Unwetter in EschÜber Kanäle, Gullys und Nicht-Kommunikation: Bürgermeister Weis und Schöffe Zwally im Interview 

Unwetter in Esch / Über Kanäle, Gullys und Nicht-Kommunikation: Bürgermeister Weis und Schöffe Zwally im Interview 
Der Sinkkastenreiniger der Stadt Esch am Montagmorgen am Friedensgericht (r.)  Foto: Editpress/Philip Michel

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In Esch gab es am Samstagabend 53 Feuerwehr-Einsätze wegen überschwemmter Keller. 26 Helfer des CGDIS waren im Einsatz. Über 60 Bäume fielen dem Unwetter zum Opfer. So lautet die offizielle Bilanz. Warum das Escher Kanalsystem überfordert war, wie oft Gullys gesäubert werden und wieso die Veranstaltungen am Samstag nicht wie anderenorts frühzeitig abgesagt wurden, beantworten Bürgermeister Christian Weis und der zuständige Schöffe André Zwally (beide CSV) im Gespräch mit dem Tageblatt.

Tageblatt: Am Montag waren in Esch Fahrzeuge unterwegs, die die Gullys säuberten. Ist das eine Standardprozedur nach so einem Unwetter? 

André Zwally: Ja, das ist eine Standardprozedur. Wir haben in Esch 5.000 Gullys, die regelmäßig gesäubert werden. Im zuständigen Dienst arbeiten zwölf Personen. Sie haben drei Säuberungswagen, der vierte ist bestellt. Dazu kommen zwei Transporter und ein sogenannter Sinkkastenreiniger, der einen Sinkkasten in 15 Minuten sauber macht. Ein zweiter wird Ende des Jahres bestellt. 

Die zwölf Personen sind ausschließlich für die Kanalisation zuständig?

Zwally: Ja, genau. Dazu muss man wissen, dass unser Kanalnetz über 200 km lang ist. Hinzu kommen 80 km private Rohre. 

Wie würden Sie das Kanalnetz beschreiben? Ist es modern? Ist regelmäßig darin investiert worden?

Zwally: Ja. Es gibt einen Kanalplan im Gemeindedienst. Sie wissen also, wie alt die Kanäle an welcher Stelle sind. Wenn dann eine Straße aufgemacht wird, dann wird das natürlich in Betracht gezogen. Genauso wie Reklamationen der Bürger beachtet werden. Wenn es also nötig ist, dann wird darin investiert.

Kann ein Kanalsystem solche Wassermassen wie am Samstag überhaupt bewältigen?

Zwally: Der neue Hauptkollektor, der vom boulevard Aloyse Mayer zum Sivec läuft, hat einen Durchmesser von zwei Metern. Da ist eine Reserve mit eingerechnet, damit solch extreme Niederschläge wie am Samstag abgeleitet werden können. Von den Häusern bis zum Hauptkollektor werden die Rohre immer größer. 

Kann man den Budgetposten für die Kanalisation beziffern?

Christian Weis: Das ist schwierig zu beziffern. Es ist so: Jede Straße, die wir sanieren, hat fünf Budgetlinien. Da ist der Kanal einzeln aufgezählt. Wir haben ein größeres Budget für den Straßenbau. Erst wenn es um eine Straße konkret geht, werden die Budgetposten einzeln aufgeführt. Daher ist es nicht so einfach, einen Gesamtbetrag zu nennen.

Der für die Kanalisation zuständige Schöffe André Zwally und Bürgermeister Christian Weis
Der für die Kanalisation zuständige Schöffe André Zwally und Bürgermeister Christian Weis Foto: Editpress/Philip Michel

Nun ist es so, dass relativ wenige Straßen in den letzten Jahren saniert wurden, im Vergleich zu früher. Im Moment haben wir die Großbaustelle am bd. Grande-Duchesse Charlotte und den Kohlenberg … 

Weis: Die rue Matthias Koener wurde gemacht, die rue du Moulin, der „Zebridi“ (Straßenerneuerungsprogramm rue Zénon Bernard, Brill und Dicks; d.Red.) ist weitergeführt worden. Das sind die, die mir jetzt spontan einfallen. Demnächst kommt die rue Wurth-Paquet dran. 

Kommen wir auf den Samstag zurück. Kann man sagen, dass verschiedene Stadtviertel besonders betroffen waren, oder gingen die Schäden quer durch Esch? 

Zwally: Eher quer durch Esch. Aber das hat auch seinen Grund, der durch die Lage des jeweiligen Hauses definiert ist. Ist ein Hang da, liegt es in einer Mulde etc. Besonders betroffen waren „um Deich“ (Kreisverkehr am Ende der Kanalstraße; d.Red.) und „Clair-Chêne“, wo Straßen gesperrt werden mussten.

Weis: Es gab vier Straßen, in denen es mehr als fünf Einsätze des CGDIS gab. Ich weiß, nicht jeder hat die Feuerwehr gerufen, aber in drei Fällen waren nebeneinanderliegende Häuser betroffen: rue de Belval, die linke Seite der rue de Neudorf und die Stalingrad-Straße.

Sind das die Straßen, die auch sonst bei Unwettern am stärksten betroffen sind?

Zwally: Das kann man so nicht sagen. Wir haben immer Angst in der rue de l’Eau in „Al Esch“. Das ist so ein neuralgischer Punkt, es ist auch der tiefste Punkt in Esch. Es gibt aber auch andere, wo das Wasser immer steht. Diese Plätze kennt unser Kanal-Dienst genau und sobald etwas ist, rücken sie aus. 

In den sozialen Netzwerken kam schnell die Forderung auf, die Stadt Esch sollte ihre Kanäle und Gullys vielleicht öfters reinigen. Ist die Kritik berechtigt?

