Nach EU-GipfelUrsula von der Leyen braucht jetzt eine Mehrheit im EU-Parlament

Nach EU-Gipfel / Ursula von der Leyen braucht jetzt eine Mehrheit im EU-Parlament
Fototermin gestern nach dem EU-Gipfel: Kaja Kallas (M.) und Antonio Costa können sich gelassener auf ihre neuen Ämter vorbereiten, die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat das Schwierigste noch vor sich Foto: Olivier Hoslet/Pool/AFP

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Wie zu erwarten, haben sich die 27 EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrer Ratstagung auf die bereits zuvor bekannte Besetzung der EU-Spitzenämter geeinigt. Für die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird allerdings jetzt erst der eigentliche Kampf um den Verbleib im Amt beginnen.

Trotz vieler Themen und im Vorfeld angekündigten schwierigen Diskussionen um die Vergabe der EU-Spitzenposten, schafften es die EU-Chefs bereits am ersten Gipfeltag, ihre auf zwei Tage angelegte Tagesordnung abzuarbeiten. Demnach kam es nicht so schlimm, wie es manche erwartet hatten. „Ich habe die Diskussionen als relativ harmonisch empfunden“, meinte denn auch nach dem Gipfeltreffen der luxemburgische Premierminister Luc Frieden. Immerhin war nach dem informellen Gipfeltreffen, bei dem die 27 bereits in der Woche zuvor die Personalfragen im Wesentlichen festgezurrt hatten, kein neuer Moment eingetreten, der das Ganze ins Wanken hätte bringen können.

Zwar wurde viel darüber gemutmaßt und diskutiert, wie nun die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni sich verhalten würde, deren europäische Parteienfamilie „Europäische Konservative und Reformer“ (EKR) nicht an jener Koalition beteiligt war, die die wichtigsten Personalien unter sich ausgemacht hat. Was damit zu tun hat, dass die Konservativen der Europäischen Volkspartei (EVP), der Sozialdemokraten (S&D) sowie der Liberalen (Renew) keine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten eingehen wollen. Doch vielfach wurde beim Gipfel darauf verwiesen, dass die Ansichten der italienischen Ministerpräsidentin sehr wohl im Kreise der Gipfelteilnehmer gehört werden, es aber schlussendlich in einer nächsten Etappe darauf ankommt, dass die Kommissionspräsidentin im Europäischen Parlament (EP) eine Mehrheit erhält – die jedoch, darin sind sich zumindest die beiden EP-Fraktionen S&D sowie Renew einig, nicht mit den Stimmen der Rechtspopulisten erst ermöglicht werden darf.

Bei all der Aufregung um Giorgia Meloni und der Bedeutung Italiens bei der Entscheidungsfindung in der EU, blieb ein entsprechender Präzedenzfall unerwähnt. Denn bereits 2014 wurden das damals nicht minder bedeutungsvolle Vereinigte Königreich und dessen Premierminister David Cameron bei der Nominierung des Luxemburgers Jean-Claude Juncker zum EU-Kommissionspräsidenten einfach überstimmt. Dabei hatte der Brite eine regelrechte Kampagne gegen den Luxemburger gefahren – und verschwand noch vor dessen Amtsende in der Versenkung. Die einzige Unterstützung erhielt Cameron damals übrigens vom ungarischen Regierungschef Viktor Orban. Der hat auch am Donnerstag wieder gegen das Spitzenpersonal gestimmt. Und muss nun dennoch während der ab Montag beginnenden ungarischen EU-Ratspräsidentschaft bis Jahresende mit dem von ihm verworfenen EU-Spitzenpersonal klarkommen.

Unsere Bedingungen für die Zusammenarbeit sind glasklar: die Fortführung des Green Deals, diesmal sozial gerechter, und die bedingungslose Verteidigung des Rechtsstaates in Europa

Tilly Metz, grüne EU-Parlamentarierin

Eher gelassen dürfte der ehemalige portugiesische Regierungschef Antonio Costa sein neues Amt als EU-Ratspräsident angehen können. Der Nachfolger von Charles Michel hat sein Amt sicher und dürfte dieses am 1. Dezember antreten. Mit Umzugsplänen nach Brüssel darf sich auch die estnische Regierungschefin Kaja Kallas bereits beschäftigen. Zwar wird die künftige EU-Außenbeauftragte sich noch einer Anhörung im außenpolitischen Ausschuss des EP unterziehen. Doch dürfte dies eher eine Formalität sein, zumal Kallas als entschiedene Unterstützerin der Ukraine in ihrem Kampf gegen die russischen Invasionstruppen die Mehrheit der EP-Abgeordneten auf ihrer Seite weiß. Grobe Fehler dürften der erfahrenen Politikerin bei ihrer Anhörung wohl keine unterlaufen und einer Wahl wird sich die Estin ohnehin nicht stellen müssen.

