Thronwechsel„Frührente für den Großherzog“: Luc Heuschling über die veraltete Institution der „Lieutenance“ 

Thronwechsel / „Frührente für den Großherzog“: Luc Heuschling über die veraltete Institution der „Lieutenance“ 
Soll in der „Lieutenance“ noch einmal mehr Aufgaben von seinem Vater und Luxemburger Staatschef Henri übernehmen Foto: SIP

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Erbgroßherzog Guillaume wird im Oktober zum „Lieutenant-Représentant“ ernannt. Verfassungsexperte Luc Heuschling über die verfassungsrechtliche Institution, die im direkten Gegensatz zur Monarchie steht – und im modernen Luxemburg nur noch wenig Sinn ergibt.

Mit der Ernennung von Erbgroßherzog Guillaume zum „Lieutenant-Représentant“ steht fest: Ein Thron- und damit auch Staatschefwechsel steht bevor. Diese Stellvertreterschaft ist ein Konzept, das viele europäische Monarchien ablehnen würden – und auch ganz im Gegensatz zur ursprünglichen Idee der Monarchie stehe, meint der Luxemburger Verfassungsexperte Luc Heuschling. „Das Wort Monarchie ist auf das griechische Wort für ‚ein‘, monos, zurückzuführen“, sagt Heuschling im Gespräch mit dem Tageblatt. Die ursprüngliche Idee war also die, dass eine einzige Person entscheidet. Eine Idee, die bereits mit der Demokratisierung verwässert wurde. So auch in Luxemburg, wo der jeweils zuständige Minister alles gegenzeichnen müsse. „Die Lieutenance stellt eine weitere Verwässerung dar, weil es nichts anderes heißt, als dass neben dem Monarchen, der eigentlich in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen, eine weitere Person zusammen mit dem Großherzog und dem zuständigen Minister mitentscheidet“, sagt Heuschling.

Lieutenance

Die Luxemburger Verfassung sieht in Artikel 58 vor, dass sich der Großherzog durch einen Stellvertreter vertreten lassen kann: „Le Grand-Duc peut se faire représenter par une personne qui remplit les conditions de l’article 56, paragraphe 1er, et qui porte le titre de Lieutenant-Représentant du Grand-Duc.“  Der Stellvertreter muss laut Verfassung ein direkter Nachfolger des Großherzogs sein – im Gegensatz zum Thronfolger jedoch nicht unbedingt der Erstgeborene sein.
Dem Stellvertreter steht ebenso wie dem Großherzog, dem ehemaligen Staatschef, dem Erbgroßherzog (und dem Regenten im Falle einer Regentschaft) eine „dotation“ zu. Diese beläuft sich beim Großherzog auf jährliche 543.800 Euro, beim Erbgroßherzog, dem ehemaligen Staatschef und dem „Lieutenant-Représentant“ auf jährliche 226.609 Euro. Das entsprechende Gesetz sieht vor, dass Guillaume auch bei doppelter Funktion als „Lieutenant-Représentant“ und Erbgroßherzog keine doppelte Zuwendung erhält.

Welche Aufgaben alle auf Guillaume zukommen, ist derzeit jedoch noch unklar. „Der Großherzog muss zusammen mit der Luxemburger Regierung in der Nominierung des Erbgroßherzoges definieren, ob Guillaume alle Aufgaben des Staatschefs übernehmen wird, ob ein Teil der Aufgaben weiterhin Großherzog Henri vorbehalten bleiben oder verschiedene Aufgaben sowohl vom Großherzog als auch vom Erbgroßherzog übernommen werden können“, erklärt Heuschling.