Zwally: Wenn ein Kanal verstopft ist, dann wird der Grund der Verstopfung, also meist der Schlamm, mit hinaufgedrückt. Das sieht man also. Normalerweise wird nachgeschaut. Wir haben ja auch Kameras, mit denen wir in den Kanal hineinfahren. Aber einen Kanal von 200 km Länge bekommt man nicht so einfach kontrolliert. Ich kann jedenfalls klar sagen, dass der Grund der vielen Überschwemmungen ganz sicher nicht der mangelnde Unterhalt der Kanäle ist.

Welche Rolle spielen Gullydeckel?

Zwally: Die Arbeiter haben ja einen Plan für die 5.000 Gullys, die werden im Turnus gesäubert. Wenn man weiß, dass Gullys verstopft sind, dann fahren sie dort vorbei. Das Phänomen von verstopften Gullys kommt ja besonders häufig im Herbst vor, wenn die Blätter fallen. Aber auch jetzt: Die Bäume sind in voller Blüte und wenn es dann stürmt, dann kann ein Gully schon mal verstopfen. Das Wasser gelangt nicht in den Kanal und fließt weiter die Straße hinunter. 

Was kann man denn sonst tun, damit bei den in Anbetracht des Klimawandels immer häufiger auftretenden Stark- und Sturzregen nicht immer die Keller der Menschen volllaufen? 

Weis: Das ist ein Aspekt des Resilienz-Pakets, über das ja schon mehrfach gesprochen wurde (der Escher Gemeinderat hat Anfang 2023 einen Resilienzplan 2025-2030 beschlossen; d.Red.). Der nächste Schritt ist, das Ganze durch einen „Chief Resiliance Officer“ zu zentralisieren und einen Plan auszuarbeiten, der jeden Aspekt einer Krise vom Ursprung bis zum Einsatz definiert. Wobei der Fokus zunächst auf Hochwasser und Hitze liegt. Das beginnt damit, dass man definiert, in welchen Situationen man wie reagieren muss. 

Gibt es ein Zeitfenster, bis wann der Resilienzplan fertig sein soll?

Weis: In den nächsten zwei Jahren. Das klingt jetzt in Anbetracht vom Samstag sehr lang und weit weg. Auf der anderen Seite sind sehr viele Akteure beteiligt, inklusive Innenministerium oder CHEM zum Beispiel. Es geht in Esch auch nicht ausschließlich um die Resilienz gegenüber Katastrophen, sondern der soziale Aspekt spielt eine Rolle. Also muss auch der „Logement“ zum Plan gehören. 

Zum Plan wird dann wohl auch gehören, was man im Fall einer „Alerte Orange“ der staatlichen Stellen tut. Am Samstag standen in Esch eine ganze Reihe großer Veranstaltungen auf dem Programm, u.a. die „Nuit de la culture“, die „Fête Saint-Jean“ und das Public Viewing. Hätte man die nach einem Resilienzplan nicht im Laufe des Nachmittags absagen oder verlegen müssen, wie das z.B. in Luxemburg-Stadt geschehen ist?   

Weis: Wir hatten Kontakt mit dem Findel (der staatliche Wetterdienst Meteolux; d.Red.). Ja, andere Gemeinden haben abgesagt. Im Nachhinein betrachtet hätten wir das auch machen oder wenigstens darüber diskutieren können. Weil die Aktivitäten zum Teil den ganzen Tag liefen, ist am Samstagnachmittag dann festgehalten worden, dass wir sie laufen lassen, bis das Unwetter kommt. Es wurde ja dann auch abgebrochen und es ist niemandem etwas geschehen. 

In anderen Gemeinden wurde auch intensiv über das drohende Unwetter und die eventuelle Absage von Veranstaltungen auf allen Kommunikationskanälen informiert. In Esch dagegen war am ganzen Wochenende Funkstille, auch sonntags. Ist das nicht kontraproduktiv? 

Die Bereitschaftsdienste der Gemeinde

Die Bereitschaftsdienste der Gemeinde sind sieben Tage die Woche, 24 Stunden auf 24, zu erreichen. Die Telefonnummern: 
Service électricité
2754 4330
Service des eaux
2754 4440
Réseau haut débit
26 78 37 87 686
Canalisation
621 271 511 

Weis: Sonntags wurde in anderen Gemeinden kommuniziert, wie es mit dem Müll weitergeht, da habe ich v.a. Petingen gesehen. Tatsächlich haben wir uns am Sonntag darauf konzentriert, zu schauen, wie es um die umgefallenen Bäumen und die Absperrung von Gebieten und Straßen bestellt ist. Montagmorgens haben wir dann sofort geklärt, wie es mit der Abholung des Sperrmülls weitergeht und das dann auch gleich kommuniziert. Das war unsere Timeline. 

Hätte man nicht schon samstags reagieren müssen? Also das Publikum zur Vorsicht aufrufen z.B.? 

Weis: Wie gesagt, die Organisatoren wussten, was zu tun war und sie waren vorbereitet. Auch die Menschen wussten, dass ein Unwetter kommen könnte. 

Am Montag hat die Stadt Esch den Bürgern auch empfohlen, einstweilen den Wald zu meiden. Wie lange wird es dauern, bis er wieder voll zugänglich ist?

Weis: Die großen Wege sind bis Dienstagabend gesichert worden und demnach wieder zugänglich. Auch der Rest wird in den nächsten Tagen geräumt sein. Camping und Tierpark waren prioritär. Insgesamt sind ca. 60 Bäume dem Unwetter zum Opfer gefallen.     

Immer wieder von Überschwemmungen betroffen: die Clair-Chêne-Straße
Immer wieder von Überschwemmungen betroffen: die Clair-Chêne-Straße Foto: privat