ForumYves Cruchten und Franz Fayot zur Palästina-Frage: „Die DP scheut es, klar Position zu beziehen“

Forum / Yves Cruchten und Franz Fayot zur Palästina-Frage: „Die DP scheut es, klar Position zu beziehen“
Jenin im Westjordanland nach einem israelischen Luftangriff am 6. August Foto: AFP/Jaafar Ashtiyeh

In seinem Forum-Beitrag fragt sich Gusty Graas: „Anerkennung, ja oder nein?“. Wer hoffte, hier endlich eine klare Position der DP zur Anerkennung Palästinas zu erhalten, werde erneut enttäuscht, denn der Autor beantworte seine eigene Frage nicht, schreiben die LSAP-Abgeordneten Yves Cruchten und Franz Fayot.

Mit großem Befremden mussten wir feststellen, dass die Ausführungen des DP-Abgeordneten und Vorsitzenden des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten die aktuelle Situation des Nahostkonflikts, internationales Recht und die Bedeutung multilateraler Institutionen total verkennen. Gleichzeitig liefert der Autor keine klare Antwort auf seine eigene Frage und äußert zahlreiche unschlüssige Zweifel. Angesichts internationaler Rechtsnormen sind diese Zweifel jedoch völlig unbegründet.

Um ihm bei seiner selbst gestellten Frage weiterzuhelfen, wollen wir hier seine wirren Ausführungen entflechten:

1. Die Anwendung des Rechts auf Selbstverteidigung ist im Artikel 51 der UN-Charta geregelt. Das stimmt. Es stimmt allerdings nicht, dass Israels Recht auf Selbstverteidigung legitim ist. Dies kann mehrfach begründet werden. Der genannte Art. 51 erlaubt einem UN-Mitglied, sich gegen einen Angriff zu verteidigen, solange der Sicherheitsrat nicht die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Dieses Recht ist zentral gebunden an die Fragen der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit.

Zuerst muss betont werden, dass es sich bei der Hamas nicht um einen staatlichen Angreifer handelt, sondern um eine terroristische Gruppierung. Die Militäroperationen Israels richten sich allerdings gegen die gesamte Bevölkerung. Die Hamas darf auf keinen Fall mit der palästinensischen Zivilbevölkerung verwechselt werden. Doch es gibt zahlreiche Belege dafür, dass die israelische Regierung nicht gezielt agiert, um die Hamas auszulöschen, sondern die Tötung von Tausenden Zivilisten rücksichtslos in Kauf nimmt. Israel erfüllt außerdem nicht die Kriterien der United Nations Global Counter-Terrorism Strategy.

Des Weiteren ist hervorzuheben, dass Israel militärische Angriffe auf Gebieten durchführt, die es selbst besetzt, weil es diese Gebiete als externe Bedrohung wahrnimmt. Die Besetzung Israels von Gaza und dem Westjordanland ist seit 1967 international anerkannt. Als Besetzer hat Israel die Verantwortung, für die Sicherheit und das Wohlergehen der Bevölkerung zu sorgen. Humanitäres Völkerrecht erlaubt lediglich Polizeigewalt, um im Falle eines Konfliktes Recht und Ordnung wiederherzustellen. Die seit Jahrzehnten andauernde Siedlungspolitik und die damit verbundene Gewalt und Diskriminationen gegenüber der palästinensischen Bevölkerung verstoßen gegen das internationale Völkerrecht, wie es der Internationale Gerichtshof in einem bahnbrechenden Urteil am 19. Juli 2024 sehr klar bestätigte. Kommen wir damit zum nächsten Punkt.

2. „Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der israelischen Verteidigung gewinnt dementsprechend zusehends an Bedeutung“, schrieb Gusty Graas. Diese Frage stellt sich nicht erst jetzt. Und weitere grausame Angriffe auf Schulen und andere zivile Infrastrukturen sind nicht der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Das Fass ist längst übergelaufen! In den letzten zehn Monaten wurden knapp 39.000 Menschen in Gaza getötet und die Hälfte aller Gebäude wurde zerstört. Von der Instrumentalisierung der Hungersnot und fehlender medizinischer Notdienste ganz zu schweigen. Die Berichterstattung und die Dokumentation über die Gräueltaten ist essenziell, um vor dem Internationalen Gerichtshof über die Taten der israelischen Regierung urteilen zu können.

