EditorialFCK den Hass auf Aktivismus

Editorial / FCK den Hass auf Aktivismus
Polizisten tragen die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg aus einer Gruppe von Demonstranten und Aktivisten heraus und vom Rand des Braunkohlentagebaus Garzweiler II weg Foto: Federico Gambarini/dpa

Der Himmel ist blau, die Möwen kreisen, im Hintergrund rauscht das Meer und es riecht nach Pommes: Es ist ein entspannter spätsommerlicher Nachmittag an der belgischen Küste, an dem ein junger Mensch in einem Restaurant nach seinem Handy greift. Zugegeben, der voyeuristische Blick zum Nachbartisch ist unangebracht, doch genauso ist es die Hülle, in der sein Mobiltelefon steckt: Darauf prangt in großer, weißer Schrift „Fuck Greta“. Es gilt die Unschuldsvermutung – vielleicht ist das bloß die Anspielung auf eine verhasste Bekanntschaft oder Ex-Freundin. Wer nicht hinterm Mond lebt, zweifelt jedoch zu Recht daran, denn der Hass auf eine andere Greta grassiert seit Jahren: die Umweltaktivistin Greta Thunberg.

Im Netz verticken zahlreiche Online-Plattformen Hass-Artikel gegen die heute 21-Jährige, die sich seit Kindesbeinen gegen die Klimakrise einsetzt und der Politik die Stirn bietet. Während Menschen sich die Anti-Greta-Produkte vermutlich voller Schadenfreude bestellen – ja, sie zeigen es dieser Spaßverderberin jetzt so richtig! –, jagt weltweit eine Umweltkatastrophe die nächste. Erst am Samstag rief die griechische Hafenstadt Volos den Notstand aus: In den vergangenen Tagen wurden massenweise tote Süßwasserfische in den Hafen gespült, die wegen Sauerstoffmangel verstorben sind. Es ist die Spätfolge schwerer Überschwemmungen in der Region Thessalien im Vorjahr. Expert*innen bezeugen: Neu ist das Phänomen nicht, doch hat das Ausmaß jetzt noch nie dagewesene Dimensionen erreicht.

Trotzdem scheinen Hass und Hetze gegen Umweltaktivist*innen inzwischen salonfähig bis lustig – Letzteres ist eine Frage des Humors. Würde es bei der Handyhülle und Aufklebern für die Stoßstange des eigenen SUV bleiben, wäre der Restaurantbesucher aus dem belgischen Küstenort keine Zeile wert. Auch wären die Hassbotschaften, die Klimaktivist*innen wie Thunberg treffen, zwar immer noch geschmacklos, aber nur bedingt bedrohlich für die Gesamtgesellschaft. Doch „too bad“, denn in Wahrheit sind diese Aktionen bloßer Ausdruck des tiefgreifenden Hasses gegenüber Umweltschützer*innen jeder Art. Sie deuten vage an, welchen Bedrohungen die Aktivist*innen auf unterschiedlichen Ebenen ausgesetzt sind – von der verbalen Gewalt bis hin zum Mord.

Stimmberechtigte strafen weiter munter die Grünen – immer noch Sinnbild für Umweltpolitik – ab, wie kürzlich bei den Landtagswahlen in Thüringen. Dort muss die Partei jetzt ihre Sitze im Landtag räumen. Einzelpersonen und Organisationen, die sich für Tierrechte starkmachen, erhalten Drohungen der entsprechenden Lobbys. Andere Umweltschützer*innen bangen wegen ihres Engagements um ihre Freiheit, wie aktuell der umstrittene Umweltaktivist und Meerestierschützer Paul Watson.

Der Gründer der „Sea Shepherd Conservation Society“ wurde im Juli in Grönland verhaftet, nachdem die japanischen Autoritäten bereits 2012 einen internationalen Haftbefehl gegen ihn verhängt hatten. Ihm wird unter anderem Sachbeschädigung bei zwei Vorfällen mit einem japanischen Walfangschiff vorgeworfen. Am 5. September entscheidet ein Gericht über die Auslieferung an Japan, wo Watson eine mehrjährige Haftstrafe droht. Weltweit solidarisieren sich Menschen mit Watson und fordern seine Freilassung.

