„Gehen Sie wählen, sonst nutzen das andere“: Spitzenkandidaten präsentieren sich im EU-Parlament

„Gehen Sie wählen, sonst nutzen das andere“: Spitzenkandidaten präsentieren sich im EU-Parlament
Im Plenarsaal des Europaparlaments in Brüssel wurde mit viel Aufwand eine Bühne errichtet.

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Um einen europäischen Höhepunkt in der laufenden Europawahlkampagne zu schaffen, hatte das Europäische Parlament eine Diskussionsrunde in seinem Brüsseler Plenarsaal organisiert, die am Mittwochabend von zahlreichen europäischen Fernsehsendern übertragen wurde. Eineinhalb Stunden hatten die sechs Spitzenkandidaten Zeit, die Wähler von sich zu überzeugen.

Es war, wie es im Europäischen Parlament üblich ist, eine sehr strukturierte Debatte. Um etwas Pep in die Runde zu bringen, standen jedem der Kandidaten zwei Fragen zu, mit denen er einen seiner Mitbewerber herausfordern konnte. Ansonsten hatten sich die sechs mit ihren Antworten zu den Fragen des deutsch-französischen Moderatorenpaares an die ihnen vorgegebene Redezeit von einer Minute zu halten. Eine richtige Diskussion konnte dadurch nur ansatzweise entstehen. Deutlich wurde aber allemal, welche Politik und Ansichten die sechs Kandidaten und die hinter ihnen stehenden Fraktionen im EP vertreten.

Wenig überraschen dürfte, dass Jan Zahradil, der Kandidat der Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR), den europäischen Integrationsprozess eher zurückdrehen als weiter vertiefen will. „Ich will, dass die EU weniger tut, aber dafür besser“, so der tschechische EU-Parlamentarier, der den Nationen in der EU wieder mehr Vorrang geben will. Er wolle nicht, dass Unternehmen auf „paneuropäischer Ebene besteuert werden“. Nur Staaten hätten das Recht, Steuern zu erheben. Was von den anderen selbstredend anders gesehen wird, in Nuancen.

Manfred Weber von der EVP will der EU schon eine Rolle in Steuerfragen eingestehen, spricht sich aber für einen Steuerwettbewerb in der EU aus. Die Liberale Margrethe Vestager spricht sich für einen Mindeststeuersatz für Unternehmen aus, den der sozialistische Spitzenkandidat Frans Timmermans bei 18 Prozent ansetzen will.

Steuergerechtigkeit

Die Grüne Ska Keller fordert „Transparenz“ und „Steuergerechtigkeit“, da diese „Teil der sozialen Gerechtigkeit“ sei, während der Linkspolitiker Nico Cué sich eine „Offensive“ in Sachen Harmonisierung im Steuerbereich wünscht. Seit Jahren werde nur darüber geredet, es sei Zeit, zu handeln, so der Belgier mit spanischen Wurzeln.

In der Migrations- und Flüchtlingsfrage ergibt sich ein ähnliches Bild. Er sei gegen Quoten für die Aufnahme von Flüchtlingen in den EU-Mitgliedstaaten. „Ich will, dass die Souveränität der Staaten respektiert wird, und sie entscheiden, ob sie Flüchtlinge aufnehmen wollen oder nicht“, machte Jan Zahradil deutlich, in welche Richtung es mit ihm als Kommissionspräsidenten gehen würde. Nico Cué, dessen Eltern gegen das Franco-Regime in Spanien opponierten und ins Exil zogen, sieht die Migration als „Chance“, die unter anderem zu einer Verjüngung des Kontinents führen könne. Manfred Weber will wieder „die Kontrolle über die Grenzen“ zurückgewinnen und verhindern, „dass die Schlepper sagen, wer nach Europa kommt“. Er wolle einen Afrika-Kommissar damit beschäftigen, einen Marshallplan für den Kontinent auszuarbeiten, um die Fluchtursachen zu bekämpfen. Einen „großen Plan für Afrika“ will auch Frans Timmermans.

Der Sozialdemokrat fordert jedoch, dass nicht jene bestraft werden, die im Mittelmeer Menschen retten, so wie es derzeit der italienische Innenminister Matteo Salvini tue. Und Jan Zahradil entgegnete der Niederländer, Solidarität in der Flüchtlingsfrage bedeute auch Sachen zu tun, die man nicht so gern wolle.

Nur bei wenigen Themen kam es zu kleinen Auseinandersetzung, wie etwa bei der Klima- und Umweltpolitik. Oder der Arbeits- und Wirtschaftspolitik, als Manfred Weber seinem sozialdemokratischen Herausforderer vorwarf, dass auch Politiker aus seiner Parteienfamilie, die beiden Eurogruppen-Präsidenten Jeroen Dijsselbloem und Mario Centeno, sowie EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Pierre Moscovici die Austeritätspolitik in der EU mitgetragen hätten. Der Niederländer konterte, dass der sozialistische Regierungschef in Portugal vom einstigen Austeritätskurs seines Landes abgewendet habe und damit wirtschaftlichen Erfolg hatte. Es war auch Frans Timmermans, der Margrethe Vestager, Ska Keller und Nico Cué in der Klimapolitik eine Koalition anbot, in die er ebenfalls den französischen Präsidenten Emmanuel Macron einbeziehen wollte.

Einheit wahren

Ansonsten waren die Spitzenkandidaten bemüht, die Bedeutung sowie die Wahrung der Einheit in der EU in den Vordergrund zu stellen. Beispielsweise in der Außenpolitik, wo Manfred Weber sich einen Übergang zu Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat und Ska Keller sich ein kohärenteres Vorgehen wünschen. Denn es gehe nicht an, sich als Friedensmacht zu verstehen und gleichzeitig Waffen an Diktatoren zu verkaufen, so die deutsche Grünen-Politikerin. Doch auch hier steuerte der EKR-Kandidat dagegen, der sich nicht vorstellen kann, wie Mehrheitsentscheidungen in der Praxis umgesetzt werden sollen, da die Außenpolitik der Souveränität der Mitgliedstaaten unterstehe.

Und ganz im Sinne des vom Europäischen Parlament für die Wahlen ausgegebenen Mottos „Dieses Mal wähle ich“ riefen sowohl Frans Timmermans als auch Margrethe Vestager dazu auf, dass die EU-Bürger ihr Stimmrecht nutzen sollen. „Wenn sie nicht wählen, wird jemand anderes ihre Stimme übernehmen“, meinte der Niederländer. Und die Dänin forderte die Leute dazu auf, sie sollten auch andere dazu ermutigen, kommende Woche zu den Europawahlen zu gehen. „Gehen Sie wählen, sonst werden das andere Leute nutzen“, mahnte die EU-Kommissarin.