Die DP versteckt sich hinter fadenscheinigen Argumenten und sie scheut es, klar Position zu beziehen

3. Die Behauptung, „[d]ie zurzeit fehlende politische Führung in Palästina“ sei einer der Hauptgründe, warum Luxemburg den Staat Palästina bisher nicht anerkannt hat, stimmt nicht. Erstens, darf die Besetzung der palästinensischen Gebiete weder ihre Souveränität noch ihre territoriale Integrität infrage stellen. Eine Besetzung führt dazu, dass das besetzte Gebiet nicht in der Lage ist, die effektive Kontrolle über ihr eigenes Territorium auszuüben. Folglich wird ein besetzter Staat in der Regel nicht über eine „effektive Regierung“ verfügen, wie sie in Artikel 1 der Montevideo-Konvention gefordert wird. Dennoch mindert diese Tatsache nicht seine Staatlichkeit. Der entscheidende Einfluss, den die Besetzung auf einen Staat hat, betrifft die Ausübung seiner Regierungs- und Verwaltungsfunktionen, nicht jedoch seine Existenz als Staat oder seine Souveränität. Bei der Beurteilung, ob eine besetzte Einheit die Kriterien der Staatlichkeit erfüllt, sollten Mängel in der Effektivität gegen das Prinzip der Selbstbestimmung und die internationale Anerkennung abgewogen werden.

4. Marc Angels Motion vom 16. Dezember 2014 zur Anerkennung Palästinas enthielt den Zusatz „au moment qui sera jugé le plus opportun“, weil die Hoffnung bestand, dass eine gemeinsame Anerkennung mit anderen europäischen Staaten einen größeren Einfluss auf den Friedensprozess hätte. In den letzten Wochen haben Slowenien, Spanien und Irland diesen Schritt vollzogen. Es ist sehr bedauerlich, dass Luxemburg nicht Teil dieser Welle war. Wenn dieser Moment nicht ausreichend opportun war, welcher dann?

5. Gusty Graas ist sich nicht sicher, wo sich die Grenzen Palästinas befinden. Er stellt die UNO-Resolution 242, die am 22. November 1967 einstimmig vom UNO-Sicherheitsrats verabschiedet wurde, explizit infrage. Dabei wurde diese Resolution als Reaktion auf den Sechstagekrieg gestimmt. Sie fordert den „Rückzug der israelischen Streitkräfte aus (den) Gebieten, die während des jüngsten Konflikts besetzt wurden“. Aus diesem Dokument sind die Grenzen Palästinas zweifelsfrei abzuleiten. Da kann man sich fragen, ob der Präsident des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten etwa an der Legitimität der Vereinten Nationen zweifelt?

6. Ja, Luxemburg ist ein klarer Befürworter der Zwei-Staaten-Lösung. Doch die Befürwortung allein reicht nicht aus, um zur Lösung dieses schrecklichen Konflikts zu gelangen. Wer im Friedensprozess vorankommen möchte, muss einsehen, dass Handlungen, Entscheidungen und deutliche Schritte notwendig sind. Diese Verantwortung liegt eindeutig bei der Legislative und der Exekutive unseres Landes. Die Zwei-Staaten-Lösung, wie der Name es schon sagt, setzt die Existenz zweier Staaten voraus. Daran hat uns kürzlich auch der Sonderbeauftragte der Europäischen Union für den Friedensprozess im Nahen Osten, Sven Koopmans, bei seinem Besuch erinnert. Die Anerkennung von Israel und Palästina ist somit die Voraussetzung für die Verwirklichung der Zwei-Staaten-Lösung. Ein notwendiger nächster Schritt wäre also die längst überfällige Anerkennung des palästinensischen Staats. Daran besteht schlussendlich kein Zweifel, und trotzdem eiert die DP herum. Sie versteckt sich hinter fadenscheinigen Argumenten und sie scheut es, klar Position zu beziehen. Darüber kann auch der nebulöse Forum-Beitrag von Gusty Graas nicht hinwegtäuschen.

Yves Cruchten und Franz Fayot sind LSAP-Abgeordnete
Yves Cruchten und Franz Fayot sind LSAP-Abgeordnete Foto: privat
 Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Nomi
13. August 2024 - 13.45

All Cent deen Letzeburg an d'Lei'sung vun deem Konflikt investei'ert ass fir d'Kaatz. Mir, an besonnesch d'LSAP hun net dat neidegt Gewicht fir an den Ring ze werfen !

Neutralitei't ass eist beschtend Argument !

Luxmann
13. August 2024 - 7.41

Bravo an Cruchten und Fayot fuer diese ausgezeichnete analyse.