USANATO-Gipfel als Test für den angeschlagenen Biden

USA / NATO-Gipfel als Test für den angeschlagenen Biden
Wie richtungsweisend wird der NATO-Gipfel für US-Präsident Joe Biden? Foto: AFP/Saul Loeb

Für US-Präsident Joe Biden könnte diese Woche entscheidend sein. Beim dreitägigen NATO-Gipfel in Washington will sich der 81-jährige Gastgeber bis Donnerstag als „Anführer der freien Welt“ präsentieren. Er will zugleich die Zweifel ausräumen, dass er einer zweiten Amtszeit physisch und mental gewachsen ist.

Biden kämpft seit dem katastrophalen Fernsehduell gegen seinen republikanischen Herausforderer Donald Trump vor gut zehn Tagen um sein politisches Überleben. In seiner Demokratischen Partei werden die Rufe lauter, er müsse Platz für eine oder einen Jüngeren machen. Das strahlt auch auf die NATO aus. Im Bündnis gibt es erste Überlegungen, wer die mögliche Machtlücke füllen könnte. 

Das Weiße Haus dementierte vor dem dreitägigen Jubiläumsgipfel zum 75-jährigen Bestehen der Allianz Berichte, die anderen 31 NATO-Länder seien besorgt über Bidens Führungsqualitäten, weil er bei dem Fernsehduell vor gut zehn Tagen fahrig und abwesend gewirkt hatte. Für solche Sorgen der Verbündeten sehe die Regierung „keinerlei Anzeichen“, hieß es.

Teilnehmer und Medien werden jeden Schritt und jede Äußerung des US-Präsidenten genau beobachten und kommentieren. Zum Auftakt hat Biden die Staats- und Regierungschefs zu einer Feierstunde in den Saal eingeladen, wo zwölf Länder den Nordatlantikpakt am 4. April 1949 besiegelten.

Auch damals war ein Demokrat Präsident: US-Präsident Harry S. Truman nannte die NATO knapp vier Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur und zu Beginn des Kalten Kriegs ein „Bollwerk“ gegen Angreifer nach der „Tragödie“ der beiden Weltkriege. Der 64-jährige Truman sprach mit fester Stimme und ließ dem Zeitgeist gemäß einiges Pathos mitschwingen. Biden wird seine Rede wie üblich vom Teleprompter ablesen, das freie Sprechen liegt ihm nicht.

„Unsere Verbündeten erwarten eine Führungsrolle der USA“, hatte Biden erst zu Wochenbeginn bekundet. „Wer sonst könnte hier einspringen und dies tun? Ich habe die NATO erweitert, ich habe die NATO gefestigt“, rühmte er sich. Tatsächlich gilt Biden im Bündnis als einer der europafreundlichsten US-Präsidenten seit langem. Unter ihm sind Finnland und Schweden beigetreten, die Ukraine ist einer Mitgliedschaft immerhin einen Schritt näher gekommen. Anders als Trump hat Biden den Europäern weder mit dem Aufkündigen des Beistandsversprechens gedroht noch sie wegen ihrer niedrigeren Verteidigungsausgaben gedemütigt.

Aber auch Biden konzentriert sich geopolitisch immer stärker auf den Indopazifik und die Rivalität mit China. Deshalb müssen die Europäer mehr Lasten schultern – ganz unabhängig davon, wer nächster US-Präsident wird. Damit richten sich „automatisch viele Augen“ auf Deutschland als zweitgrößten Verbündeten nach den USA, wie es in Berliner Regierungskreisen heißt. Kanzler Olaf Scholz wolle ohne „Allüre eines Führungsanspruchs“ seiner Verantwortung gerecht werden. Ohne Gleichgesinnte ist Deutschland jedoch nicht handlungsfähig. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist durch die Europawahl und die hastig ausgerufene Parlamentswahl geschwächt, selbst wenn letztere nicht zu dem vielerorts befürchteten Sieg der Rechtspopulisten geführt hat. Stark kann bei seinem ersten Gipfel der neue britische Premier Keir Starmer nach seinem Wahltriumph auftreten. Auch Polens Regierungschef Donald Tusk sitzt nach den Europawahlen fester im Sattel.