Ganz anders als Ursula von der Leyen. Sie wird sich in weniger als drei Wochen – vermutlich am 18. Juli – einer Abstimmung im EU-Parlament stellen. Zwar verfügen die drei Koalitionäre im EP, die ihre Nominierung beim Gipfel ermöglicht haben, derzeit über 399 Sitze (Stand Freitag), die Kommissionschefin braucht mindestens 361 Stimmen. Doch da im EP nur in begrenztem Maße Fraktionsdisziplin herrscht, dürfte es für die Kommissionspräsidentin ziemlich knapp werden. Genau zehn Prozent an Abweichlern würden reichen, um Ursula von der Leyen durchfallen zu lassen.

EU-Abgeordnete stellen Bedingungen

Deshalb wird die EVP-Politikerin nicht umhin kommen, zumindest auch bei der Fraktion der Grünen für sich zu werben. 2019 jedoch hatten diese gegen die Deutsche gestimmt, worauf die luxemburgische EP-Abgeordnete Tilly Metz in einer Mitteilung hinweist. Damit es dieses Mal anders kommt, müsse „sich von der Leyen klar gegen die Zusammenarbeit mit den extrem Rechten aussprechen und sich für eine große Koalition aus pro-europäischen Kräften inklusive der Grünen aussprechen“, heißt es in der Mitteilung. Und Tilly Metz fügt hinzu: „Unsere Bedingungen für die Zusammenarbeit sind glasklar: die Fortführung des Green Deals, diesmal sozial gerechter, und die bedingungslose Verteidigung des Rechtsstaates in Europa.“

Auch der luxemburgische liberale EU-Parlamentarier Charles Goerens stellte gestern in einer Mitteilung erste Bedingungen an die neue Kommission. Diese müsse unter anderem einem künftigen Kommissar die alleinige Aufgabe des Bürokratieabbaus zuweisen, einen Konvent für eine Änderung der EU-Verträge einberufen sowie eine Strategie vorlegen, mit der die Union stärker, geeinter und nach außen präsenter wird.

Welche Herausforderungen die künftige EU-Kommission angehen soll, dazu haben die 27 bei ihrem Gipfel eine sogenannte „Strategische Agenda 2024-2029“ verabschiedet, die, wie Luc Frieden erklärte, die großen politischen Linien für die kommenden Jahre vorgibt. Diese müssten noch „weiter dekliniert werden“, meinte der luxemburgische Premier, doch drehten sie sich im Wesentlichen um Themen wie: Wie kann Europa sicherer und die Wirtschaft wettbewerbsfähiger gemacht werden, wobei jeder vom Wohlstand profitieren und die grüne und digitale Transition gelingen soll?

„Ein ganz toller Kommissar“

Bei seiner Abschlusspressekonferenz nach dem Gipfeltreffen wurde der luxemburgische Premierminister Luc Frieden von den Pressevertretern noch einmal mit der Frage nach dem künftigen luxemburgischen EU-Kommissar konfrontiert. Laut Angaben des Luxemburger Wort besteht der deutsche Kanzler Olaf Scholz darauf, dass der luxemburgische Spitzenkandidat der Sozialdemokraten bei den Europawahlen, Nicolas Schmit, in der EU-Kommission bleibt. Während seiner Pressekonferenz meinte Scholz gar: „Ich bestätige, dass Nicolas Schmit ein ganz toller Kommissar war und ein großartiger Spitzenkandidat.“ Frieden hingegen will sich nicht unter Druck setzen lassen, will die Dinge „eine Etappe nach der anderen“ angehen. Zudem meinte er: „Ich habe mindestens zehn Kriterien im Kopf, über die ich noch gerne nachdenke.“ Dass sich CSV und DP bei ihren Koalitionsverhandlungen auf den CSV-Politiker Christophe Hansen als nächsten luxemburgischen EU-Kommissar geeinigt hatten, erwähnte Luc Frieden mit keiner Silbe. (gk)