Unternehmen und MenschenrechteGerichtsurteil gegen Chiquita als ein möglicher Präzedenzfall

Unternehmen und Menschenrechte / Gerichtsurteil gegen Chiquita als ein möglicher Präzedenzfall
Weltbekannt und doch umstritten: Bananen von Chiquita Foto: AP/Amy Sancetta

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Die Verurteilung des Bananenkonzerns Chiquita Brands International durch ein Gericht im US-Bundesstaat Florida am 10. Juni dieses Jahres könnte weitreichende Folgen für weitere multinationale Unternehmen haben, die in Menschenrechtsverbrechen verstrickt sind.

Ein Geschworenengericht in Miami hat Chiquita Brands International verurteilt. Der Konzern hieß bis 1984 United Fruit Company und hatte nach seiner Gründung 1899 jahrzehntelang die wirtschaftliche Vorherrschaft in mehreren lateinamerikanischen Ländern inne. Der heutige Markenname ist nach wie vor auf den blauen Stickern von Bananen auch in luxemburgischen Supermärkten zu finden.

Dem Konzern wird angelastet, die paramilitärischen Autodefensas Unidas de Colombia (AUC) finanziert zu haben. Diese sogenannten Selbstverteidigungskräfte, eine Art Dachverband von rechtsgerichteten Gruppen, waren als Todesschwadronen und Hauptakteure in dem bewaffneten Konflikt des südamerikanischen Landes berüchtigt.

17 Jahre vor Gericht

Nun muss Chiquita nach einem Bericht des lateinamerikanischen Nachrichtenportals Amerika21 insgesamt 38,3 Millionen US-Dollar Schadensersatz an die Hinterbliebenen von acht ermordeten kolumbianischen Plantagenarbeitern bezahlen. Das Urteil ist ein bedeutender Erfolg für die Angehörigen der Opfer paramilitärischer Gewalt in Kolumbien, die 17 Jahre lang vor Gericht dafür gestritten haben. Es bestätigt, dass Chiquita die AUC wissentlich und aus purer Profitgier finanziert hat – obwohl die Paramilitärs eine Vielzahl von Menschenrechtsverbrechen begingen und sowohl von der EU als auch von den USA als terroristische Organisation eingestuft wurden.

Laut Gerichtsurteil gilt es nun als erwiesen, dass der Konzern von 1997 bis 2004 mehr als 1,7 Millionen Dollar an illegalen Geldern an die AUC fließen ließ. Diese waren zur Bekämpfung linker Guerilla-Gruppen wie die der FARC gegründet worden und kooperierten mit dem kolumbianischen Staat, wurden jedoch auch von privaten Großgrundbesitzern und Unternehmen angeheuert. Sie vertrieben viele Landbewohner, um den Unternehmen die Schaffung von Monokulturen zum Beispiel für Bananen zu ermöglichen.

Chiquita hatte behauptet, dass es sich bei den Zahlungen an die AUC um vermeintliche Schutzgelder handelte, um eine Bedrohung des Unternehmens und seiner Beschäftigten abzuwenden. Doch dies konnte nicht nachgewiesen werden. Vielmehr ging es um die Durchsetzung von kommerziellen Interessen. Dies hat zu der Ermordung von mehreren Menschen geführt. Die Angehörigen von acht der Opfer werden nun entschädigt.

Sie wurden seit 2007 von der US-amerikanischen Menschenrechtsorganisation juristisch begleitet. Laut Amerika21 wurden die Klagen 2008 mit mehreren anderen als Sammelklage zusammengelegt. Das aktuelle Urteil ist das erste seiner Art über ein US-Unternehmen aufgrund von Menschenrechtsverletzungen in einem anderen Land, und möglicherweise erst der Anfang einer Reihe von weiteren strafrechtlichen Verfolgungen. Ein „Meilenstein für die Gerechtigkeit“, meint Marco Simons von der US-Menschenrechtsorganisation EarthRights International. Schließlich machen die benannten Mordfälle nur ein Prozent der Mordklagen aus, die in den USA gegen Chiquita eingereicht wurden. Tausende Betroffene könnten nun ihre Rechte einklagen.

Nicht das erste Mal

„Es ist nicht das erste Mal, dass Chiquita Brands verurteilt wurde“, weiß Mauricio Marín Sacristán von der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn. Bereits 2007 wurde der Konzern wegen der Finanzierung der AUC verurteilt. Damals musste er eine Geldstrafe von 25 Millionen Dollar zahlen. Allerdings ging das Geld nicht an die Angehörigen der Opfer. Sacristán verweist auf die unrühmliche Geschichte der United Fruit Company, die autoritäre Regierungen in der Region stützte und etwa 1954 bei dem vom US-Außenministerium und US-Geheimdienst CIA geplanten und organisierten Sturz von Jacobo Árbenz Guzmán die Finger im Spiel hatte. Der demokratisch gewählte Präsident Guatemalas hatte Arbeitsrechts- und Landreformen auf den Weg gebracht, die dem Konzern nicht in den Kram passten.

Vielleicht bringt das Urteil gegen Chiquita nun auch Bewegung in die Ermittlungen gegen andere Konzerne, die in Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen im Zwielicht stehen. So etwa gegen den in Luxemburg ansässigen und in Mexiko tätigen Bergbaukonzern Ternium. Das Tageblatt hatte darüber berichtet, dass einem Dokument der mexikanischen Generalstaatsanwaltschaft zufolge das Cártel de Jalisco Nueva Generación für die Entführung von Antonio Díaz Valencia und Ricardo Lagunes Gasca verantwortlich gilt. Das Verschwinden der beiden Menschenrechtler im Januar 2023 steht, so vermutet die Justizbehörde, in Zusammenhang mit dem Streit zwischen der örtlichen indigenen Bevölkerung und Ternium.

