Buchkritik: „Bad Family“ von Simone Trojahn ist nichts für schwache Nerven

Buchkritik: „Bad Family“ von Simone Trojahn ist nichts für schwache Nerven

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Die deutsche Autorin Simone Trojahn machte ihr Debüt 2014 per Selfpublishing mit dem Roman „Mörderherz“. Seither gelingt es Trojahn immer wieder, ihren Lesern menschliche Abgründe zu zeigen. In ihrem Buch „Bad Family“ geht es um die Grenzen der Loyalität innerhalb einer Familie.

Von Cynthia Schmit

Durch ihre Erfahrungen – Trojahn arbeitete selbst im sozialen Bereich – wurde sie immer wieder mit den Problemen anderer Leute konfrontiert und konnte somit schon die Schattenseiten des Lebens kennenlernen. Ihre Beobachtungen dienen als Vorlage für ihre Romane. Nun landet sie einen weiteren schmerzlichen Treffer mit „Bad Family“, einem Roman, der nachdenklich stimmt. Das Thema, wie weit Loyalität innerhalb der Familie gehen kann, wird aufgegriffen.

Einer der Hauptcharaktere, der 17-jährige Fips, das Nesthäkchen der Familie Kollers aus München, steht vor einer brutalen Entscheidung. Einerseits will er zur Familie gehören, sich aber andererseits wie ein anständiger Mensch mit Verstand und Würde verhalten. Wieso beides zusammen nicht funktioniert? Seine Familie hat sadistische Tendenzen. Die Mitglieder sind regelrechte Monster. Peter, der Vater, hält stets mindestens eine Frau auf dem Dachboden fest und foltert sie auf unvorstellbare Weise. Dabei helfen – mehr oder weniger freiwillig – die Mutter, zwei Töchter und drei Söhne.

Die neuesten Opfer sind zwei Australierinnen. Susan und Clara besuchen während ihrer Weltreise das berühmte Oktoberfest in München und tappen in die Falle der Kollers-Geschwister, welche sie mit zu sich nach Hause nehmen und ihrer Freiheit berauben. Fips beteiligt sich nicht daran. Er scheint der Einzige in der Familie zu sein, der noch etwas Menschlichkeit aufzuweisen hat, doch der Vater setzt alles daran, ihm den letzten Funken Empathie auszutreiben und den Jüngsten so zu einem „vollwertigen“ Familienmitglied zu machen. Fips soll, wie alle Männer in der Familie, dabei helfen, die Mädchen zu vergewaltigen und zu foltern. Eine grauenhafte Kette an Geschehnissen und Gräueltaten nimmt ihren Lauf.

Brutale Entscheidung

Zu Anfang der Lektüre merkt man schon, dass dieses Buch nichts für zart besaitete Menschen ist. Ein Flashback aus der Sicht des mittlerweile 17-jährigen Fips, der damals acht Jahre alt war, zeigt bereits, dass wir eine alles andere als konventionelle Familie vor uns haben. Die Lebensumstände legt der Vater als Oberhaupt der Familie fest und alle haben dem Folge zu leisten. Freie Entscheidungen gibt es nicht; obwohl eigentlich Geld vorhanden ist und ausreichend Wohnraum zur Verfügung steht, sind die Lebensbedingungen extrem weit davon entfernt, ideal zu sein.

„Die Wanne [wird] nur einmal in der Woche gefüllt und alle müssen baden. Hintereinander. Im selben Wasser. Erst die Eltern und dann die fünf Kinder. Fips und seine Schwester Mitzi […] sind die Jüngsten und kommen als Letzte dran, wenn das Wasser schon ganz braun ist und aufgeweichte Hautpartikel darin herumschwimmen“, erinnert sich Fips.

Durch bildhafte Schilderungen zieht die Autorin den Leser schnell in den Bann. Zugegebenermaßen ist dies bei diesem von Gräueltaten geprägten Werk nur geringfügig von Vorteil. Aber unabhängig davon, wie schlimm viele der Gewaltakte sind, macht es neugierig auf die Entwicklung der Handlung und letztendlich auch den Ausgangspunkt der verworrenen Story.

