LuxemburgGrünes Paradies in der Betonwüste: Warum sich Menschen für Schrebergärten begeistern

Luxemburg / Grünes Paradies in der Betonwüste: Warum sich Menschen für Schrebergärten begeistern
Eine grüne Oase inmitten der Betonwüste: die Gartenanlage der „Gaart an Heem“-Sektion Gasperich  Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Was treibt Menschen an, die sich um einen Kleingarten bemühen? Um das kleine grüne Idyll ist in der letzten Zeit geradezu ein Hype entstanden. Ein Kleingarten gilt längst nicht mehr als verstaubtes Relikt des 20. Jahrhunderts. Zwar verzeichnete die Liga „Gaart an Heem“ jahrelang schwindende Mitgliederzahlen. Heute ist jedoch die Nachfrage größer als das Angebot, es gibt Wartelisten für eine Parzelle.

Wenn man es nicht weiß, würde man das grüne Paradies inmitten der Betonwüste der „Cloche d’Or“ mit Hochhäusern und Konsummeile gar nicht erst finden. Ganz davon abgesehen, dass man es in der Umgebung auch nicht vermuten würde. Ein Meer aus Kornblumen, Margeriten, anderen Wiesenblumen und Rosen empfängt am Eingang zur Gartenanlage der „Gaart an Heem“-Sektion Gasperich, deren Mitglieder das knapp ein Hektar große Gelände bewirtschaften.

Der Blick auf vereinzelt durch das dichte Grün schimmernde obere Etagen der Wohnblocks erinnert daran, dass man sich gerade mitten in einem noch relativ neuen und dicht besiedelten Wohn- und Geschäftsviertel befindet. Die Anlage in Gasperich ist eine von elf solcher Oasen in der Hauptstadt. Denen, die dort eine Parzelle – gemeinschaftlich oder allein bewirtschaften – ist das Stückchen Land fast schon heilig. Sehnsuchtsorte wie diese sind nicht selbstverständlich, die Konkurrenz ist groß. Wartezeiten betragen oft Jahre.

Viele nehmen das trotzdem in Kauf. Die Motive, warum Menschen sich um eine Parzelle bewerben und gerade in jüngster Zeit verstärkt den Kontakt zu „Gaart an Heem“ suchen, sind unterschiedlich. Schließlich investieren sie Arbeitskraft und Zeit in etwas, was ihnen nicht gehört. Zwei Beweggründe scheinen die meisten zu haben: Gemeinschaft mit anderen erleben und eine Oase für die Flucht aus dem Alltag haben. Auf Katrina Heinen (65) trifft das zu.

Der Sehnsuchtsort: Ein Stück Schrebergarten wollen viele
Der Sehnsuchtsort: Ein Stück Schrebergarten wollen viele Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Der soziale Aspekt hat eine lange Tradition 

Katrina Heinen (65) ist erst seit kurzem dabei und bewirtschaftet zusammen mit anderen einen Gemeinschaftsgarten
Katrina Heinen (65) ist erst seit kurzem dabei und bewirtschaftet zusammen mit anderen einen Gemeinschaftsgarten Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

„Socializing“ und „in einer netten Gruppe zusammenarbeiten“ fällt in einem Gespräch mit ihr häufig. Sie sagt es zufrieden und wie jemand, der für den Lebensabend gefunden hat, was er sucht. Die ehemalige Investmentbankerin mit chinesischen Wurzeln hat ein von Internationalität und vielen Umzügen geprägtes Leben hinter sich. Ihren luxemburgischen Mann lernt sie beim Studium in Los Angeles kennen. Danach geht es hinaus in die Welt.

China, Vietnam, Thailand und die Philippinen sind für das Ehepaar Heimat auf Zeit. Ihr Mann arbeitet bei internationalen Finanz-Organisationen. Nach der aktiven Karriere lässt sich das Paar 2015 endgültig wieder in Luxemburg nieder. Das Eigenheim weicht einer Eigentumswohnung in einer oberen Etage der Hochhäuser auf der Cloche d’Or. Die Kinder sind aus dem Haus. Warum gerade „Gaart an Heem“? „Ich wollte mich bewegen und danach ein Resultat haben“, sagt Heinen zur Motivation für die Gartenarbeit. Sie ist motiviert.

An diesem feucht-heißen Tag hat sie leere Plastikflaschen dabei, mit denen sie der Schneckenplage zu Leibe rücken will. Es war der Tipp eines Gartenkollegen. Sie steuert das Chalet der Sektion an. An dem Versammlungsort, der für besondere Anlässe an Mitglieder vermietet wird, ist immer jemand anzutreffen, der mit Rat und Tat weiterhilft. Es ist Heinens erste Gartensaison, sie ist erst seit etwas mehr als einem Jahr dabei. Ihre Obststräucher gedeihen, ihre Kräuter außer dem Estragon auch. „Ich denke, er braucht einen sandigeren Boden“, sagt sie ganz fachmännisch über ihr Kräutersorgenkind.

