MedienkolumneEinmal Perspektive bitte! Gedankenfunken zur Medienzukunft

Medienkolumne / Einmal Perspektive bitte! Gedankenfunken zur Medienzukunft
  Foto: Editpress/Alain Rischard

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Events sind eine hervorragende Gelegenheit für Medienschaffende, mit ihren Lesern und Leserinnen in Kontakt zu kommen. Persönlich, im offenen Gespräch. Unmittelbares Feedback ist elementar. Lob ist besonders schön und angenehm, doch mindestens genauso wichtig sind Fragen und konstruktive Kritik.

„Ich bin Abonnent und lese immer gerne Ihre Zeitung, auch wenn ich eigentlich nicht ganz mit der redaktionellen Leitlinie einverstanden bin.“ Diese Aussage anlässlich der 111. Jubiläumsfeier des Tageblatts entpuppt sich als besonders großes und schätzenswertes Kompliment. Oberstes Gebot ist und bleibt, dass Artikel sich als sinnvoll erweisen und einen Mehrwert darstellen. Denn qualitativ hochwertiger Journalismus wird als solcher erkannt und anerkannt.

Guter Journalismus muss und kann nicht genau das schreiben, was jeder denkt oder hören will. Die Überzeugungen der Leserschaft sind per se vielfältig und unterschiedlich. Allerdings ist Kohärenz ein wichtiges Merkmal. Früher sagte man gerne, eine Zeitung „aus einem Guss“. Denn es gibt eine Grunderwartung an das jeweilige Zeitungsprodukt. Wofür steht das Medium, wie geht es Themen an, worüber werden Leser informiert usw. Jede Zeitung hat de facto eine Art Lesevertrag mit ihrer Leserschaft, sprich eine Art Rahmen innerhalb dessen sich Schreibende und Lesende wiederfinden, die sogenannte „ligne éditoriale“, welche dem Medienprodukt seine unverwechselbare Identität verleiht.

Leserbindung und Mehrwert

Menschen wollen noch immer Medien mit adäquater Information. Glücklicherweise für die Medienschaffenden. Doch sie wollen mehr. Mehr als bloß News-Updates (welche dennoch notwendig sind). Sie wollen etwas, das nur Qualitätsmedien bieten können und nicht anonym (oftmals in zweifelhafter Grammatik) zusammengewürfelte Internetkommentare. Sie wollen Perspektiven. Stringent ausgeführte Sichtweisen. Nicht intellektuelle Bevormundung, aber die Herausforderung überzeugender Fakten und effizienter sowie ehrlicher Argumentation. Medien mit Charakter. Mit Ecken und Kanten. Medien, welche dadurch auch eine emotionale Bindung zu ihrer Leserschaft aufbauen.

Das gilt für die langjährige Leserschaft, welche mit der täglichen Printzeitung aufgewachsen ist. Für viele von ihnen gehört der morgendliche Gang zum Briefkasten und das Auseinandersetzen mit den gedruckten Informationen und journalistischen Einschätzungen einfach zum Leben. Wie Eis zum Sommer oder Kartoffelpuffer zur Schueberfouer. Manchmal empfinden sie das Gelesene dabei als neutral, manchmal überrascht es sie, freut es sie, begeistert oder verblüfft es sie und natürlich regt es sie manchmal auch fürchterlich auf. Genau diese Palette an Emotionen darf und soll Journalismus auch bewirken. Denkanreize schaffen. Meinungsbildung fördern, ohne zu oktroyieren.

Doch wie steht es um die GenZ, also die nach 1995 geborenen, jungen Menschen? Ein globales Jugendlabor stellte pünktlich zum Kongress des Weltmedienverbandes WANIFRA im Mai in Kopenhagen seine Recherche-Ergebnisse vor. Sieben Kriterien zum Journalismus der Zukunft standen dabei im Vordergrund. Wirkungsvoll, stärkend, lehrreich, human, lokal, zeitgerecht und ausgewogen waren die Stichwörter. Verlässliche Fakten, die Orientierung bieten in einer beständig komplizierteren Welt. Medien müssen vertrauenswürdige Informationen bieten. Das scheint eine Selbstverständlichkeit. Seit jeher. Doch sie müssen auch den Blick weiten. Inspirieren. Mehrwert bieten. Genau das können Journalisten.

Um diese Kompetenz zu entfalten, braucht es Zeit. Zeit zur Vertiefung für die Schreibenden. Zeit zum Nachsinnen für die Lesenden. Und Zeit ist bekanntlich Geld. Da Geld oftmals knapp ist, muss in den Medien dann mit weniger mehr erwirtschaftet, ergo auch produziert werden. Was wiederum nicht qualitätsfördernd ist. Auch für die Leser ist Zeit ein knappes Gut. Arbeit, Familie, der mühsame Kampf gegen die Uhr im Alltag lässt wenig Ruhe zum Betrachten und Verarbeiten von Medienbeiträgen.

Die Quadratur des Kreises? Nicht unbedingt. Vielleicht bietet sich gerade hier die Möglichkeit für Medien, sich auf Grundsätzliches zu fokussieren und ein tiefliegendes, menschliches Bedürfnis nach Perspektive zu stillen. Mit gutem Journalismus. Relevanten Themen. Aufschlussreichen Blickwinkeln. Lesenswerten Texten. Texte, die prägen, bewegen. Im Print, E-Paper und digital.

* Michelle Cloos ist Generaldirektorin von Editpress