GedankekëschtSo geht Partizipation: Bauschleiden bezieht Bürger bei Neugestaltung des Ortskerns mit ein

Gedankekëscht / So geht Partizipation: Bauschleiden bezieht Bürger bei Neugestaltung des Ortskerns mit ein
„Inside the box“ sollen die Teilnehmer der „Gedankekëscht“ denken – im wahrsten Sinne des Wortes Foto: Everard Consulting & Communication

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Im Zentrum von Bauschleiden rollen die Bagger an. Der Ortskern soll neu gestaltet werden – ganz im Sinne der Einwohner. Dafür setzen die Gemeindeverantwortlichen auf Bürgerbeteiligung. „Aber richtig“, wie Bürgermeister Jeff Gangler betont. Ein neues Konzept trägt erste Früchte.

An einem schönen Tag fühlt sich die Fahrt nach Bauschleiden an wie eine Reise in eine andere Welt: Durch „Koppen“ und Täler geht es hoch auf ein Plateau mit schier unendlich grünen Wiesen und saftigen Hügellandschaften. Über der Ösling-Idylle thront ein strahlend blauer Himmel mit vereinzelten Schönwetterwolken, die Schattenspiele auf die weiten Weiden werfen. Im Dorf selbst geht es an alten Höfen und modernen Wohnhäusern vorbei zum Ortskern, wo sich zwischen dem Rathaus und der alten Molkerei ein grüner Streifen offenbart, auf dem zwei junge Männer an einer Holzbank Platz genommen haben und dem Neuankömmling freundlich zuwinken.

Auch wenn es die Beschreibung anmutet, so ist die Zeit in Bauschleiden nicht stehen geblieben. Genau das Gegenteil ist der Fall, wie Bürgermeister Jeff Gangler und Kommunikationsexperte David Everard im Gespräch mit dem Tageblatt beweisen. Mit einem Wachstum von fast 40 Prozent gehört die Gemeinde zu den am schnellsten wachsenden Kommunen des Landes. In den letzten 20 Jahren hat sich die Bevölkerung am westlichen Ende des Oberstausees verdoppelt, von 700 Einwohnern auf 1.460.

„Wie geht Partizipation?“

„In der Hauptsache handelt es sich dabei um junge Menschen, die in der Region aufgewachsen sind und jetzt den Weg zurück in die Gemeinde finden“, meint der junge Gemeindevater Jeff Gangler. „Für die Gemeinde ist das eine große Chance“, sagt das LSAP-Mitglied, das den Bürgermeisterposten erst im September 2021 von René Daubenfeld übernommen hat. Vor diesem Hintergrund sei es wichtig, das Zusammenleben innerhalb der Gemeinde stärker zu fördern. Dabei soll der eingangs genannte grüne Streifen im Dorfkern eine wichtige Rolle übernehmen: Auf dem Hektar Land rund um das Rathaus soll in den nächsten Jahren ein neuer Gemeindeplatz entstehen, der Jung und Alt zusammenführt.

Aus diesem Grund haben sich die Gemeindeverantwortlichen vor einigen Monaten dazu entschieden, die Bürger bei jeder Phase des Projektes mit einzubeziehen. Man habe ein Maximum an Einwohnern mobilisieren wollen, sagt Bürgermeister Gangler. Um einerseits das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken und andererseits einen Platz zu schaffen, an dem sich sämtliche Bürger der Gemeinde wohlfühlen können – zu der auch Baschleiden, Syr und Flebour gehören.

Bürgerbeteiligung soll beim Projekt im Mittelpunkt stehen. „Doch wie geht Partizipation? Wie soll man Bürgerbeteiligung richtig angehen?“, fragt Gangler. „Partizipation ist ein breit gefächertes Konzept, das man richtig angehen sollte. Schließlich reicht es nicht, nur einen Rahmen zu schaffen, in dem sich die Leute austoben können. Uns war vielmehr daran gelegen, die Bürger von Grund auf mit einzubinden und möglichst viele Vorschläge mit einzubinden.“

Zu diesem Zweck wurde David Everard von „Everard Consulting & Communication“ angeheuert. „Partizipation ist ein tolles Konzept – wenn es richtig gemacht wird. Es darf keine Alibiveranstaltung sein“, mahnt der Kommunikationsexperte. „Bei einer Bürgerbeteiligung braucht es ein großes Maß an Transparenz und Ehrlichkeit. Ansonsten merken es die Beteiligten und das Projekt kann kein Erfolg werden“, so Everard. Es sei auch wichtig, die Bürger dort abzuholen, wo sie sich im Alltag in der Gemeinde aufhalten. 

Man müsse darauf achten, ein breites Publikum anzusprechen und Menschen mit einzubeziehen, die sich ansonsten nur wenig auf politischer Ebene engagieren. „Ziel war es, jedem einzelnen Bürger die Möglichkeit zu bieten, sich mit einzubringen. Nur so hat das Projekt auch einen Wert“, betont Everard. Echte Interaktion, Begegnung, Diskussion, Debatte und Dialog führten zu gegenseitigem Verständnis und zur Akzeptanz abweichender Ansichten.