Herkunft der „Lieutenance“

Wenn die „Lieutenance“ im Gegensatz zur Monarchie an sich steht, warum gibt es diese Institution dann in Luxemburg? „Im 19. Jahrhundert trug der niederländische König gleichzeitig den Titel des Luxemburger Großherzogs“, erklärt Heuschling. Für Luxemburg wurde aufgrund der geografischen Distanz zu dem Zeitpunkt die Möglichkeit eines Stellvertreters vorgesehen. „Deshalb stand in der alten Verfassung noch drin, dass der Stellvertreter in Luxemburg wohnen muss.“ Ein Passus, der mit der neuen Verfassung gestrichen wurde.

Verfassungsexperte Luc Heuschling sieht in der „Lieutenance“ eine veraltete Institution, die zahlreiche Fragen aufwirft
Verfassungsexperte Luc Heuschling sieht in der „Lieutenance“ eine veraltete Institution, die zahlreiche Fragen aufwirft Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Seitdem die momentan herrschende Dynastie der Nassau-Weilburg in Luxemburg regiert, gibt es das Problem der geografischen Distanz nicht mehr. „Die ‚Lieutenance‘ wurde dann zweckentfremdet, um den Erbgroßherzog in die Amtsgeschäfte einzuführen“, sagt Heuschling und vergleicht die Idee der „Lieutenance“ mit der Idee des Vorruhestandes für den Großherzog.  „Wenn der Großherzog in Frührente gehen will, kann er das jetzt tun.“ Für Heuschling sei es gegenüber dem Erbgroßherzog jedoch weitaus respektvoller, sich in dem Fall ganz zurückzuziehen und Guillaume die Amtsgeschäfte komplett zu überlassen.

Denn: Auf seine zukünftige Aufgabe als Luxemburger Staatschef sei Erbgroßherzog Guillaume bereits in den vergangenen 20 Jahren vorbereitet worden. Das könne unter anderem auch daran festgemacht werden, dass dem Erbgroßherzog für seine Aufgabe eine „dotation“ aus dem Staatsbudget zugewiesen wird. Betrachte man die  „Lieutenance“ durch ein modernes Prisma, bleibe laut dem Verfassungsexperten auch aus arbeitstechnischer Sicht nur eine Schlussfolgerung: „Das ergibt nicht mehr viel Sinn.“

Übrigens: Die niederländische Verfassung wiederum sieht keine Möglichkeit einer „Lieutenance“ vor. Im Krankheitsfall wird der König durch einen Regenten ersetzt, im Sterbefall rückt der designierte Thronnachfolger nach.

Inkohärente Differenzen

Neben dem anachronistischen Charakter einer „Lieutenance“ stellen sich jedoch auch weitere Fragen. Allen voran die, ob Henri und Guillaume ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der „Lieutenance“ gleichgestellt werden. Das habe laut Heuschling dann auch juristische Auswirkungen. „Der Großherzog kann im schlimmsten Fall auf Bitten der Regierung von dem Luxemburger Parlament abgesetzt werden, sollte dieser seine Funktionen als Staatschef nicht mehr ausüben können“, erklärt Heuschling. Das aber treffe nicht auf seinen Stellvertreter zu, der durch einen von der Regierung gegengezeichneten Erlass des Großherzogs wieder abgesetzt werden könne.

Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft die juristische Unantastbarkeit des Luxemburger Staatschefs. „Le Grand-Duc est le Chef de l’Etat. […] Sa personne est inviolable“, steht in Artikel 44 der neuen Verfassung. „Nach Lesart einiger Juristen würde das dann auch auf den ,Lieutenant-Représentant‘ zutreffen“, sagt Heuschling. Beim Wahlrecht wurde in der Praxis jedoch ein klarer Unterschied zwischen dem Staatschef und dessen Stellvertreter gemacht.

