Lust zu lesenBrechts Inneneinrichtung und Loos’ Bestseller: „Ein Haus, ein Stuhl, ein Bett“ und „Buch ohne Titel“

Lust zu lesen / Brechts Inneneinrichtung und Loos’ Bestseller: „Ein Haus, ein Stuhl, ein Bett“ und „Buch ohne Titel“
Lust zu lesen? Wir haben die passenden Tipps! Foto: Pexels/Pixabay

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Von Brecht bis Loos: Die Neuerscheinungen „Ein Haus, ein Stuhl, ein Bett“ und „Buch ohne Titel“ entführen Literaturbegeisterte auf besondere Weise in den Alltag von Bertolt Brecht und Lina Loos. Die Bücher im Überblick.

„Ein Haus, ein Stuhl, ein Bett: Bertolt Brechts Lebensstil“: Passgenaues Ambiente

Die Autorin Ursula Muscheler widmet sich Brechts Lebensstil
Die Autorin Ursula Muscheler widmet sich Brechts Lebensstil Foto: Ursula Muscheler

„Das Zimmer und die meisten Dinge gefallen mir, aber des Ganzen schäme ich mich, weil es zuviel ist“ – wer das schrieb, war Bertolt Brecht in seinen „Autobiografischen Notizen“, und er bezieht sich damit auf die schwierigen Anfangsjahre des Schriftstellers in Berlin.

1924 hatte seine hochschwangere zukünftige Ehefrau, die Schauspielerin Helene Weigel, eine Atelierwohnung in der Spichernstraße Nr. 16, im Stadtteil Wilmersdorf, aufgegabelt. Drei Jahre später erschien in der Zeitschrift Uhu ein Foto aus der Wohnung. Es zeigt Brecht in seinem Arbeitszimmer mit Freunden, seiner Assistentin Elisabeth Hauptmann an der Schreibmaschine und dem Boxer Paul Samson-Körner am Klavier. Mehr noch als die Personen interessiert die Architektin und Autorin Ursula Muscheler an dem Lichtbild allerdings die Bestuhlung, die Möbel insgesamt. Mit ihrer Publikation „Ein Haus, ein Stuhl, ein Auto“ wagt sie nämlich eine frisch anmutende Perspektive auf Brechts Lebensstil und sagt damit sehr viel auch allgemein Gültiges über die Zeit aus, in der er zum bedeutendsten deutschsprachigen Dramatiker des zwanzigsten Jahrhunderts aufstieg.

Wie Brecht wohnte, hat weniger mit seiner kleinbürgerlichen Herkunft zu tun, sondern vielmehr mit einer Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die für viele Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle damals typisch war. Seine Abneigung gegen Reformbewegungen wie dem Bauhaus und dessen neusachlicher Forderung nach Mindeststandards fürs Wohnen teilte Brecht u.a. mit Joseph Roth, Ernst Bloch und Kurt Tucholsky. Man bescheinigte den seriell geplanten und industriell gefertigten Häusern, Möbeln und weiteren Einrichtungsgegenständen eklatante Geschmacklosigkeit und schlampige Verarbeitung. Wer sich in diesen Kreisen meinte, mit Kaufhausmöbeln in schachtelgroßen Zwei-Zimmer-Wohnungen und Winzküchen begnügen zu können, wurde gnadenlos verspottet. Nach Bertolt Brechts Rückkehr aus dem Exil tauchten ähnliche Vorwürfe in jenen Ratschlägen auf, die er den realsozialistischen Machthabern in der DDR angedeihen ließ. So forderte er „eine Verbesserung der Gebrauchsgegenstände, die den Arbeitern zur Verfügung gestellt würden“, schreibt Muscheler, denn „sie seien in ihrer jetzigen Form unansehnlich“ und „bestünden aus minderwertigem Material“. Er selber beabsichtigte weiterhin „in Häusern und mit Möbeln zu wohnen, die zumindest 120 Jahre alt sind, also in früherer kapitalistischer Umgebung, bis man eine spätere sozialistische haben wird“.

Dinge geben Halt

Allzu leicht würde man es sich machen, wenn man Brecht ob solcher Aussagen als Snob und Salonkommunist abtun würde. Die Frage, was ihn an Architektur so interessierte und vor allem an den Dingen des täglichen Lebens derart hängen ließ, dass er sie auf seiner Flucht mitsamt Familie und einem Tross an Mitarbeiterinnen und Geliebten immer weiter mitschleppte und bis nach Schweden, Finnland und den USA nachkommen ließ, macht Ursula Muschelers Buch zum Faszinosum. Ästhetisch betrachtet, war der Hausstand von Bertolt Brecht eine Mischung aus Dingen, die zumeist schon bessere Tage hinter sich gehabt hatten. Selbst in Kalifornien suchte Helene Weigel nach Möbeln und fand, dank untrüglichem Blick, in Garagenverkäufen und bei Wohnungsauflösungen günstige und „gut gearbeitete Gegenstände aus edlen Materialien mit Alters- und Gebrauchsspuren, wie Brecht sie schätzte“.