Dem jüngsten Urteil in Florida könnte nun eine Schlüsselfunktion in Hinblick auf zahlreiche weitere anhängende Gerichtsverfahren zukommen, sagt Jean-Louis Zeien, Co-Koordinator der aus 17 Nichtregierungsorganisationen bestehenden „Initiative pour un devoir de vigilance“ (IDV). „Auch wenn der Begriff schon häufig benutzt wurde“, so Zeien, sei der Beschluss des Geschworenengerichts als „historisch“ zu bezeichnen. „Das Urteil hat eine klare Botschaft: Wer von Menschenrechtsverletzungen profitiert und sie sogar finanziert, der darf nicht ungeschoren davonkommen.“

Dass bei Chiquita Arbeits-, Menschen- und Umweltrechte eine untergeordnete Rolle spielen, ist längst bekannt. Die Verantwortung wird nach unten ausgelagert. Zwölf-Stunden-Schichten, Hungerlöhne und das Fehlen von Arbeitsverträgen bilden den Normalfall. Wer aufmuckt, verliert seinen Job. Gewerkschafter und Umweltschützer erhielten Morddrohungen. Lange Zeit hatten die Bosse nichts zu befürchten. Der Konzern ist Weltmarktführer, nicht erst seit der Übernahme durch die brasilianische Cutrale-Safra-Gruppe 2015. Seine beiden Sitze hat Chiquita Brands International in Fort Lauderdale in Florida sowie in Etoy in der Schweiz.

Es sei zum Teil erschreckend, dass viele Konsumenten nach wie vor bereit seien, beim Kauf von Alltagsprodukten die Augen zu verschließen, sagt Zeien, der zugleich auch Präsident von Fairtrade Lëtzebuerg ist, und „ein Unding“, dass „auch heute noch Produkte ‚problemlos’ verkauft werden, die mit Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörungen und der Verschärfung der Klimakrise in direktem Zusammenhang stehen“. In diesem Fall Früchte, an denen Blut klebt.

Immerhin gehen die luxemburgischen Konsumenten mehr und mehr mit einem guten Beispiel voran: Mittlerweile stammt jede dritte in Luxemburg verzehrte Banane aus dem fairen Handel. Es seien jedoch nicht nur die Konsumenten gefordert, betont Zeien, „sondern auch die Vertriebsstrukturen“.

Sammelklage

Die Möglichkeit einer Sammelklage hat einiges bewirkt, damit die Opfer und Angehörigen von Opfern der Menschenrechtsverletzungen ihre Rechte und Entschädigungen einfordern können. Auch die Verabschiedung einer Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), der europäischen Lieferkettenrichtlinie, stimmt die Menschenrechtler optimistisch. Wie Chiquita, das auch schon in Zusammenhang mit Greenwashing gebracht wurde, künftig vorgeht, bleibt abzuwarten. Der Konzern hat angekündigt, gegen das Urteil, das noch nicht rechtskräftig ist, Berufung einzulegen.

„Das historische Urteil in den USA zu Chiquita, das laut Berichten sieben Jahre lang Todesschwadronen in Kolumbien finanzierte, hat auch einen Bezug zur Europäischen Union und zu Luxemburg bezüglich der entsprechenden Gesetzgebung, die jetzt kommen soll“, betont Jean-Louis Zeien. Er weiß, dass Arbeitgeberverbände immer wieder vor den Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit warnen, wenn die CSDDD eingeführt werde. „Die Realität sieht anders aus“, so Zeien. „Es stimmt eben nicht mehr, dass die Straffreiheit von Unternehmen in anderen Märkten wie den USA fortgesetzt werden kann und dass nur luxemburgische bzw. europäische Unternehmen zusätzliche Lasten resp. Verantwortung für ihre Lieferketten zu tragen hätten.“

Die „Initiative pour un devoir de vigilance“ fordert die hiesige Regierung daher auf, über den Minimalkonsens der Richtlinie hinauszugehen. Denn diese werde die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, strengere Bestimmungen in ihr nationales Recht aufzunehmen, worauf auch der zuständige EU-Kommissar für Justiz und Rechtsstaatlichkeit Didier Reynders immer wieder hingewiesen hat. Eine ehrgeizige nationale Umsetzung, so Zeien, könne so manche Lücke schließen.

Dies könne auf verschiedenen Ebenen geschehen. Zeien nennt drei Beispiele: 1. das Anheben der Verjährungsfrist (etwa auf zehn Jahre) für das Einreichen einer zivilrechtlichen Haftungsklage, die gemäß der Richtlinie mindestens fünf Jahre betragen muss und die sich oft als unzureichend erwiesen habe; 2. eine Umkehr der Beweislast zugunsten der Opfer von Menschenrechtsverletzungen (dies war die Position der luxemburgischen Vorgängerregierung während der Verhandlung der Direktive); 3. Luxemburg könnte dafür sorgen, dass die Opfer Zugang zu einem wirksamen kollektiven Rechtsschutzmechanismus haben – wenn sie etwa automatisch zur Teilnahme an einer Sammelklage zugelassen werden. In diesem Sinne sind die CSDDD und das Chiquita-Urteil Meilensteine, aber eben auch nur Zwischenschritte.

Grober J-P.
28. August 2024 - 9.53

Habe immer gedacht die Brasilianischen Eigentümer wären doch etwas koscher. Ist wie überall, Milliardäre können es nicht lassen.