„Think inside the box“

„Gedankekëscht“ heißt das Konzept, das im Dezember letzten Jahres in Bauschleiden Premiere feierte. „Abgeleitet vom Luxemburger Spruch ,Ech hu meng Gedankekëscht doheem vergiess‘“, so Everard. Dabei habe das Bild noch eine weitere Bedeutung: „Es heißt immer ,think outside the box‘. In diesem Fall aber sollten die Bürger auch ,inside the box‘ denken.“

Im Mittelpunkt des Konzepts stand ein Workshop-Wochenende, zu dem alle Bürger, Vereinsverantwortlichen und Clubmitglieder geladen waren. Allerdings hatten die Verantwortlichen drei Wochen zuvor bereits mehrere Initiativen umgesetzt, die es den Bürgern erlauben sollten, das Wochenende besser vorzubereiten. So wurde etwa eine Internetseite freigeschaltet, auf der die Bürger unter anderem wichtige Fragen beantworten mussten. Belohnt wurde die Teilnahme mit der Aussicht auf ein iPad oder Einkaufsgutscheine, die unter sämtlichen Einsendern verlost wurden.

In den Ortschaften wurden mehrere Plakate platziert und Flyer verteilt, während die Kinder der Gemeinde dazu eingeladen wurden, ihre Ideen in Form einer Zeichnung festzuhalten. Gleichzeitig wurden in den Restaurants und Läden der Gemeinde richtige Gedankenkisten aufgestellt, in denen Besucher erste Ideen hinterlassen konnten. Manche Kisten seien zwar leer geblieben, als Misserfolg habe man dies aber nicht gewertet.

Im Gegenteil: Auch wenn die Leute letztendlich keine Zettel ausgefüllt haben, so sei den Verantwortlichen zu Ohren gekommen, dass sich viele Bürger neben den Gedankenkisten über die Initiative unterhalten hätten. „Damit hatten wir unser Ziel eigentlich schon erreicht“, erklärt Everard. „Die Leute haben sich im Vorfeld Gedanken über den Gemeindeplatz gemacht, das Thema war in den Köpfen der Menschen verankert, sie haben darüber gesprochen und Ideen ausgetauscht.“

Bürgermeister Jeff Gangler (r.) und Kommunikationsexperte David Everard beim Ortstermin im Zentrum von Bauschleiden. Das Grüne soll übrigens erhalten bleiben. 
Bürgermeister Jeff Gangler (r.) und Kommunikationsexperte David Everard beim Ortstermin im Zentrum von Bauschleiden. Das Grüne soll übrigens erhalten bleiben.  Foto: Editpress/Eric Hamus

„Ein voller Erfolg“

Mit „inside the box“ sind aber nicht nur die Gedankenkisten gemeint. Die Bürger sollten auch innerhalb bestimmter Vorgaben handeln. So hatten sich die Gemeindeverantwortlichen bereits im Vorfeld Gedanken darüber gemacht, welche Infrastrukturen bei der Neugestaltung des Platzes berücksichtigt werden müssten – wie etwa die Einrichtung eines unterirdischen Parkplatzes, der Bau eines auf die Jugend ausgerichteten Wohnblocks oder der Ausbau des Rathauses mit Räumlichkeiten für kommunale Dienste, einem neuen Hochzeitsaal und Strukturen für non-formale Bildung.

Bei null mussten die Teilnehmer also nicht anfangen. Das Workshop-Wochenende selbst wurde mit einer Begehung der Örtlichkeiten eingeläutet, bei der die Beteiligten Fragen stellen konnten. Anschließend hatten die Einwohner zwei Tage lang das Wort – sei es in Workshops, auf thematischen Stammtischen oder einfach nur beim gemeinsamen Essen. „Wenn man bedenkt, dass es erst der erste Schritt eines längeren Prozesses war, war dieser Teil bereits ein voller Erfolg. Die Reaktionen der Bürger waren sehr positiv und die Gemeindeverantwortlichen haben den Prozess sehr ernst genommen“, schlussfolgert der Kommunikationsexperte.

Zufrieden ist auch Bürgermeister Gangler – auch wenn nicht alle Aspekte Früchte getragen haben. „Wichtig ist, dass wir den Bürgern das Gefühl geben, dass ihr Input in irgendeiner Form auch Niederschlag findet. Es ist unsere Aufgabe als Politiker, im Anschluss dann Entscheidungen zu treffen.“ Gesagt, getan: Ende Mai wurden die ersten Phasen des Projekts vom Gemeinderat gutgeheißen. Die Resultate der Workshops wurden gleichzeitig in einer ausführlichen Broschüre festgehalten, die an sämtliche Haushalte verteilt wurden.

So wurde etwa festgehalten, dass die angrenzende Molkerei in ein Musikhaus umgewandelt wird und kein Weg an einer überdachten Halle für Konzerte oder andere Veranstaltungen vorbeiführt. Kinder erhalten einen thematischen Spielplatz und die Vereine der Gemeinde eine Art Bar, die sie im Ortskern selbst betreiben können. Gleichzeitig soll sich der Gemeinderat Gedanken über ein Shared-Space-Verkehrskonzept rund um den neuen Gemeindeplatz machen.

Ganz wichtig aber ist den Bürgern, dass der neue Gemeindeplatz ein Ort der Begegnung wird, zu dem sämtliche Generationen Zugang haben. Und dass die künftige Bezeichnung des Platzes „um Gottes willen nicht den Namen einer verstorbenen Bauschleidener Persönlichkeit trägt“, wie dem Eintrag eines anonymen Bürgers in der „Gedankekëscht“ zu entnehmen war.