ItalienNeue Spur des „Monster von Florenz“?: DNA wirft Fragen zu ungeklärter Mordserie auf

Italien / Neue Spur des „Monster von Florenz“?: DNA wirft Fragen zu ungeklärter Mordserie auf
Bei den Ermittlungen in Florenz ging einiges schief Foto: dpa/Christoph Sator

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Forensische Genetiker haben an einem Projektil neue DNA-Spuren analysieren können. Die Kugel gehörte zu jenen, die die französischen Touristen Nadine Mauriot und Jean Michel Kraveichvili getötet haben. Sie waren die letzten Opfer einer Mordserie, die zwischen 1968 und 1985 dem Monster von Florenz zugeschrieben wurden. Bislang ist diese DNA nicht identifiziert, sie konnte jedoch auch auf Projektilen in zwei weiteren Fällen der Serie nachgewiesen werden. Die Spuren könnten endlich zum Täter führen und der Fall so neu aufgerollt werden.

Sie gehörten zu den spektakulärsten Mordfällen in der italienischen Kriminalgeschichte des 20. Jahrhunderts. Acht Doppelmorde wurden dem „Monster von Florenz“ zugeschrieben. Getötet wurden mit einer Ausnahme stets Liebespaare, die sich zu einem Stelldichein an abgelegenen Orten der Arnometropole aufgehalten hatten. Bei den Taten wurde immer dieselbe Waffe, eine Beretta vom Kaliber 22, verwendet. Jetzt hat es Lorenzo Iovino, ein italienischer Hämatologe, der gewöhnlich am Fred-Hutch-Krebszentrum in Seattle arbeitet, geschafft, eine bislang nicht identifizierte DNA auf einem Projektil zu lokalisieren. Dieses wurde beim Mord an Nadine Mauriot und Jean Michel Kraveichvili am 8. September 1985 in San Casciano benutzt. Das französische Paar war in seinem Zelt erschossen worden. Die Kugel stammt von einer .22-Kaliber-Winchester-Patrone und wurde 2015 in einem Kissen gefunden, das dem Paar gehörte. 

Dieselbe DNA wurde gleichartigen Patronen in zwei weiteren Mordfällen entnommen: nach der Ermordung der beiden deutschen Studenten Horst Wilhelm Meyer und Jens-Uwe Rusch im September 1983, die nach Einschätzung der Ermittler mutmaßlich für ein Paar gehalten wurden, sowie nach der Ermordung des italienischen Paares Pia Rontini und Claudio Stefanacci im Juli 1984. Es stellte sich heraus, dass diese DNA nicht identisch ist mit der des Ballistikers, der die Kugel gefunden hatte, und auch nicht mit der des Genetikers Ugo Ricci, der sie untersucht hatte.

Fall neu aufrollen

Experten gehen nun davon aus, dass es sich bei der DNA um die des Täters handeln könnte. Sie erklären das Erscheinen der Spuren auf den Projektilen damit, dass diese sich beim Nachladen der Waffe abgelagert haben könnten und auch durch den jeweiligen Schuss nicht verwischt wurden. Die DNA könne sich als „sehr wichtig“ erweisen, sagte der Anwalt Daniele Piccione der Nachrichtenagentur AFP. Er leitete einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu einem bislang ungelösten Aspekt der Mordserie. Der Ausschuss beendete 2022 seine Arbeit.

Der Anwalt der Familie des französischen Ehepaares Mauriot und Kraveichvili, Vieri Adriani, hat bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in Florenz bereits eine Wiederaufnahme der nie völlig geklärten Fälle beantragt. Gegenüber der Tageszeitung La Repubblica erklärte Adriani, man überlege auch, eine Exhumierung der 1974 mit ihrem Freund ermordeten Stefania Pettini zu beantragen. Nach Aussagen des damaligen Gerichtsmediziners hatte es Kampfspuren an Pettinis Leiche gegeben. Möglicherweise würden sich nun – 50 Jahre nach der Tat – noch DNA-Spuren des Täters unter den Fingernägeln der Begrabenen feststellen lassen. Sollten sich diese als identisch mit den jetzt sichergestellten Spuren an den Projektilen erweisen, käme man einer endgültigen Aufklärung der Mordserie ein deutliches Stück näher, zeigte sich der Anwalt überzeugt.

