Luxemburg-Stadt„Eine kalte und herzlose Politik“: So reagiert die Opposition auf die Kehrtwende beim Bettelverbot 

Luxemburg-Stadt / „Eine kalte und herzlose Politik“: So reagiert die Opposition auf die Kehrtwende beim Bettelverbot 
Wenn Menschen in der Hauptstadt still und leise Vorbeigehende um Kleingeld bitten und diese sich davon gestört fühlen, kann in Zukunft die Polizei verständigt werden Foto: Editpress/Didier Sylvestre

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Das Bettelverbot kann kommen: Diese Ankündigung sorgte in der Sitzung des hauptstädtischen Gemeinderats am Montag bei den einen für Freude und bei anderen für Entsetzen. Einen Tag danach zeigen die Reaktionen vom Schöffenrat und den Ratsmitgliedern, dass das Thema weiter polarisiert.

Nun also doch: Ab Freitag soll es laut Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) in Luxemburg-Stadt verboten sein, Vorbeigehende um Kleingeld zu bitten. Eine Änderung an der Polizeiverordnung der Gemeinde Luxemburg macht das möglich. Dieser hat der neue Innenminister Léon Gloden (CSV) kürzlich zugestimmt, wie dem städtischen Schöffenrat am Montag per Brief vom Ministerium mitgeteilt wurde. Die Nachricht gab Lydie Polfer noch am selben Tag in der Gemeinderatssitzung an die Ratsmitglieder weiter. Während die Rätinnen sowie Räte von DP und CSV begeistert klatschten, sorgte die Nachricht beim Großteil der Opposition für Entsetzen.

Wir waren schockiert über die Freude der Mehrheit, die geklatscht hat und das wie einen Sieg gefeiert hat. Wie kann das ein Sieg sein?

Gabriel Boisanté, LSAP

„Wir waren schockiert über die Freude der Mehrheit, die geklatscht hat und das wie einen Sieg gefeiert hat. Wie kann das ein Sieg sein?“, fragt Gabriel Boisanté (LSAP) einen Tag nach Bekanntwerden der Kehrtwende des Innenministeriums. Die „Stater Sozialisten“ kritisieren die Entscheidung stark und können laut einer Pressemitteilung nicht nachvollziehen, wie das abgeänderte „Règlement général de police“ nun doch mit geltendem Recht übereinstimmen soll. Denn dass es das nicht tut, hatte laut der ehemaligen Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) eine juristische Analyse gezeigt

Die städtische Sektion der LSAP wirft dem neuen Innenminister, aber auch der blau-schwarzen Mehrheit in der Hauptstadt nun vor, die Armen zu bekämpfen und das Problem der Armut nicht anzugehen. „Wir haben nichts gegen Armut, aber gegen organisierte Banden“, wiederholt Lydie Polfer (DP) auf Tageblatt-Nachfrage die Argumentation, die in den Diskussionen rund um die Einführung des sogenannten Bettelverbots immer wieder vom Schöffenrat genannt wird. Denn laut diesem ist mit dem Verbot die professionell betriebene Bettelei visiert und nicht die einzelne bettelnde Person.

Alle Formen verboten

Ein Blick in die abgeänderte Polizeiverordnung – die seit Mittwoch öffentlich ausgehängt ist – wirft diesbezüglich Fragen auf. Denn während Artikel 41 festhält, dass „jegliche Form von organisierter Bettelei oder der in Banden verboten ist“, hält der folgende und umstrittene Artikel dann fest, dass auch „alle anderen Formen im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ruhe von montags bis sonntags zwischen 7 und 22 Uhr“ an bestimmten Orten verboten sind. In dem Dokument folgt eine Liste mit den größten Straßen in der Oberstadt und im hauptstädtischen Bahnhofsviertel sowie den großen Plätzen und öffentlichen Parks.

Einzelpersonen, die auf das Betteln als Einkommensquelle angewiesen sind, können an belebten Plätzen also nur in den späten Abendstunden Vorbeigehende um Kleingeld bitten. Eine „kalte und herzlose Politik“, findet François Benoy von „déi gréng“. Das Mitglied der größten Oppositionspartei im städtischen Rathaus spricht von einer, „Symbolpolitik, die auf dem Rücken der Verletzlichsten ausgetragen wird“. Freude über die Entscheidung kann auch Guy Foetz von „déi Lénk“ nicht empfinden. Bis zu den Kommunalwahlen saß er im hauptstädtischen Gemeinderat und hat sich bei der Diskussion immer gegen ein solches Verbot gewehrt. Denn dieses sei „gegen die Armen gerichtet und eine Schande in einer demokratischen Gesellschaft“.

Die neue Sozialschöffin und ehemalige Familienministerin Corinne Cahen (DP) will mit ihrer Arbeit in der Lokalpolitik den Menschen helfen. Am Montag, nur einige Minuten vor Bekanntwerden der Kehrtwende vom Innenministerium, sagte sie während der Ratssitzung, dass sie sich immer für von Obdachlosigkeit und Armut Betroffene einsetzen wird. Für sie gibt es keinen Zusammenhang zwischen einem Bettelverbot und wahrer Armut. Denn, so die Schöffin: „Das Betteln, bei dem Passanten belästigt werden, hat nichts mit Armut zu tun.“ Sie denkt dabei an in Banden organisierte Bettelei und sagt, dass diese andere bettelnde Menschen auch mal von ihren Plätzen verjagen.

