LehrergewerkschaftSEW-OGBL stellt Forderungen an Bildungsminister Meisch vor

Lehrergewerkschaft / SEW-OGBL stellt Forderungen an Bildungsminister Meisch vor
Joëlle Damé (links) und Vera Dockendorf bei der Pressekonferenz im „Casino syndical“ von Bonneweg Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Rechtzeitig zur Schul-Rentrée nächste Woche hat das „Syndikat Erzéiung a Wëssenschaft“ (SEW) des OGBL seine Forderungen an Bildungsminister Claude Meisch vorgestellt. Diese reichen von den Themen Inklusion bis Digitalisierung und beinhalten nicht zuletzt eine Stärkung der Lehrer. 

Es ist mittlerweile sein zwölftes Schuljahr, in das Bildungsminister Claude Meisch geht. Damit hat er bald die Dauer einer ganzen Schülerkarriere in seinem Amt verbracht. Weil dieses Ressort als eines der schwierigeren gilt, gehört einiges Durchhaltevermögen zur Job-Description. Was seine Dienstzeit angeht, kann zurzeit kein anderer Minister mit dem DP-Politiker mithalten – außer Premierminister Luc Frieden (CSV), der schon von 1998 bis 2013 Leiter verschiedener Regierungsressorts war.

Einen „Conseil de classe“ muss Meisch zwar nicht durchlaufen, aber längst hat es Tradition, dass die Lehrergewerkschafter vom „Syndikat Erzéiung a Wëssenschaft am OGBL“ (SEW) ihm kritische und mahnende Worte mit auf den Weg ins neue Schuljahr geben, und dies in einen ganzen Katalog an Forderungen verpackt. So auch dieses Mal. Wenn der Minister auch nicht versetzungsgefährdet ist, dann gibt es doch zumindest einiges an seiner Politik auszusetzen.

„Teachers make a difference“

„Wenn wir eine starke Schule mit starken Schülern wollen, dann brauchen wir auch starke Lehrer“, sagte SEW-Präsidentin Joëlle Damé eingangs der Pressekonferenz im „Casino syndical“ von Bonneweg. „Deshalb fordern wir das Ministerium dazu auf, jetzt zu handeln. Das ist es nicht nur den Lehrern schuldig, sondern jedem einzelnen Schüler.“ Sie zitierte dabei den international renommierten neuseeländischen Pädagogen John Hattie, ein Verfechter evidenzbasierter, quantitativer Forschungsmethoden bezüglich der Wirkungsfaktoren auf Schülerleistungen, der nicht zuletzt mit der sogenannten Hattie-Studie bekannt wurde: „Teachers make a difference.“

Ein großer Teil des schulischen Lernerfolges hänge also vom Lehrer ab. Doch andererseits seien Lehrer häufig überlastet, „und zwar auf vielfältige Art und Weise“, betont Joëlle Damé. Zum Vor- und Nachbereiten sowie zur Gestaltung des Unterrichts kommt ein immer größer gewordener administrativer Aufwand. Der Lehrer beschäftigt sich also zusätzlich zu seinen eigentlichen Aufgaben mit Berichten und Versammlungen. Sie müssten sich darüber hinaus rechtfertigen. „Unsere Mitglieder fühlen sich oft nicht gut behandelt“, weiß die SEW-Präsidentin. „Manche werden drangsaliert und unter Druck gesetzt, wenn sie sich gewerkschaftlich engagieren.“ Umso wichtiger sei es, sie über ihre gewerkschaftlichen Rechte aufzuklären. Daher gelte es, „Lehrkräfte zu stärken, um das Bildungssystem zu verbessern“.

Wenn wir zum Beispiel Kinder haben, die sogenannte Systemsprenger sind, stoßen wir an unsere Grenzen

Joëlle Damé, SEW-Präsidentin

Nicht wenige Lehrer leiden unter mentalen und physischen Problemen, wie jüngere Studien belegen. Verwiesen sei dabei auf die von der Universität Luxemburg durchgeführte nationale Umfrage „Consultation nationale des acteurs de l’école fondamentale“ (CAEF) unter 2.000 Akteuren der Grundschulen, die auf alarmierende Zustände in den Grundschulen aufmerksam machte. Dabei stellte sich heraus, dass 35 Prozent der Teilnehmer angaben, unter körperlichen Gesundheitsproblemen zu leiden, und 45 Prozent sagten, sie hätten aufgrund ihrer Arbeit mentale Probleme. 37 Prozent fühlten sich emotional ausgebrannt, 31 Prozent standen nach eigenen Worten kurz vor einem Burnout. Hauptgründe seien neben dem hohen administrativen Aufwand der Umgang mit Problemschülern und der allgemeine Leistungsabfall der Schüler – und nicht zuletzt die Herausforderungen durch Inklusion und Vielsprachigkeit. Das Ministerium hatte die Resultate monatelang zurückgehalten und als nicht repräsentabel abgetan. Dies sei ein „Schlag ins Gesicht“ aller beteiligten Lehrer gewesen, so das SEW am 25. Juni dieses Jahres.

