Finanzsektor„Zusammen haben wir etwas sehr Gutes erreicht“ – drei Gewerkschaften zur Einigung eines neuen Kollektivvertrags

Finanzsektor / „Zusammen haben wir etwas sehr Gutes erreicht“ – drei Gewerkschaften zur Einigung eines neuen Kollektivvertrags
V.l.n.r.: Die Gewerkschafter Jean-Jacques Rieff und Roberto Mendolia (beide Aleba), Benoît Migeaux und Maria-Helena Macedo (beide LCGB), Sylvie Reuter und Francis Capitani (beide OGBL) Foto: Christian Muller

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Die Verhandlungen über einen neuen sektoriellen Kollektivvertrag für den Finanzsektor waren keine einfachen für die Gewerkschaften OGBL, LCGB und Aleba. Doch schlussendlich haben sie, als gemeinsame „Gewerkschaftsfront“, eine Einigung mit der Bankenvereinigung ABBL erzielt. Mit dem Ergebnis sind sie zufrieden, schauen aber bereits auf die nächste Verhandlungsrunde in drei Jahren. Sie sehen sich gut aufgestellt.

Kollektivverträge spielen hierzulande eine wesentliche Rolle bei Gehalt, Urlaubstagen und Arbeitszeit. Tausende Beschäftigte haben dank ihnen Arbeitsbedingungen und Löhne, die besser sind als das gesetzliche Minimum. Meist werden sie für einzelne Unternehmen ausgehandelt, in einigen Fällen jedoch auch für einen kompletten Wirtschaftssektor, etwa im Finanzbereich.

Das nun gefundene Abkommen „ist damit nichts Kleines“, unterstrich Sylvie Reuter (OGBL) am Mittwoch in einer gemeinsamen Pressekonferenz der drei Gewerkschaften. „Es geht um bindende Regeln für einen wichtigen Bereich der Luxemburger Wirtschaft, in dem rund 25.000 Personen arbeiten.“

Nachdem die drei Gewerkschaften Anfang 2023 mit ihren Mitgliedern eigene Forderungskataloge erstellt hatten, schlossen sie im September/Oktober ein Abkommen, um in den Verhandlungen mit der Bankenvereinigung ABBL als gemeinsame Gewerkschaftsfront anzutreten. Sie gaben sich Regeln, wie alles ablaufen soll, wie verhandelt und kommuniziert werden soll, dass man „von A bis Z zusammen“ und respektvoll miteinander arbeitet, sagte Sylvie Reuter.

Gute Zusammenarbeit

Die Verhandlungen waren dabei nicht einfach. Dass es zu einem Resultat kommen würde, mit dem schlussendlich beide Seiten zufrieden sein würden, war im Laufe der Verhandlungen nicht immer klar, so Roberto Mendolia (Aleba) am Mittwoch. Er erinnerte an die letzte Pressekonferenz im Mai, als die Stimmung deutlich pessimistischer war. Damals zeigten sich die drei Gewerkschaften des Finanzsektors zunehmend frustriert. Die ABBL befand die Forderungen von OGBL, LCGB und Aleba für überzogen. Die Verhandlungen stockten. „Zu Beginn sagte die ABBL einfach nur Nein zu allem“, so Mendolia.

Doch mit der Zeit, dem Druck durch die Pressekonferenz und den stetigen Nachrichten von neuen Rekordgewinnen der Banken sei bei manchen Punkten, wie etwa bei der Ausbildung, dann doch eine Verhandlungsbereitschaft entstanden.

Heute habe man dann schon eher gute Nachrichten zu melden, so Roberto Mendolia am Mittwoch. Das nun erzielte Ergebnis „von vielen Anstrengungen und einem Jahr Arbeit“ bezeichnete er als „exzellent“. „Zusammen haben wir etwas sehr Gutes erreicht. (…) Wir haben das zusammen begonnen und sind zusammen ans Ziel gekommen.“

Auch Maria-Helena Macedo (LCGB) hob die Wichtigkeit des gemeinsamen Auftritts hervor. Zusammen habe man „strukturell viel erreicht. (…) Wir haben uns gefunden und bis zum Schluss zusammengehalten. Niemand ist umgefallen.“ Auch die verschiedenen Versuche der ABBL, die Gewerkschaftsfront zu spalten, hätten nicht gefruchtet, so Macedo. Im Gegenteil: Im Gegensatz zur ABBL sei die Gewerkschaftsseite während der Verhandlungen stetig besser geworden, sagte Reuter. „Ich bin sehr stolz auf uns.“

Nur weil „wir zusammengestanden haben, haben wir das erreicht“, bestätigte Sylvie Reuter. „Niemand darf umfallen, bis alle drei zufrieden sind“, so eine der festgelegten Regeln. Das sei schlussendlich auch der Schlüssel des Erfolgs gewesen. Man sei nicht dogmatisch vorgegangen. „Es war weniger wichtig, mit wessen Forderung wir reingingen, als mit welchem Ergebnis wir herauskamen.“

Ein Etappensieg für die Angestellten

Unterschrieben werden dürfte der neue sektorielle KV nun bis Ende des Monats, schätzen die Gewerkschafter. Zuvor müssen die einzelnen zuständigen Gremien noch ihre Zustimmungen geben.