Manchmal bringen Lobbys, Regierungen und Co. unbeugsame Tierschützer*innen und Umweltaktivist*innen radikaler zum Schweigen. Aus dem Jahresbericht 2023 der NGO „Global Witness“ geht hervor: Vergangenes Jahr wurden weltweit 177 Morde an Aktivist*innen registriert, die sich gegen umweltzerstörende Industrien auflehnten. 36 Prozent davon gehörten der indigenen Bevölkerung an.

Natürlich ist sachliche Kritik und eine faire Debatte über die entsprechenden Themen nicht mit dem Mord an Klimaktivist*innen gleichzusetzen. Auch sollte der Kult um jede Person aus Prinzip immer mit Vorsicht genossen werden. Vor dem Hintergrund der genannten Fakten wirkt es aber fast schon grotesk, „Fuck Greta“ zu schreien, oder?

JJ
3. September 2024 - 13.45

Vorschlag zum TV-Abend- " Hans Werner Sinn : "Energiewende ins Nichts."

Christian Muller
3. September 2024 - 13.28

Merci fir den Editorial.

Ech kann der Madame Linden och nëmme Recht ginn, besonnesch wat de Kommentar vum CESHA ugeet.

Nadia Linden
3. September 2024 - 12.00

Ein weiterer unterstützender Kommentar von mir. Ich schäme mich, dass mir der Mut und die Energie fehlen, proaktiver und miltanter für den Klima- und Umweltschutz einzustehen.

In garantiert 50, eher schon in 10 oder 20 Jahren werden auch die verbohrtesten erkennen, dass Umweltaktivisten die einzig NICHT Wahnsinnigen auf dieser brennenden Welt waren.

Es ist abartig, solche Argumente wie die oben von CESHA zu lesen. "Aber die Wirtschaft / oh nein, mir entstehen finanzielle Nachteile, wenn wir versuchen, die Katastrophe zu mindern" (verhindern können wir sie nicht, sie hat ja schon längst begonnen).

Und noch eine Prise Xenophobie dazu, geht ja Hand in Hand. "Lasst uns weiter die Welt verbrennen, betrifft ja v.a. den globalen Süden. Wir ziehen unsere Festung hoch und schauen, wie die Armen krepieren."

Einfach unfassbar. Der Menschheit ist echt nicht zu helfen.

CESHA
3. September 2024 - 10.50

Zu diesemThema hätte ich einiges zu sagen. Ich bin inzwischen über 70 und in meiner Jugend habe ich mich auch sehr für Umweltschutz eingesetzt und als es die Grünen endlich ins Parlament geschafft hatten, habe ich mich riesig gefreut und gedacht, dass sich jetzt endlich etwas in Sachen Umweltschutz bewegt. Inzwischen muss ich zugeben, dass ich diese Partei und ebenso die selbsternannten Umweltaktivisten hassen gelernt habe. Zum einen, weil sich z.B. die Aussage "Die Sonne schickt keine Rechnung" als Falschaussage entpuppt hat. Der Strom wird teurer und teurer, seit immer mehr "alternative Stromquellen" ans Netz gehen. Zum anderen will man eine Energiewende mit der Brechstange durchsetzen, ohne Rücksicht auf finanzielle Machbarkeit. Dabei ändern sich die Forderungen auch noch ständig: Was noch vor 10 Jahren als das Necplusultra galt, wird heute verboten. Dazu noch die Blockadehaltung der Grünen in Sachen Migrationspolitik, die ich ganz und gar nicht gut finde und die übrigens auch dazu führt, dass Menschen die Sicherheit ihres Autos gegenüber Bus und Bahn bevorzugen.
So verprellt man Wähler und muss sich nicht über Hass und sinkende Beliebtheitswerte wundern.

Reuter-Angelsberg Alex
3. September 2024 - 9.41

All Respekt fir däin Artikel, Isabel! A vill Courage fir deng weider Aarbecht als Journalistin. Du stees net eleng.