Schöngeredete Inklusion

Joëlle Damé meinte bei der Pressekonferenz in Bonneweg: „Wir müssen die Ursachen der Probleme an der Wurzel anpacken.“ Und davon gibt es genug. Ein ganzer Themenkomplex ist etwa die Inklusion. Diese werde in der Öffentlichkeit viel zu sehr schöngeredet, dabei gebe es massiv Probleme bei der Umsetzung. Inklusion sei wichtig, aber es gibt sie nicht zum Nulltarif, so die SEW-Chefin. Ohne eine Datenbasis sei nicht festzustellen, wie viele Ressourcen tatsächlich gebraucht werden. Oft heiße es, dass in den Kompetenzzentren keine Plätze frei seien oder das Personal fehle.

„Wenn wir zum Beispiel Kinder haben, die sogenannte Systemsprenger sind, stoßen wir an unsere Grenzen“, stellt Joëlle Damé fest. „Es kommt jedoch immer häufiger vor, dass Kinder aufgrund großer sozioemotionaler Probleme nicht oder nicht den ganzen Tag beschulbar sind. Da stößt die Schule mit ihren momentanen Mitteln an ihre Grenzen.“ Viele Schulen funktionierten nach einer Art von „Notfallplan“. Die betroffenen Kinder würden dann von Stunde zu Stunde von jemand anderem beaufsichtigt. Inklusion sieht anders aus.

Während es für Verfechter der Inklusion selbstverständlich ist, dass Kinder mit und ohne Behinderung zusammen in der Schule lernen, halten ihre Gegner wie der deutsche Pädagoge Hermann Giesecke sie für einen „pädagogisch-politischen Irrtum“. Der deutsche Journalist und SPD-Politiker Mathias Brodkorb, unter anderem früherer Bildungsminister von Mecklenburg-Vorpommern, hält Inklusion für ein Mammut-Vorhaben: „Wer glaubt, dass allein Kindergärten und Schulen dies leisten können, legt schon heute die Grundlage für das mögliche Scheitern.“

Das SEW fordert, gerade die Betreuung von Schülern mit großem sozioemotionalen Förderbedarf neu zu überdenken und zu überarbeiten. Zudem müsse eine Datenbasis zu Schülern mit speziellen oder Erziehungsbedürfnissen (ESEB) geschaffen sowie der prozedurale Aufwand für die Einschulung dieser Schüler verringert werden. Nicht zuletzt braucht es mehr Psychologen, Psychomotoriker und Logopäden an den Schulen. An einer anderen Stelle fordert die Lehrergewerkschaft unter anderem kleinere Klassen von zehn bis maximal zwölf Schülern und einen Erzieher als zweiten „Intervenant“ pro Klasse.

Erhöhter Druck auf Lehrpersonal

Die beim SEW für den Bereich Sekundarstufe zuständige Vera Dockendorf sprach die steigende Zahl der Angestellten in der Lehrerschaft an, die im Vergleich zu verbeamteten Kollegen keinen Kündigungsschutz haben, wenn sie bis zu zehn Jahren angestellt sind. Der Druck auf das Lehrpersonal sei allgemein stärker geworden. An einigen Lyzeen sei dieser Druck schon struktureller Natur in Form eines respektlosen Umgangs bis hin zu Mobbing. Die Gewerkschaft fordert das Respektieren der gewerkschaftlichen Betätigung.

Vera Dockendorf erwähnte außerdem das Thema der zunehmenden Gewalt an den luxemburgischen Schulen. Minister Meisch hatte in diesem Zusammenhang auf eine parlamentarische Frage Zahlen genannt: So seien etwa im Schuljahr 2022/23 in mindestens 120 Fällen Polizisten an Schulen zum Einsatz gekommen. Die Dunkelziffer an Taten sei deutlich höher, weiß Vera Dockendorf. „Vieles wird unter den Teppich gekehrt.“

Digital nicht immer besser

Ein Dauerbrenner ist die Frage, wie an Schulen der Umgang mit Smartphones gehandhabt werden soll. Das SEW sprach sich dabei für die Schule als „handy-reduzierte Zone“ aus, nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Mobbingfälle in diesem Zusammenhang. Doch Michel Reuter, neben Vera Dockendorf SEW-Sprecher für den Sekundarbereich, wies darauf hin, dass es nicht reiche, über das Smartphone zu diskutieren, wenn die Schüler im Unterricht vor iPads oder Computern sitzen.

Der Einsatz von Tablets an Schulen sei unterschiedlich. „Daher brauchen die Lehrer klare pädagogische Konzepte bei der Nutzung digitaler Medien“, so Reuter. Er verwies auf eine Stellungnahme des Karolinska-Instituts bei Stockholm. Die schwedischen Wissenschaftler hatten herausgefunden, dass die Digitalisierung im großen Ausmaß negative Auswirkungen auf das Lernen und die Sprachentwicklung der Schule habe.

Schwedens Regierung hat daraufhin ihre Entscheidung, Vorschulen verpflichtend mit digitalen Geräten auszustatten, rückgängig gemacht. Das SEW fordert daher auch hierzulande eine wissenschaftliche Analyse zur Digitalisierung in Schulen und eine Empfehlung des Ministeriums. Der Gebrauch von Smartphones soll in Schulen generell verringert werden und auch Tablets sowie Computer sollen weniger genutzt werden.