Dabei sei man bereits vorbereitet für die kommenden Verhandlungen in drei Jahren. „Dieses Abkommen ist ein Schritt für die Zukunft. Wir sind stolz. Es löst zwar nicht alle Probleme, aber es ist gut. Der Bankensektor ist bereit, sich den Herausforderungen zu stellen“, erklärte Maria-Helena Macedo. Davon, dass die Arbeitnehmervertreter in drei Jahren wieder zu dritt zusammen kämpfen müssen und werden, geht sie aus. „Wir dürfen nicht loslassen. Die Zukunft wird nicht einfach, aber wir werden dranbleiben.“

Viele Baustellen bleiben demnach noch übrig. Ein großes Thema beispielsweise ist den Gewerkschaftern zufolge, dass zu viele Mitarbeiter als Führungskräfte („cadre“) eingestuft werden. Die arbeiten dann außerhalb vom Kollektivvertrag und „leisten Unmengen an unbezahlten Überstunden“, so Macedo. Gemeinsam will man versuchen, ein Konzept „cadre“ in den KV einzubringen. „Es gilt, den KV für möglichst viele Leute möglichst interessant zu machen“, so Sylvie Reuter. Ein weiteres Thema, wo die Gewerkschafter noch deutliche Verbesserungsmöglichkeiten sehen, ist die Work-Life-Balance, etwa durch die Einführung eines Zeitsparkontos, wie es beim Staat und in vielen Betrieben längst üblich ist.

Von der Regierung erwarten die Gewerkschafter ebenfalls Anstrengungen. Luxemburg steht – bei Kollektivverträgen – im europäischen Vergleich nicht besonders gut da. Im Jahr 2018, dem letzten Zeitpunkt, für den Daten vorliegen, war hierzulande gemessen worden, dass nur ein Anteil von 62 Prozent der Beschäftigten von einem KV abgedeckt ist. Ohne die öffentliche Verwaltung und das öffentliche Bildungswesen (100 Prozent Abdeckung) fällt der Deckungsgrad auf nur noch 53 Prozent. Demnach ist nur etwas mehr als jeder zweite Arbeitnehmer im Privatsektor durch einen Kollektivvertrag abgedeckt.
Eine EU-Richtlinie hat den Ländern einen Deckungsgrad von Kollektivverträgen von 80 Prozent zum Ziel vorgegeben. Belgien, Frankreich oder die skandinavischen Länder haben eine Abdeckung von über 90 Prozent.

Kollektivverträge

Kollektivverträge (auch Tarifverträge genannt) sind Verträge zwischen Arbeitnehmergewerkschaften und Arbeitgebern, die sich auf die Arbeitsbedingungen der betroffenen Mitarbeiter beziehen. In diesen Abkommen werden u.a. Arbeitsorganisation und Arbeitszeit geregelt, Lohntabellen und berufliche Laufbahnen festgelegt, Prämien und Arbeitszeitregelungen definiert, Möglichkeiten zur Weiterbildung erläutert und Regeln gegen Mobbing festgelegt. Sie dienen als Ergänzung zum Arbeitsrecht. Standardmäßig gilt ein Tarifvertrag für alle festen Beschäftigten eines Unternehmens. Leitende Angestellte sind vom KV ausgeschlossen. Mehr als 200.000 Beschäftigte haben hierzulande dank ihnen Arbeitsbedingungen und Gehälter, die besser sind als die vom Gesetz vorgesehenen Mindestkriterien.

Nach luxemburgischem Recht gibt es zwei Arten von Tarifverträgen. Erstens: „Normale Kollektivverträge“, wo der Arbeitgeber (Unternehmen, Organisation) mit einer Gewerkschaft verhandelt hat und ein Abkommen erzielt wurde. Zweitens: Tarifverträge für spezifische Berufsgruppen, die von repräsentativen Gewerkschaften mit der betreffenden Arbeitgeber-Vereinigung ausgehandelt wurden und die für einen ganzen Sektor bindend sind. Beispiele von sektoriellen Kollektivverträgen sind das Bauwesen, der Finanzsektor, das Reinigungswesen und die Druckereien.

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