„Guillaume hat als Erbgroßherzog das Wahlrecht und unterliegt somit der Wahlpflicht“, sagt Heuschling. Als Großherzog und Luxemburger Staatschef habe Henri hingegen kein Wahlrecht. „Das Wahlrecht wurde dem Großherzog im Jahr 2000 entzogen, als er Großherzog wurde“, erklärt Heuschling. „Davor aber war auch Henri ,Lieutenant-Représenant‘ und hat als solcher von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht.“ Auch in diesem Fall könnte Guillaume als „Lieutenant-Représentant“ das Wahlrecht behalten – womit aber eine laut Heuschling inkohärente Differenz zwischen dem Stellvertreter und dem eigentlichen Staatschef geschaffen werde. „Wenn der Lieutenant die Aufgaben des Staatschefs ausübt, müssten ihm in der gleichen Logik das Wahlrecht entzogen werden, wie es bei der Thronbesteigung von Henri im Jahr 2000 der Fall war“, sagt Heuschling. „Ich plädiere nicht dafür, dass man Guillaume das Wahlrecht entzieht – im Gegenteil bin ich dafür, dass auch Henri sein Wahlrecht nicht hätte verlieren dürfen.“

Ob das ein Grund sei, warum die Nachfolge nach den zahlreichen Wahlen angekündigt wurde? „Nein, ich glaube eher, dass das einfach passend zum Nationalfeiertag angekündigt wurde“, sagt Heuschling. „Jetzt spricht man schließlich wieder von der Monarchie.“ Und schließlich lebe eine Monarchie auch aufgrund ihres Zeremoniells.

Ein oder zwei Staatschefs?

Unklar ist auch, wie die institutionelle Beziehung zwischen Großherzog Henri und seinem Lieutenant Guillaume aussehen wird. „Eine Möglichkeit ist die, dass sich Großherzog Henri ganz zurückziehen wird und die Amtsgeschäfte komplett Guillaume überlassen wird“, so Heuschling. Eine andere Lesart gibt hingegen vor, dass Luxemburg in dem Moment dann zwei Staatschefs habe. „Dieser Punkt wird auch in der neuen Verfassung nicht klar definiert.“ Zwei Interpretationen, die im Rahmen der europäischen Monarchien – unter anderem in Liechtenstein – diskutiert werden würden. „In Luxemburg galt bisher immer die Lesart, dass sowohl der Großherzog als auch der Lieutenant die Aufgaben des Staatschefs dann ausfüllen können“, sagt Heuschling. Das auf Basis einer Abhandlung des Luxemburger Generalstaatsanwaltes Huss, der in den 1960er Jahren von einer „concurrence“ sprach. „Das bedeutet, dass beide die Arbeit des Luxemburger Staatschefs machen können.“

Eine Frage, die sich zudem stelle: Kann der Großherzog seinem Sohn und Stellvertreter sagen, was er zu tun und zu lassen hat? Was aus heutiger Sicht unwahrscheinlich und inakzeptabel erscheint, habe durchaus monarchische Tradition – und sei aufgrund der fehlenden Präzisionen in der Verfassung auch weiterhin möglich. „Das zeigt die Komplexität der ‚Lieutenance‘“, sagt Heuschling. 

Monarchie.lu nicht auf dem neusten Stand

Auf der Internetseite der großherzoglichen Familie monarchie.lu wird unter dem Absatz der „Lieutenance“ noch auf die alte Verfassung verwiesen. Demnach muss der „Lieutenant-Représentant“ nicht mehr wie auf dem Internetauftritt der großherzoglichen Familie angegeben im Großherzogtum wohnen. Diese Bestimmung des ehemaligen Artikels 42 wurde mit der Verfassungsrevision im vergangenen Jahr gestrichen. Zudem steht auf der Internetseite: „Lieutenant-Représentant prête serment d’observer la Constitution avant d’exercer ses pouvoirs“. In der neuen Verfassung wird im Artikel 58 jedoch klar definiert, dass er den Eid vor dem Luxemburger Parlament ablegen muss: „Le Lieutenant-Représentant du Grand-Duc n’entre en fonction qu’après avoir prêté devant la Chambre des Députés le serment suivant: «Je jure d’observer la Constitution et les lois et de remplir fidèlement mes attributions constitutionnelles.»“