BettelverbotReform des „Code pénal“: Klarheit oder „Wilder Westen“?

Bettelverbot / Reform des „Code pénal“: Klarheit oder „Wilder Westen“?
„Einfache Bettelei“ wird im „Code pénal“ nicht mehr strafbar sein, die Polizeiverordnung der Stadt Luxemburg aber besteht weiterhin Foto: Editpress/Julien Garroy

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Einen Tag nach Innenminister Glodens „verstärktem Platzverweis“ stellt Justizministerin Margue erste Details zur Reform des „Code pénal“ vor, um juristische Klarheit in der Causa Bettelverbot zu schaffen. Für die Opposition bleibt die zentrale Frage jedoch weiterhin unbeantwortet.

Kurz vor der Sommerpause will Elisabeth Margue (CSV) Klarheit schaffen. Am Donnerstagvormittag präsentiert die Justizministerin den Abgeordneten der Justizkommission erste Änderungen der von ihr angekündigten Reform des luxemburgischen „Code pénal“. Hauptthema: der Aufreger des ersten politischen Halbjahres, das Bettelverbot. „Wir haben nun ein für alle Mal gesagt, dass wir die einfache Bettelei als Straftatbestand streichen“, sagt Margue nach Ende der Sitzung. Das entspricht der Auslegung, der die luxemburgischen Gerichte in den vergangenen Jahren bereits gefolgt sind. Nichtsdestotrotz gebe die Entscheidung der Ministerin nun Rechtssicherheit, sagt der Vizepräsident der Kommission, Dan Biancalana (LSAP). 

Auch von „organisierter Bettelei“ sei im neuen Text des „Code pénal“ nicht mehr die Rede, sagt der Linken-Abgeordnete Marc Baum. Stattdessen stehe dort nur noch: „aggressive Bettelei“. Für Biancalana und seine Kollegen aus der Opposition gebe es aber noch Unklarheiten bei der Interpretation und der Beurteilung eben dieser „aggressiven Bettelei“. „Der Interpretationsspielraum ist breit“, sagt Biancalana. 

Die Justizministerin ist hingegen der Meinung, dass der neue Text „aggressive Bettelei“ klarer definiere als bislang. Inspiriert sei die Formulierung von einem französischen Gesetzestext, so Margue, „den es schon seit mehr als 20 Jahren im französischen Recht gibt und der auch zu funktionieren scheint“. Laut Margues Amtsvorgängerin Sam Tanson („déi gréng“) handle es sich dabei um das sogenannte „Loi Sarkozy“ vom damaligen Innenminister und späteren Präsidenten Nicolas Sarkozy, das 2003 zum einen eine ganze Reihe neuer Straftaten und Sanktionen schuf (z.B. in Hinblick auf Prostitution, Betteln und sogenannte „gens du voyage“), zum anderen der Polizei neue Befugnisse einräumte. Das Gesetz wurde von verschiedenen Politikern und Organisationen stark kritisiert, seine Maßnahmen als Kriminalisierung von Armut beschrieben.

In der luxemburgischen Version sei der französische Text nun weiter ausgelegt worden, so Tanson. Dort finde sich zum Beispiel die Voraussetzung aus der französischen Fassung, es müsse sich um mehrere Bettler handeln, nicht mehr wieder. „Das Wort ,aggressiv‘ gibt es bis dato nicht in unserem Strafgesetzbuch und ist auch nicht definiert“, sagt die Grünen-Politikerin. Justizministerin Margue erklärt, man habe im Kommentar eine Liste mit Verhaltensweisen angehängt, die als aggressiv verstanden werden. Dazu zählten beispielsweise Nachlaufen und an der Kleidung ziehen. Solch eine Vorgehensweise sei im Strafrecht eigentlich nicht ausreichend, sagt hingegen Tanson.

Die Justizministerin erinnert außerdem daran, dass die Polizei zwar Fälle aufnehme, letztendlich aber die Staatsanwaltschaft und die Gerichte die Einschätzung machen würden, was unter aggressiver Bettelei zu verstehen ist und was nicht.

Auf der Suche nach einer rechtlichen Grundlage

Mehr Klarheit in der Streitfrage des Bettelverbots schaffe die Reform des „Code pénal“ in den Augen der Opposition jedoch nicht. „Das aktuelle Reglement der Stadt Luxemburg bekommt dadurch keine legale Basis“, sagt Marc Baum. Für Sam Tanson („déi gréng“) stellt sich weiterhin die Frage nach der Verfassungsrechtlichkeit der bestehenden Polizeiverordnung. Laut luxemburgischer Verfassung darf eine Freiheit nur durch ein Gesetz eingeschränkt werden. Justizministerin Margue hingegen macht deutlich, dass der „Code pénal“ nie die rechtliche Grundlage für die Polizeiverordnung der Stadt Luxemburg gewesen sei. Diese basiere auf dem mittlerweile berühmten Dekret von 1789. 

Um eben jenes Dekret für die Gemeindeverordnungen zu überarbeiten, hat Innenminister Léon Gloden (CSV) ein Gesetzesprojekt angekündigt. Dort sollen, so Sam Tanson, eine Reihe von Verboten aufgeführt werden, die von den Gemeinden durchgesetzt werden können. „Einfache Bettelei“ solle aber auch dort nicht erwähnt werden, so Tanson. Das habe auch die Justizministerin bestätigt. „Wir sind also so schlau wie vorher“, sagt die Grünen-Abgeordnete.

Bereits am Mittwoch hatte Innenminister Gloden erste Details zu einem „verstärkten Platzverweis“ vorgestellt. Demnach wolle die CSV-DP-Regierung nicht nur die Behinderung öffentlich zugänglicher Ein- oder Ausgänge mit dem Platzverweis anvisieren. Auch sollten beispielsweise die Behinderung des öffentlichen Verkehrs und die Beeinträchtigung von Passanten auf öffentlicher Straße mit der Maßnahme des Platzverweises bestraft werden können. „Durch die beiden Texte ist noch mehr Verwirrung entstanden“, sagt Marc Baum. Für Sam Tanson gab es vonseiten der Regierung keine zufriedenstellende Erklärung zum Zusammenspiel von „Platzverweis“ und „Code pénal“ im Falle von „aggressiver Bettelei“. „Das sind zwei Maßnahmen, um dasselbe Verhalten zu bestrafen“, so die Grünen-Abgeordnete. „Wir fragen uns, wie sich diese beiden Texte zusammenfügen.“

Über die Verhältnismäßigkeit der neuen Befugnisse für Polizei und Bürgermeister müsse man diskutieren, sagt Dan Biancalana. Von allen präsentierten Neuerungen ist für den Linken-Abgeordneten Baum ein Aspekt des „Platzverweises“ besonders bedenklich: „Im Fall einer Wiederholung kann der Bürgermeister Richter spielen und eine Strafe aussprechen, um eine Person zwischen zwei und 30 Tagen von einem Ort zu verbannen.“ Damit sei man wirklich im „Wilden Westen“ angekommen, so Baum.

LaPlace Merissa
19. Juli 2024 - 20.48

Einfach ein Gemeindereglement einrichten, nach dem nur Bürger der jeweiligen Stadt betteln dürfen, mit einer Lizenz die man in der Gemeinde beantragen kann.