LuxemburgAuf die Zerstörung folgte Hilfsbereitschaft: Vor fünf Jahren wütete ein Tornado im Südwesten

Luxemburg / Auf die Zerstörung folgte Hilfsbereitschaft: Vor fünf Jahren wütete ein Tornado im Südwesten
Nach dem Unglück folgte der Wiederaufbau Foto: Julien Garroy/Editpress

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Am 9. August 2019 raste ein Tornado über Bascharage, Petingen, Lamadelaine und Rodange hinweg und verursachte Schäden in Millionenhöhe. Etliche Dächer wurden weggefegt, viele Einwohner mussten umquartiert werden. Ein Rückblick fünf Jahre danach.

Die Szenen, die sich am späten Sommernachmittag im August 2019 im Südwesten des Landes abspielten, kannten die meisten der Einwohner bis dahin wohl nur aus Katastrophenfilmen. Zwischen 17.35 und 17.50 Uhr fegte ein Tornado über die Ortschaften Petingen, Lamadelaine, Rodange und Bascharage hinweg und hinterließ eine Schneise der Verwüstung. In nur 15 Minuten beschädigte der Sturm zahlreiche Autos, deckte Dächer ab, knickte Strommasten um.

Über 1.000 Anrufe gingen in der ersten Stunde nach der Katastrophe bei der Notrufzentrale ein. 19 Personen wurden verletzt, davon zwei schwer. 60 Menschen konnten die Nacht nicht in ihrem Haus verbringen. Die meisten kamen in Hotels unter, andere bei Freunden und Verwandten. Über 100 Feuerwehrleute waren in den Tagen danach mit Aufräumarbeiten beschäftigt, nebst den Gemeindearbeitern der beiden Gemeinden Käerjeng und Petingen. Unterstützt wurden sie von der Armee, die mit Spezialwerkzeug anrückte.

Enorme Hilfsbereitschaft

Vergessen sollte man nicht die zahlreichen Menschen, die sich spontan entschlossen, freiwillig zu helfen. Der damalige Petinger Bürgermeister Pierre Mellina sagte eine Woche nach der Katastrophe in einem Tageblatt-Interview: „Ich bin überwältigt von der enormen Hilfsbereitschaft, die sich nach dieser Katastrophe zeigt.“

Zahlreiche Freiwillige fanden sich u.a. am 17.8.2019 im „Käerjenger Treff“ ein, um bei einer Putzaktion zu helfen
Zahlreiche Freiwillige fanden sich u.a. am 17.8.2019 im „Käerjenger Treff“ ein, um bei einer Putzaktion zu helfen Foto: Editpress-Archiv/Didier Sylvestre

Eine Anwohnerin aus Bascharage, deren Haus durch den Sturm unbewohnbar wurde, sagte damals: „Diese Solidarität ist fantastisch! So etwas habe ich noch nie erlebt. Am Sonntag, also zwei Tage nach der Katastrophe, tauchten auf einmal zahlreiche Menschen hier auf, darunter sehr viele junge Leute, die ich persönlich nicht gekannt habe, aber wahrscheinlich Bekannte hier haben, und packten hier ordentlich mit an.“

Etwa 300 Haushalte hatten Schäden an ihren Häusern zu vermelden. Manche von ihnen waren noch Jahre danach nicht bewohnbar. Eine Betroffene aus Petingen sagte uns, dass erst zwei Jahre danach die Sturmschäden an ihrem Haus komplett behoben waren (s. Kasten).

Die Soforthilfe vor Ort sei damals die größte Herausforderung gewesen, vor allem die Betroffenen anderswo unterzubringen, sei schwierig gewesen, erinnert sich der heutige Bürgermeister und damalige Schöffe Jean-Marie Halsdorf. Im Nachhinein waren es vor allem Versicherungsfragen, die zu schaffen machten – bei manchen Menschen habe es ein Jahr gedauert, bis alles geklärt war. Große direkte finanzielle Unkosten habe die Gemeinde nicht erlitten, gekostet habe das Ganze vor allem zahlreiche Arbeitsstunden.

Wenige Tage nach der Katastrophe schätzten die Versicherungen, dass sich der Gesamtschaden am Ende auf 100 Millionen Euro belaufen würde.

Tornados: kein seltenes Phänomen

Laut einer Analyse des „European Severe Storms Laboratory“ (ESSL) handelte es sich um einen Tornado der Stufe F2 mit Windgeschwindigkeiten von 180 bis 250 km/h. Ein solcher Sturm sorgt laut der benutzten Fujita-Skala für „erhebliche Schäden“.