Es gibt lange Wartelisten 

Sorgen bereitet aber noch etwas anderes. Bohnen, Sellerie, Mangold, das Gemüse ihrer Gärtnerkollegen haben die Schnecken weggefressen. Das Bedauern darüber ist groß, schließlich ist alles mit Schweiß und Herzblut selbst angebaut. Heinen bewirtschaftet zusammen mit acht anderen einen Gemeinschaftsgarten. Sie hatte Glück. Obwohl zum Zeitpunkt ihrer Anmeldung 15 bis 20 Namen auf der Warteliste stehen, ist kurze Zeit später ein Platz in der Gruppe frei. Normalerweise hätte sie ein bis zwei Jahre warten müssen.

Liesa Opitz (36), zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit bei „Gaart an Heem“
Liesa Opitz (36), zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit bei „Gaart an Heem“ Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Gemeinsam getragene Verantwortung und ein überschaubares Stück Garten, deren Bewirtschaftung sie leisten kann, es passt und Heinen sagt zu. Sie hat sich richtig eingeschätzt, das ist nicht immer der Fall. Große Gartenstücke sind trotz großer Nachfrage schwer zu vermitteln. „Bei 100 Quadratmetern, die es zu bewirtschaften gilt, bekommen viele angesichts der Arbeit große Augen“, sagt Liesa Opitz (36), bei „Gaart an Heem“ zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit.

Mann, Kinder, beide berufstätig, das alles braucht Zeit und ist heutzutage die Regel. Dennoch ist der Wunsch, mitzumachen und sich in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter wiederzufinden, groß – gerade in einer Stadt mit über 70 Nationalitäten unter den Einwohnern. Der soziale Aspekt hat eine lange Tradition bei „Gaart an Heem“. Das bestätigt die Präsidentin des alteingesessenen Vereins Martine Mergen (67), die selbst leidenschaftlich gern gärtnert. Allerdings in ihrem eigenen Garten.

Land ist knapp und teuer 

Die Liga „Gaart an Heem“ entsteht 1928 aus dem Zusammenschluss von „Coin de terre et du foyer“, „Cercle horticole“ und „Amis de la fleur“. Etwas mehr als 36.000 Mitglieder gibt es zu den Hochzeiten. „Früher gab es in jedem Dorf einen Kleingartenverein“, sagt Präsidentin Mergen. Wer nicht der örtlichen Harmonie municipale oder der Feuerwehr beitreten wollte, war bei „Gaart an Heem“ aktiv. Soziale Netzwerke entstehen, als Social Media noch ein Fremdwort ist, und fördern Solidarität. Man half sich in vielen Lebenslagen, vermittelte Gärten untereinander, manchmal sogar Eigenheime.

Es ist die Zeit, in der viele große Unternehmen das Vereinsleben als Freizeitbeschäftigung ihrer Mitarbeiter unterstützen. Nicht nur Gemeinden, sondern auch große Unternehmen wie Villeroy & Boch oder ArcelorMittal, damals noch Arbed, stellten den Kleingärtnern Gelände zur Verfügung. Knapp die Hälfte der insgesamt 97 Sektionen der Liga haben bis heute keinen eigenen Garten. Das gilt auch für Gasperich, das Gelände ist von der Stadt gepachtet. Ein Gemeindereglement macht Auflagen. Die Pächter müssen gewährleisten, dass 75 Prozent der gepachteten Fläche bewirtschaftet wird und nicht brach liegt.

Der Verpächter seinerseits hält Wege und Infrastruktur in Ordnung. Jede Parzelle hat einen Zugang zu Wasser mit eigenem Zähler. Abgerechnet wird mit der Stadt. Knapp 100 Jahre nach der Gründung der Liga hat sich vieles verändert. Eine Pandemie hat nach Zeiten des Mitgliederrückgangs, 2022 werden nur noch rund 15.600 Mitglieder gezählt, das Interesse an Natur und den Aufenthalt im Grünen wieder aufleben lassen. Die Wohnungskrise führt dazu, dass viele sich einen eigenen Garten – egal wie groß – nicht mehr leisten können. Und die Klimakrise weckt das Bewusstsein dafür, dass Grünflächen inmitten von viel Beton mehr Lebensqualität schaffen.

Lucilio „Loutsch“ Gonçalves (50) inmitten seiner legendären Tomaten: Er bewirtschaftet seit zwei Jahren seine eigene Parzelle und ist seit sieben Jahren Kleingärtner
Lucilio „Loutsch“ Gonçalves (50) inmitten seiner legendären Tomaten: Er bewirtschaftet seit zwei Jahren seine eigene Parzelle und ist seit sieben Jahren Kleingärtner  Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Das Paradies als Ausstieg aus dem Alltag 

In den Kontext gehört die Tatsache, dass die Liga „Gaart an Heem“ seit 1993 als Naturschutzvereinigung staatlich anerkannt ist, deren Statuten heute aktueller denn je sind. Garten- und Obstbau als Freizeitbeschäftigung unterstützen, das Vereins- und Kulturleben fördern und über Gartenarbeit näher an die Natur und ihre Zusammenhänge rücken, gehören unter anderem zu den selbst gegebenen Aufgaben der Liga. Es sind alles Anliegen, die heute in zweckmäßigen Apartmentbauten – meist ohne Balkon – nur schlecht gelingen.