Mysteriöse Mordfälle

Das „Monster“ oder die „Monster“ von Florenz terrorisierte die Hauptstadt der mittelitalienischen Region zwischen 1974 und 1985. 14 Menschen wurden ermordet, darunter sechs Paare, von denen die meisten in ihrem Auto erschossen wurden, während oder nachdem sie Sex hatten. Italien durchlebte damals eine „bleierne Zeit“: Gewalt der Mafia, der linksextremen Roten Brigaden und bewaffneter rechtsextremer Gruppen führte zu tausenden Toten. 

Die Aufklärung der Mordserie wurde durch die Konkurrenz zwischen zwei Ermittlungsbehörden – der regulären Polizei und den Carabinieri – sowie zwischen Staatsanwälten und Richtern erschwert. Wer die Untersuchungen in einem Fall leitete, tat sein Möglichstes, um Ergebnisse vor dem konkurrierenden Organ geheim zu halten. Nur so ist erklärlich, dass in dieser Kriminalgeschichte die obskursten Spuren verfolgt und mehrere Täter präsentiert wurden, von denen jedoch nicht einer eindeutig überführt werden konnte.

Die Tatwaffe in der Mordserie – eine halbautomatische Beretta – wurde nie gefunden. Oftmals stach der Mörder noch auf die Toten ein und verstümmelte die Körper der jungen Frauen auf grausame Weise. Die Beretta wurde 1968 erstmals bei einem Mordfall eingesetzt. Der damals verurteilte Täter Stefano Mele saß allerdings bei den weiteren Verbrechen ein oder befand sich im Hausarrest. Ungeklärt blieb auch, wie die Waffe aus der Asservatenkammer der florentinischen Polizei verschwinden konnte, um dann beim nächsten Mord an Stefania Pettini und Pasquale Gentilcuore 1974 wieder aufzutauchen. In der Zwischenzeit sollte sie bei verschiedenen Delikten, deren Täter aus dem Freundeskreis Meles stammten, benutzt worden sein, ohne dabei direkt als Mordwaffen eingesetzt zu werden. Da alle Beteiligten aus sardischen Familien stammten, gingen die Ermittler bei den Doppelmorden von der „sardischen Spur“ aus, die jedoch auch nicht bestätigt wurde.

Experte rät zur Vorsicht

Mitte der 80er-Jahre geriet der Bauer Pietro Pacciani in den Blickwinkel der Ermittlungen – doch während des letzten Mordfalles saß auch er hinter Gittern. Dennoch wurde er 1994 für die acht Doppelmorde angeklagt und zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Er wurde von der Anklage als gewalttätig und sexbesessen dargestellt und war bereits 1951 wegen Mordes verurteilt und 1987 wegen Vergewaltigung seiner beiden Töchter inhaftiert worden. Pacciani, der seine Unschuld beteuerte, wurde im Berufungsverfahren zwei Jahre später freigesprochen. Ein neuer Prozessversuch scheiterte, als Pacciani am 22. Februar 1998 in seiner Wohnung tot aufgefunden wurde. Eine Autopsie stellte einen „natürlichen Tod“ fest und dementierte damit Gerüchte, nach denen der Bauer ermordet wurde. Zwei seiner angeblichen Komplizen, Mario Vanni und Giancarlo Lotti, wurden ebenfalls für schuldig erklärt und inhaftiert. Beide sind gestorben.

Mitte der 90er-Jahre übernahm der aus Sizilien stammende Kriminalist und Autor Michele Giuttari die Mordkommission Florenz und damit auch die Ermittlungen im Falle des „Monsters“. Giuttari erhob schwere Vorwürfe gegen den bisher tätigen Ermittlungs- und Justizapparat: Viele Dokumente und Beweisstücke seien „verschwunden“ und „verloren“, Spuren verschleiert oder nicht verfolgt wurden. Giuttari ging in seinen Thesen davon aus, dass hinter der Mordserie prominente Kreise steckten, die bei sogenannten „Schwarzen Messen“ weibliche Schamteile, welche bei den Ermordeten entfernt wurden, opferten. Diese einflussreichen Kreise hätten systematisch die Ermittlungen behindert, so der Kriminalist.

Roberto Taddeo rät hingegen zur „größten Vorsicht“. Für den ehemaligen Anwalt und Verfasser des Buches „Das Monster von Florenz“ könnte die neue DNA auf eine Verschmutzung durch Ermittler, Techniker oder Forensiker zurückzuführen sein, die sich mit der Mordserie befasst haben. „Pacciani ist in den Augen der italienischen Justiz nicht unschuldig gestorben. Er starb vor seinem neuen Prozess“, sagte er der Nachrichtenagentur AFP.