Das Wetterphänomen war damals aus Frankreich herangezogen. Nahe der Stadt Reims hatte sich eine „Superzelle“ gebildet – eine besonders große Gewitterwolke –, die Ursprung des Tornados war, der wenig später bei Longwy entstand und ab 17.30 Uhr mit maximaler Intensität über Petingen und Käerjeng wütete.

Tornados sind in unserer Region allerdings gar nicht so selten, erklärt Wetterexperte Philippe Ernzer von Météo Boulaide, der auch für die tägliche Wetterseite im Tageblatt und regelmäßige Berichte auf diesen Seiten verantwortlich zeichnet: Am 17. Juni 2021 richtete z.B. ein Tornado der Stärke F3 in Belgien bei Houffalize große Schäden an, glücklicherweise in einem wenig bewohnten Gebiet, lediglich ein Bauernhof war betroffen.

Dass die Stürme vermehrt durch den Klimawandel auftreten, kann Philippe Ernzer aber nicht bestätigen. „Dafür gibt es keine eindeutigen Belege. Es kann durchaus sein, dass der digitale Fortschritt dazu beigetragen hat, dass mehr Stürme dokumentiert werden.“ Mit dem Mobiltelefon könnten schnell Videos von Stürmen gemacht und in den sozialen Netzwerken veröffentlicht werden, wodurch man subjektiv den Eindruck gewinne, es gebe mehr Stürme. „Es ist wohl eher der Fall, dass durch den Klimawandel die Intensität dieser Wetterphänomene zunimmt.“

„Ich schaute hoch und sah den Himmel“

Fanny Ludig wohnt in einem der Häuser in der rue Neuve, bei denen der Tornado das gesamte Dach abgedeckt hatte. Sie befand sich zu diesem Zeitpunkt im Badezimmer, durch ein Fenster mit Glasbausteinen sah sie, wie eine Thuja in ihrem Garten immer schneller hin und her wippte; eine Rolllade wurde immer stärker gegen das Fenster gedrückt. Sie sah wohl, dass es ein sehr heftiger Sturm war, doch wie stark er tatsächlich war, sollte sie erst später begreifen.
„Ich erinnere mich, dass es auf einmal sehr hell im Zimmer war. Ich schaute hoch und sah den Himmel. Ich war wie versteinert, aber realisierte zu dem Moment noch gar nicht, dass das Dach nicht mehr da war.“ Als sich der Sturm gelegt hatte, ging sie in den Garten, der allerdings komplett verwüstet war. „Garten konnte man das nicht mehr nennen.“
Erst als ihr Nachbar zu ihr kam – der Zaun zwischen beiden Grundstücken war ebenfalls weg – und ihr sagte, dass das Dach ihres Hauses weg sei, habe sie begriffen, was da gerade passiert sei. „Doch das war mir in dem Moment egal, ebenso wie der Umstand, dass mein noch nagelneues Auto total zerstört war. Meine einzige Sorge galt in dem Moment meiner Katze. Ich musste sie über eine Stunde lang suchen, sie hatte sich in einem Zimmer in einer Kiste versteckt.“
Die Rettungsdienste seien nicht sofort bei ihr gewesen, auf die provisorische Dachbedeckung musste sie ein paar Stunden warten. „Die war eigentlich nur für einen bis drei Monate gedacht, am Ende blieb sie ein Jahr.“
Fanny rief ihre Eltern an. Ihr Vater habe erst gar nicht glauben wollen, was er hörte: Es gebe doch keine Tornados in Luxemburg. Ihre Eltern hätten einige Mühe gehabt, zu ihr zu gelangen, da etliche Straßen wegen Trümmerteilen nicht passierbar waren.
Ein Jahr hat Fanny bei ihren Eltern und Freunden gelebt, danach noch ein Jahr in einem Studio der Gemeinde. Rund zwei Jahre habe es gedauert, bis sie in ihr Haus zurückkonnte. Durch das fehlende Dach habe das Regenwasser große Schäden angerichtet; so habe es lange keine funktionsfähige Heizung im Haus gegeben. Auch wenn die Arbeiten lange dauerten, die Hilfe der Gemeinde sei sehr gut und die Entschädigungen aus dem damals eingerichteten Hilfsfonds seien ausreichend gewesen.

 Foto: Editpress-Archiv/privat


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Miette
9. August 2024 - 22.00

Es ist ja normal, zu helfen und zu spenden wenn Mitmenschen in solche Not geraten. Mich persönlich berühren die Bilder der Verwüstung noch immer, es geht so rasch und Familien verlieren durch Naturgewalten Hab und Gut.
Kann uns alle mal treffen:-(((