Der letzte Tango

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(dpa)

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Jeden Abend ziehen die Ufer der Seine in Paris Besucher an. Im Sommer geben sich Tanzbegeisterte hier ein Stelldichein für Tango und Salsa und tanzen gemeinsam in die Nacht. Dabei lassen die teilweise ungleichen Paare sich selbst von Regen nicht abhalten.

Gut sieht das nicht aus. Mit skeptischer Miene blickt François in den Himmel. Dunkle Wolken hängen tief herab, ein kühler Wind fegt über die Promenade an der Seine, gibt eine Ahnung von Herbst, noch bevor es Sommer war.

Im Web

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Aus einem Vorort von Paris ist er in die Stadt gefahren, um zu sehen, wie die Lage ist nach den letzten Regentagen. Mit einer Schippe schaufelt er das Wasser in den Fluss, das sich in einer der Ausbuchtungen am Ufer angesammelt hat. „Sonst wird das nicht trocken bis Sonntag“, erklärt er. Am Sonntag ist hier Salsa-Nachmittag, ein Muss für François.

Kostenlose Kurse an der Seine

Der Square Tino Rossi am linken Flussufer, östlich von der Kathedrale Notre Dame und etwas abseits vom dortigen Touristen-Trubel, scheint wie geschaffen für Tanz-Bälle unter freiem Himmel. An der Promenade reihen sich vier Amphitheater aneinander, umgeben von Treppenstufen für die Zuschauer. Seit 20 Jahren nutzen sie Hobby-Tänzer für Rock und Salsa, bretonische Volkstänze und argentinischen Tango.

Vereine bieten inzwischen Anfängerkurse an, die ebenso wie der anschließende „Ball“ für alle offen und kostenlos sind. Heute baut Eric, der Tango-Lehrer, eine kleine Musik-Anlage auf. Viele haben auf die Initialzündung gewartet, nähern sich der Tanzfläche, sehen sich um: Wie ist das Geschlechterverhältnis heute Abend? Wer ist frei?

Nur Musik und Bewegung zählen

Michel hat sich in Schale geworfen: Schwarze Bügelfalten-Hose, schwarzes Hemd mit dunkelrotem Kragen. Mit 77 Jahren dürfte er hier, wo sich Jung und Alt mischen, der Doyen sein.

Vieles sei nicht mehr so wie einst, klagt er. „Die Frauen von heute lassen sich nicht mehr führen. Aber wenigstens beim Tango müssen sie das.“ Mit einer galanten Armbewegung fordert er drei japanische Touristinnen auf, die mit einer Tüte Kartoffelchips auf den Stufen hocken. Verlegen winken sie ab: „Non, merci!“

Romantik nicht nur für Touristen

Dabei ist die Paar-Bildung keine Alters- oder Nationalitätenfrage, ebenso wenig wie eine Stilfrage. Es zählt der Gleichklang in den Bewegungen, das Hineinhören in den anderen. Die einen kommen in der robusten Outdoor-Jacke, die anderen in eleganter Tanzmontur. Auch die Zuschauerränge füllen sich. Ein Pärchen hat sich Pizza und eine Flasche Rotwein mitgebracht, andere picknicken auf den Stufen. Ein junger Inder wittert sein Geschäft des Abends. „Fresh, fresh, fresh“, ruft er in werbendem Singsang und baut gekühlte Bier- und Cola-Dosen vor sich auf. Inmitten der gelösten Feierlaune vertieft sich ein Geschäftsmann im Anzug in die Lektüre seiner Zeitung.

Regelmäßig tuckern die Ausflugsschiffe vorbei und werfen grelle Lichter auf die Szenerie. Die Touristen beklatschen die unverhoffte Tanz-Vorstellung, die so sehr dem Bild vom romantischen Paris entspricht, dieser verklärten Stadt der Liebe, in der sich die Tänzer zum Stelldichein am Flussufer treffen.

Anwohner beklagen Ruhestörung

Dabei hat es um diese vermeintliche Idylle viel Ärger gegeben. Da sich Anwohner über Ruhestörung beschwerten, wollte das Rathaus die Veranstaltungen reglementieren und forderte einen konkreten Ansprechpartner. So gründete sich der Verein „Paris Tänze an der Seine“, der allerdings bald schon zwei Präsidenten hatte, die das Amt für sich beanspruchten – und so gab es zeitweise überhaupt keine Genehmigung. Auch in diesem Jahr wurde sie erst Mitte Juli erteilt. Seitdem verhagelt der Regen das Vergnügen.

Auch jetzt donnert es bedrohlich am Himmel. Innerhalb weniger Minuten reißen die Wolken auf, heftiger Regen vertreibt Tänzer und Zuschauer unter den nächsten Baum. Dort verfluchen sie diesen Sommer, bis sie gebannt auf die Tanzfläche blicken. Ein einzelnes Paar ist eng umschlungen auf der Tanzfläche geblieben, selbstvergessen und ohne Musik, einen schützenden Regenschirm über sich gespannt. Und führe jetzt noch ein Touristenschiff vorbei, die Passagiere hätten das ganz reale Idealbild dieses romantischen Paris vor ihren Augen.