zölle und schraubten ihre Mitwirkung in der Welthandelsorganisation zurück. All das geschah unter der Leitung des US-Handelsbeauftragten Robert Lighthizer, der in Trumps Umfeld weiterhin über bedeutenden Einfluss verfügt.

Trump lehnte auch die von Barack Obama ausgehandelte Transpazifische Partnerschaft ab, und Biden unternahm nichts, um diesem Abkommen wieder beizutreten oder Trumps Zölle auf Einfuhren aus China aufzuheben. Tatsächlich ging Biden noch weiter, als er (unter dem Titel „ein hoher Zaun um einen kleinen Hof“) neue auf Technologie abzielende Exportkontrollen gegen China einführte. Als Kalifornierin mit eigenen Verbindungen zur US-Tech-Industrie ist es unwahrscheinlich, dass Harris diesen Zaun niedriger legen wird. Und Trump wird, wenn überhaupt, den Hof vergrößern.

Außerdem haben sowohl Trump als auch Harris versprochen, die amerikanische „Hard Power“ – militärisch und wirtschaftlich – durch Investitionen in den Verteidigungshaushalt und die verteidigungsindustrielle Basis zu stärken. Man kann auch davon ausgehen, dass beide das derzeitige Modernisierungsprogramm für Atomwaffen fortsetzen und die Entwicklung neuer, mit künstlicher Intelligenz arbeitender Waffen fördern werden.

Einer der größten Unterschiede zwischen den Kandidaten betrifft ihre Haltung zu Europa. Trump und sein Vizepräsidentschaftskandidat, J.D. Vance, haben deutlich zu verstehen gegeben, dass sie wenig Interesse an der Unterstützung der Ukraine und der NATO haben. Trump behauptet, er würde den Krieg durch Verhandlungen rasch beenden, aber es ist schwer vorstellbar, wie dies ohne dramatische Schwächung der Ukraine erreicht werden könnte.

Was den Nahen Osten anbelangt, so haben beide Kandidaten zugesagt, die Sicherheit Israels und sein Recht auf Selbstverteidigung zu gewährleisten, obwohl Harris auch von einem palästinensischen Recht auf Selbstbestimmung spricht. Beide würden Saudi-Arabien vermutlich drängen, die Beziehungen zu Israel zu normalisieren, und beide würden gegenüber dem Iran eine harte Gangart einlegen. Doch während Trump Afrika und Lateinamerika niedrige Priorität einräumt, könnte man von Harris erwarten, diesen Regionen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Amerikanische Soft Power 

Der gravierendste Unterschied betrifft die amerikanische Soft Power: also die Fähigkeit, gewünschte Ergebnisse durch Überzeugung und nicht durch Zwang oder finanzielle Mittel zu erreichen. Während seiner Präsidentschaft entschied sich Trump für einen „America First“-Unilateralismus, der andere Länder zu dem Schluss kommen ließ, dass ihre Interessen nicht berücksichtigt würden. Außerdem lehnte er den Multilateralismus offen ab, am deutlichsten durch den Rückzug aus dem Pariser Klimaabkommen und der Weltgesundheitsorganisation. Biden hat diese Schritte zwar zurückgenommen, aber Trump dürfte diese Rücknahme wieder rückgängig machen, während Harris an der amerikanischen Mitwirkung festhalten würde. Außerdem würde Harris eher als Trump Erklärungen zur Förderung von Menschenrechten und Demokratie abgeben.

Kurzum, in der US-Außenpolitik wird in weiten Bereichen Kontinuität herrschen, egal wer die Wahl gewinnt. Die Einstellungen der Kandidaten zu Bündnissen und Multilateralismus unterscheiden sich jedoch erheblich – und das könnte den entscheidenden Unterschied machen.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

Copyright: Project Syndicate, 2024. www.project-syndicate.org.

Joseph S. Nye Jr. ist stellvertretender Vorsitzender der Aspen Strategy Group, ehemaliger Dekan der Harvard Kennedy School, früherer stellvertretender US-Verteidigungsminister und Verfasser des jüngst von ihm erschienenen Buchs A Life in the American Century (Polity Press, 2024).
Joseph S. Nye Jr. ist stellvertretender Vorsitzender der Aspen Strategy Group, ehemaliger Dekan der Harvard Kennedy School, früherer stellvertretender US-Verteidigungsminister und Verfasser des jüngst von ihm erschienenen Buchs A Life in the American Century (Polity Press, 2024). Foto: Project Syndicate