Hinzu kommt, dass Land inzwischen extrem teuer und vor allem begehrt ist. Dennoch blickt Präsidentin Mergen voller Tatendrang in die Zukunft. „Es ist unser Bestreben, weitere Gärten zu bekommen“, sagt sie und lässt keinen Zweifel daran, dass dieses Unterfangen nicht unversucht bleibt. Die Nachfrage gibt ihr recht – auch wenn die Zukunft in Mergens Augen im Gegensatz zu früher heute eher in Gemeinschaftsgärten liegt. Zurück nach Gasperich: Mittlerweile haben sich am Chalet noch andere Gärtner und Ligamitglieder eingefunden und eine lebhafte Debatte zur Schneckenbekämpfung ist im Gang.

Luciano Gonçalves, genannt „Loutsch“ (50), ist einer, der sich dazugesellt. Ihn kennen hier viele. Er hat eine eigene Parzelle, sie ist sein zweites Zuhause. Täglich ist er da, um seine Obst- und Gemüsepflanzen zu bearbeiten. Es sind so viele, dass der Eindruck entsteht, er könne damit ein ganzes Restaurant versorgen. Seine Tomaten genießen einen legendären Ruf und sind nach einem Blick in das Zelt, wo sie reifen, bald zum Verzehr geeignet. Von einer „Schneckenplage“ ist auf seinem Stück Land nichts zu sehen.

Das Chalet der Sektion Gasperich kann man mieten
Das Chalet der Sektion Gasperich kann man mieten Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Der Garten spiegelt den Gärtner 

Der Garten ist sein Ausgleich. „Hier kann ich runterfahren und ,chillen‘, das alles hier beruhigt mich“, sagt „Loutsch“ über sein Kleingärtnerdasein. Und in der Tat: In seinem grünen Paradies mit dem kleinen Chalet ist die Enge der umgebenden Hochhäuser weit weg. Es ist eine andere Welt, die er hier ungestört genießen kann und das krasse Gegenteil von seinem Alltag. Die Arbeit als selbstständiger Requisiteur in der Filmbranche ist stressig. Sein Einstieg in den Beruf ist Andy Bauschs Kultfilm „Troublemaker“. Das war 1988. 

Die „Ernte“ ist jedes Mal der Höhepunkt seines Gartenjahres. Dieses Jahr hat er schon Zwiebeln geerntet und der Knoblauch hängt zum Trocknen im Chalet. Die Zufriedenheit, Lebensmittel aus eigener Produktion zu genießen, ist unvergleichlich. „Das schmeckt alles viel besser als gekauftes Obst und Gemüse“, sagt er. Wenn er dann daraus ein Gericht zubereitet und beim „Patt“ mit Freunden auf der Bank vor seinem Chalet zusammensitzt, gibt es nichts Schöneres.

„Das ist besser als auf jeder Terrasse in der Stadt zu sitzen“, sagt er. Seine Gärtnerkarriere beginnt vor sieben Jahren in einem Gemeinschaftsgarten. Als vor zwei Jahren die Parzelle, die er jetzt bewirtschaftet, frei wird, schlägt er zu. Er will sein eigenes Stück bearbeiten. Dabei ist über die Jahre eine Überzeugung gewachsen. „Ein Garten spiegelt die Person, die ihn bearbeitet“, sagt er mit Inbrunst. Wenn das stimmt, dann ist er fleißig, überaus kreativ und hat einen sehr guten „grünen Daumen“. Das erzählt sein Garten über ihn. 

„Gaart an Heem“ und die Zukunft

Die Sektion Gasperich hat rund 120 Mitglieder. 63 davon haben eine Parzelle oder ein Stück in einem Gemeinschaftsgarten. Fast hundert Jahre nach der Gründung ist die Liga „Gaart an Heem“ dabei, sich zu modernisieren. Ein neues Vereinshaus mit Modellgarten ist in Beggen geplant sowie neben der Vereinszeitung ein Newsletter für die Mitglieder. In der neuen Zentrale soll ein Ausbildungszentrum entstehen, in dem zu Gartenthemen wie Obstschnitt, Rosenschnitt oder Kompostieren Kurse angeboten werden. Die Sektionen Dudelange mit 318 Mitgliedern, Cents mit 317 Mitgliedern und Hautcharage mit 311 Mitgliedern sind nach Angaben der Liga gemessen an der Zahl der Mitglieder die größten.