Mit der lebhaften Darstellung der Geschichte gelingt es der Autorin, dass der Leser sich im Zwiespalt wiederfindet. Die Frage stellt sich, wie viel Opfer und wie viel Täter in jedem einzelnen Charakter steckt. Fips dient als bestes Beispiel, da er einerseits die Opferrolle gegenüber seinem Vater einnimmt und doch andererseits selbst vergewaltigt und misshandelt. Eine Atempause zwischen den Kapiteln einzulegen, hilft dabei, die beschriebenen Ereignisse besser verarbeiten zu können.

Schmerzliche Bilder

Die Schriftstellerin nimmt sich für jeden Charakter ausreichend Zeit. Alle Gedanken, Gefühle und Hintergründe werden beleuchtet. Der Roman wechselt in fast jedem Kapitel die Erzählerperspektive und deckt die Gedankengänge von diversen Personen ab, damit verschiedene Situationen aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden können. So wirkt Clara, welche an einen Stuhl gefesselt misshandelt wird, für Fips ganz apathisch und willenlos, während sie die Situation aus ihrer eigenen Sicht ganz anders wahrnimmt. In Gedanken hat sie sich „an ihren schönen Ort“ zurückgezogen, um der Folter psychisch zu entgehen.

Die Sprache, die Trojahn verwendet, ist sehr jugendorientiert. Sie benutzt wenige Fachwörter und verwendet meist kurze, prägnante Sätze. „Was für ein Wort! Familie. Was für ein Witz! Doch dazu gehört, in den warmen Armen seiner Schwester zu liegen. Familie. Was für ein Glück!“, denkt Fips über seine älteste Schwester Fanny. Die Schriftstellerin bekommt es hin, mit wenigen Worten viel zu sagen.

Ein weiteres Beispiel ist jener Moment, in dem Fips über Fanny redet: „Sie war so wütend und umso schöner.“ Bei einer solchen Andeutung schaudert es den Leser. Die Autorin verzichtet meist auf lange Beschreibungen und lässt der Fantasie des Lesers freien Lauf, wenn sie bei aufregenden Situationen einfach stoppt und diese nicht weiter erzählt.

Es handelt sich bei dem Inhalt des Thrillers keineswegs um Gewaltverherrlichung, sondern um das Ergründen der Psyche eines Menschen in einer solch grausamen Situation. Wir haben quasi eine Studie über menschliche Abgründe, die eine komplette Familie mit sich in die Tiefe ziehen, vor uns.

Düstere Einblicke

Die Leserschaft wird dazu verleitet, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie es dem herrischen Familienoberhaupt gelungen ist, die eigene Familie völlig zu instrumentalisieren und seine Kinder zu Handlangern seiner grausamen Verbrechen zu degradieren.
Zu bemängeln ist, dass die Vorgeschichte nur kurz angeschnitten, jedoch nie wirklich ausgebaut wird. Die Antwort, die Fips bekommt, nachdem er sich traut, etwas zu dem Thema zu fragen, besteht aus einer Tracht Prügel. Darüber, dass der Vater als Kind oder Jugendlicher innerhalb seiner Familie übel behandelt wurde, kann man nur spekulieren. Der Thriller hebt sich somit nicht wirklich von anderen ab und bietet keinen tiefgründigen Einblick in die Beweggründe des Vaters.

„Bad Family“ ist ein brutaler Beitrag im Hardcore-Thriller-Genre, der nicht für jeden geeignet ist. Wer lieber seine Fantasie spielen lassen will, anstatt über unzensierte Straftaten zu lesen, der sollte die Finger von dem Buch lassen. Wer aber bereit ist, sich Dingen zu stellen, die in unserer Welt leider so passieren, ohne die Augen davor zu verschließen, was Menschen anderen Menschen antun können, der kann zugreifen. Man sollte jedoch immer im Hinterkopf behalten, dass es nichts für schwache Nerven ist.

* BTS-Studentin Cynthia Schmit wollte ihre fünfwöchige Tätigkeit als Praktikantin für das Tageblatt mit einer Buchkritik abschließen. Bei der Wahl des zu rezensierenden Buches entschied sie sich für einen nicht jugendfreien Hardcore-Thriller.