Dürftiges Zahlenmaterial

Studien zur Präsenz solcher Banden auf dem Gebiet der Gemeinde gibt es übrigens nicht. So wie es auch nur dürftiges Zahlenmaterial zu der Anzahl von bettelnden Menschen in Luxemburg gibt. Durch eine Erhebung vom damaligen Ministerium für Familie, Integration und die Großregion in Zusammenarbeit mit der Vereinigung „Inter-Actions“ ist lediglich bekannt, dass an einem Mittwochabend im Oktober 2022 insgesamt 197 Menschen ohne feste Unterkunft in den verschiedenen Vierteln der Hauptstadt unterwegs waren. Von 130 Menschen, die einen Fragebogen ausfüllten, gaben dabei rund 45 das Betteln als Einkommensquelle an. Sie werden es in Zukunft schwerer haben.

Wie die hauptstädtische Sektion der Piraten die Lage sieht, wird noch im Vorstand geklärt. An den Diskussionen, die vor allem in Vorwahlkampfzeiten geführt wurden, waren die Piraten nämlich nicht beteiligt. Die Partei war damals noch nicht im städtischen Gemeinderat vertreten. „Armut und Misere kann man nicht verbieten“, unterstreicht jedoch Ratsmitglied Pascal Clement (Piraten). Die ADR sieht das offenbar anders und begrüßt die Entscheidung. Aber, so Rat Tom Weidig: „Es muss jetzt auch konsequent ausgeführt werden. Und dann muss geschaut werden, ob es einen positiven Einfluss hat.“ Da es oft zu Unvorhergesehenem käme, will die ADR die Situation später noch einmal bewerten.

Nun wird sich zeigen müssen, ob ein Verbot die Lösung aller Probleme ist.

Das sagt die „Stëmm vun der Strooss“ 

Fassungslos reagiert Alexandra Oxacelay, Direktionsbeauftragte von der „Stëmm vun der Strooss“, auf die Ankündigung aus dem Innenministerium. „Ich verstehe nicht, wie man denken kann, dass ein Problem dadurch gelöst wird, dass man die Augen schließt und einfach etwas verbietet“, sagt Oxacelay. „Das Ganze wird sich nur verlagern.“ Die Vorgehensweise mache sie „schrecklich traurig“, in jeder anderen Großstadt gehörten Bettlerinnen und Bettler zum Stadtbild dazu. Sie versuche zu verstehen, worin genau das Problem liege, wenn eine Person nur da sitze und warte, dass etwas in den Becher vor ihr geworfen werde. „Man muss ja nicht zwangsläufig etwas geben.“ Der Luxemburger Gemeinderat habe ein Verbot ausgesprochen, um gegen die organisierte Bettelei vorzugehen, wie es in der ursprünglichen Begründung hieß. Dafür gebe es aber keine Anhaltspunkte. „Ich habe versucht herauszufinden, ob es diese Banden wirklich gibt“, so Oxaceley. Die Kommunikation mit den Betroffenen sei oftmals aber sehr schwierig, einen Austausch gebe es nicht. „Ich habe bisher keinen Beweis für organisierte Banden“, sagt Oxaceley. (siw)


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Nomi
13. Dezember 2023 - 17.35

Dei' geint den Verboot sinn, hun jo d'Freiheet , een mat heem ze huelen an ze logei'eren fir dass heen net mei' ob der Strooss setzt !

Domadder ass jidderengem gehollef !

Caspar
13. Dezember 2023 - 10.48

@ de Schéifer u.s.w. / Von wegen "Fest der Liebe". Ein über 2000 Jahre altes orientalisches Märchen das seitdem u.a. Millionen von Menschenleben gefordert hat. Quelle: Weltgeschichte.

de Schéifer vun Ettelbréck
13. Dezember 2023 - 9.41

Ist nicht auch unsere Gessellschaft kalt und herzlos? Weihnachten, das Fest der Liebe und der Lichter ( für Hoffnung ) ist zu einem Fest des Konsums verkommen, zum verlogensten und pathetischstem Fest überhaupt.

JJ
13. Dezember 2023 - 9.09

Zu Weihnachten werden wir immer so sentimental. Wie Pestalozzi einst schrieb:"Wohlfahrt ist das Ersäufen des Rechts im Mistloch der Gnade." Wir spenden einen Heller und unser Gewissen ist beruhigt.Diesen Menschen ist aber damit nicht geholfen.Die Ursache bleibt und das sind Bildung und Chancengleichheit. Wenn dann noch Selbstverschuldung hinzu kommt,müssen sich die Damen auf dem Foto nicht mehr schämen es geschafft zu haben. Armut ist keine Krankheit und es gibt für alle eine Arbeit.Man muss nur wollen.Wenn dann organisierte Banden aus "Drittländern" die Viertel erobern,dann wird's peinlich. Heuchelei ist da nicht hilfreich.

rcz
13. Dezember 2023 - 7.57

Wenn nicht mehr nach Kleingeld gefragt werden darf ist es dann erlaubt nach einem Fufi zu fragen?.Es Weihnachtet in der Stadt, seit großzügig!..