Cover zum Buch „Ein Haus, ein Stuhl, ein Bett: Bertolt Brechts Lebensstil“
Cover zum Buch „Ein Haus, ein Stuhl, ein Bett: Bertolt Brechts Lebensstil“ Foto: Berenberg Verlag

Die Flucht vor Hitlers Häschern führte zuerst in ein Fischerhaus nach Dänemark, wo Brechts Achtsamkeit bezüglich Arbeitstischen und Stühlen „fast schon zur Obsession“ wurde. Ursula Muscheler mutmaßt, dass diese Fixierung symbolisch zu deuten ist. Als stellten diese Gegenstände „das letzte Stück Heimat dar oder den einzigen Besitz, über den er als Flüchtling noch nach eigenem Gutdünken verfügen konnte“. Ein anderer Aspekt ist dessen Arbeitsweise, die man als durchaus kollektive bezeichnen kann. Wobei er und seine Mitarbeiterinnen in einer Art Schreibmanufaktur an langen Tischen Manuskripte und Recherchen ausbreiteten. Wie Bob Dylan später konnte Bertolt Brecht im größten Trubel Verse und Texte verfassen. Im Gegensatz zu Dylan brauchte Brecht jedoch einen festen Rahmen, um schreiben zu können. Und egal, ob in Berlin, auf der Flucht, wieder zurück in Ost-Berlin oder auf dem Land in Bukow: Stets galt es, diese Produktivität dadurch zu gewährleisten, dass die Dinge wieder und wieder an ihren Platz gerückt wurden, um ebendiesen Rahmen abzugeben.

Ursula Muscheler: „Ein Haus, ein Stuhl, ein Bett: Bertolt Brechts Lebensstil“, Berenberg Verlag, Berlin 2024, 176 S., 26 Euro


„Das Buch ohne Titel“: Eine Frau von Welt

Porträt von Lina Loos
Porträt von Lina Loos Foto: Edition Atelier

Während Bertolt Brecht in Berlin noch um seine Anerkennung als Dichter und Dramatiker rang, war Lina Loos eine arrivierte Künstlerin. Bereits als Jugendliche galt Lina Obertimpfler in Wien um das Jahr 1900 als stadtbekannte Schönheit. Noch während ihrer Ausbildung zur Schauspielerin lernte sie im Caféhaus ihres Vaters den umstrittenen Architekten Adolf Loos kennen und ehelichte ihn in Windeseile.

Die unglückliche Affäre mit dem Abiturienten Heinz Lang und der Skandal um dessen Freitod 1904 trieb Lina Loos, wie sie seit der Hochzeit offiziell hieß, aus ihrer Heimatstadt fort. Theaterengagements führten sie bis nach Russland und in die USA. In Berlin feierte sie noch vor dem Ersten Weltkrieg im Linden-Cabaret Erfolge, die sie etwas später, wieder nach Wien zurückgekehrt, als Diseuse im Cabaret Fledermaus wiederholen konnte.

In dieser Phase ihrer Karriere begann sie auch Texte für die Feuilletons diverser Zeitschriften zu verfassen, erst sporadisch, dann regelmäßig. Offenbar lag ihr Arbeit am Schreibtisch besser wie die mit heftigem Lampenfieber verbundenen Bühnenauftritte. Dennoch gehört sie seit den frühen 1920er Jahren verschiedenen Schauspielensembles von Rudolf Beer an, des neben Max Reinhardt bedeutendsten österreichischen Theatermannes. Sie pflegte intensive Freundschaften u.a. zu Peter Altenberg, Egon Friedell und Franz Theodor Csokor.

Illustres Leben voller Schicksalsschläge

„Das Buch ohne Titel“ erschien in der Neuauflage
„Das Buch ohne Titel“ erschien in der Neuauflage Foto: Edition Atelier

Und doch war Lina Loos‘ illustres Leben nicht frei von Schicksalsschlägen. Ihre ältere Schwester Helene verschwand 1908 spurlos, die Nationalsozialisten trieben Egon Friedell und Rudolf Beer in den Selbstmord. Ihren Bruder, der bekannte Schauspieler Paul Forest, ermordeten die Nazis 1944. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden ihre weit verstreuten Texte im „Buch ohne Titel“ gesammelt veröffentlicht zum Bestseller, der in immer neuen Auflagen zu so etwas wie einer österreichischen Standardlektüre avancierte. Und das aus gutem Grund.

Denn egal, ob sie sich über die mit absurden Momenten nur so gespickte Schauspielerei auslässt, über Peter Altenbergs legendenumrankten Stammtisch und ihre kurze Ehe mit Adolf Loos, oder über Allerweltsthemen wie Traumdeutung und Zinngeschirr: Stets entsprechen ihre humorvollen Texte einem liberalen, weltoffenen Zeitgeist, dem weder Nazis noch deren politische Nachkommen etwas anhaben konnten.

Lina Loos: „Das Buch ohne Titel“, Edition Atelier, Wien 2024, 296 S., 22 Euro