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Forum / Für ein soziales, demokratisches und offenes Europa
 Foto: dpa/Philipp von Ditfurth

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Am kommenden 9. Juni sind wir aufgerufen, unsere Vertreter im Europaparlament neu zu bestimmen. Obschon 13 Listen, für die sechs Mandate, die Luxemburg zustehen, Kandidaten aufgeboten haben, scheint sich die Begeisterung für diesen Wahlgang in Grenzen zu halten.

Dies mag viele Ursachen haben. Eine davon ist, dass viele begeisterte Europäer, vor allem bei den Gewerkschaften, feststellen müssen, dass Europa sich immer weiter von oben genannten Zielsetzungen entfernt hat. Ein erstes Anzeichen war in dieser Hinsicht das Referendum über den europäischen Verfassungsvertrag von 2005. In diesem Vertrag wurde die bis dahin betriebene neoliberale Politik in Stein gemeißelt. Obwohl dieser Vertrag bei uns keine überwältigende Zustimmung erhielt und obwohl er in Frankreich und in den Niederlanden per Referendum abgelehnt wurde, wurde dieser Vertrag nach verschiedenen homöopathischen Anpassungen, ohne eine weitere Volksbefragung, als Lissabon -Vertrag verabschiedet. Etwas später sahen sich die Gewerkschaften mit Urteilen des Europäischen Gerichtshofes konfrontiert, wo die wirtschaftlichen Freiheiten aufgrund der Verträge Vorrang vor den sozialen Rechten der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften erhielten. Damals wurde von verschiedener Seite eine Vertragsänderung angemahnt. Eine Forderung, die in keinem der Wahlprogramme zu finden ist. Aufgrund der sozialen Defizite in der EU verabschiedeten deren Instanzen 2017, als Jean-Claude Juncker Kommissionspräsident war, einen Sockel von sozialen Grundrechten. Diese Grundrechte sind nicht rechtlich verbindlich. Sie haben nur Symbolcharakter, ähnlich der Staatsziele, die in unserer neuen Verfassung eingeschrieben sind. Auch wenn die CSV bei uns mit diesen sozialen Rechten und mit Jean-Claude Juncker, als Sozialpolitiker, die Werbetrommel rührt, sollte man seine Rolle und sein Handeln als Chef der Eurogruppe im Gedächtnis behalten. Denn unter seiner diesbezüglichen Präsidentschaft, zurzeit der Finanzkrise, wurde Griechenland ein drastisches antisoziales Austeritätsprogramm aufgezwungen. Die griechische Regierung wurde weiter gezwungen, Häfen und Flughäfen zu verscherbeln.

Klimawandel

Fast alle Parteien geben vor, das Klima retten zu wollen. Trotz der Tatsache, dass der Verkehrssektor für einen Großteil der schädlichen Klimagase verantwortlich zeichnet, findet man in den Wahlprogrammen wenig Elemente für eine notwendige Verkehrswende. Ähnlich wie in andern Sektoren sind auch im Transport- und Verkehrsbereich Sozial- und Klimapolitik eng miteinander verbunden. Infolge der neoliberalen Politikrezeptur wurden in den einzelnen Ländern die öffentlichen Dienstleistungen liberalisiert und privatisiert. Dies führte zu einem massiven Personalabbau bei den europäischen Eisenbahnen. Bei uns wurden, infolge dieser Politik, viele bequeme Fernverbindungen mit der Bahn aufgegeben und im Güterbereich wurde der Einzelladungsverkehr eingestellt, welcher auf die Straße abwanderte. Die politischen Parteien sollten endlich anerkennen, dass der Eisenbahnverkehr ein wichtiger Teil der Lösung im Kampf gegen den Klimawandel ist. Deshalb sollte die Liberalisierungspolitik gestoppt und wieder rückgängig gemacht werden. Weiterhin müssen die Investitionen in den Eisenbahnausbau erhöht und sowohl der Personentransport als auch der Gütertransport über die Schiene mit den geeigneten Mitteln gefördert werden.

Friedensprojekt Europa

Die einzelnen staatstragenden Parteien betonen bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass es sich bei der EU vor allem um ein Friedensprojekt handeln würde. Inwiefern sich ein Friedensprojekt mit einem neuen Wettrüsten und der Forderung nach einer europäischen Armee vereinbaren lässt, bleibt für mich fraglich. Der Ukraine-Konflikt, welcher nach dem Jugoslawien-Krieg der zweite illegale Krieg nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa ist, wird hier als Argument benutzt. Diese Argumentation ist nicht neu, denn auch in der Vergangenheit wurden immer Feindbilder benutzt, um Rüstungsausgaben zu rechtfertigen. Dabei sollten Konflikte, meiner bescheidenen Ansicht nach, auf diplomatischem Weg und nicht durch Waffengewalt gelöst werden. Anstatt die Waffenindustrie zu fördern, täten die europäischen Länder besser daran, die dafür benötigten Steuergelder in eine ambitiöse Entwicklungshilfe- und Sozialpolitik zu investieren. Für friedensliebende Sozialpolitiker müsste die Devise gelten: „Frieden schaffen ohne Waffen“.

Festung statt offenes Europa

Der kürzlich durch die europäischen Institutionen verabschiedete Migrationspakt ist dazu angetan, Europa zu einer Festung auszubauen. Inwieweit das Unterbringen von Flüchtlingen in menschenunwürdigen Retentionszentren oder das Verdursten lassen von Migranten in Wüstenregionen, respektive das Ertrinken lassen im Mittelmeer, vereinbar ist mit einer europäischen Werteunion, müssen die Politiker beantworten, die diesem Pakt zugestimmt haben. Anstatt die Flüchtlinge zu bekämpfen, sollten die Fluchtursachen bekämpft werden. Wer die Kriminalität, die mit der illegalen Migration einhergeht, bekämpfen will, sollte für legale Migrationswege sorgen.

Trotz aller politischen Defizite, die sich in Europa angehäuft haben, sollten wir dennoch zur Wahl gehen und die Kandidaten und Parteien wählen, die dem Anspruch für ein soziales, demokratisches und offenes Europa am nächsten kommen.

Nico Wennmacher ist ehemaliger Präsident des FNCTTFEL-Landesverbandes
Nico Wennmacher ist ehemaliger Präsident des FNCTTFEL-Landesverbandes Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante