„Essensvernichter“ an den Pranger

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Millionen Menschen weltweit hungern, gleichzeitig landen viele Lebensmittel auf dem Müll. Wie kann das sein? Und was tun? Jeder müsste bei sich selbst anfangen, meinen die Autoren des Buchs "Die Essensvernichter".

Es ist die Geschichte vom Kartoffelacker, die hängen bleibt. Vier Jahre lang hat der Filmemacher und Buchautor Valentin Thurn die globale Lebensmittelverschwendung untersucht, ist nach Kamerun, in die USA, nach Österreich, Großbritannien und Japan gereist. „Aber auf dem Kartoffelacker eines ostwestfälischen Bauern, da war ich emotional am meisten aufgewühlt.“ Fast die Hälfte seiner Ernte bleibe direkt auf dem Feld zurück, erzählte ihm der Bauer. Ob zu klein, zu groß, zu viel Schorf, oder ein grüner Fleck – diese Kartoffeln wolle niemand kaufen. „Der Ernährungswert ist derselbe, die würden genauso gut schmecken, aber der Handel nimmt sie uns nicht ab.“ Da, so schreibt Thurn, sei es ihm kalt den Rücken heruntergelaufen.

Seine teils schockierenden Erfahrungen und Recherchen hat Thurn produktiv verarbeitet – in gleich zwei Dokumentarfilmen und gemeinsam mit dem Journalisten Stefan Kreutzberger auch in einem Buch. Der erste Dokumentarfilm lief im vergangenen Oktober in der ARD, der zweite kommt im September in die deutschen Kinos, eine Aktionswoche in deutschen Städten soll folgen. Das Buch „Die Essensvernichter“ liefert Beispiele, Statistiken und Informationen in Hülle und Fülle. Rasch wird deutlich, wie viel Recherche in diesem Buch steckt – und dass die nicht immer einfach war. „Mittlerweile ist jeder Quadratzentimeter der Rückseite des Mondes exakt vermessen, aber niemand kann genau sagen, wie viele Ressourcen an Energie, Wasser, Boden und Arbeitskraft ungenutzt vergeudet werden“, klagen die Autoren.

Erschreckende Statistiken

Trotzdem haben sie hunderte von erschreckenden Statistiken ausgegraben: Rund ein Drittel der weltweit für den Verzehr gedachten Lebensmittel lande Schätzungen zufolge im Abfall, in Industrieländern sei es etwa die Hälfte. Ein Viertel des weltweiten Wasserverbrauchs werde für den Anbau von Lebensmitteln verwendet, die später auf den Müll geworfen würden. Mit dem Brot, das jedes Jahr in Deutschland weggeworfen werde, könnte im selben Zeitraum ganz Niedersachsen bedient werden: 500 000 Tonnen. Statistisch gesehen gäbe es mehr als genug Nahrung für alle Bewohner der Erde – aber weil so viel weggeschmissen oder für Tierfutter, Biosprit oder zur Stromerzeugung genutzt wird, müssen immer mehr Menschen hungern.

Die blanken Zahlen erschrecken, aber hängen bleiben vor allem die Menschen und ihre Geschichten. Die vom Kartoffelacker, oder die vom französischen Supermarktleiter, der alle Produkte sechs Tage vor Ablauf des Haltbarkeitsdatums aus dem Regal nehme – weil die Kunden sie sonst nicht mehr kaufen würden. Die vom japanischen Großmarktarbeiter, der Sushi-Packungen bereits Stunden nach der Herstellung öffne und den Inhalt wegschmeiße – weil die japanischen Frische-Regeln das so vorschrieben. Und die von den Mülltauchern in Wien, die sich ausschließlich von Lebensmitteln aus Mülltonnen ernähren und damit ohne Probleme einen ausgewogenen Speiseplan aufstellen können.

Ungewöhnliches Buch

„Die Essensvernichter“ ist ein wichtiges Buch, aber auch ein ungewöhnliches, wie die Autoren gleich zu Anfang selbst klarstellen: „Ein Mix aus harten Fakten und persönlichen Betrachtungen, ein Hybrid aus Sachbuch und Autorenfilm.“ Kreutzberger und Thurn haben sich hohe Ziele gesteckt, sie wollen «eine gesellschaftliche Veränderung anstoßen» und eine «Anleitung zum Aktivwerden» liefern. Mit konkreten Tipps für Verbraucher und konkreten Forderungen an Politik, Wirtschaft und Handel untermauern sie ihre Ansprüche. Manches klingt dabei banal – Nie mit leerem Magen einkaufen gehen! Immer genau planen, was die Woche über gegessen werden soll! Einen fleischfreien Tag einlegen! -, aber eben auch praktikabel.

Der Lesbarkeit ist das alles nicht zuträglich. Zu oft werden Informationen wiederholt, zu oft ist dem Buch anzumerken, dass es nur Teil einer größeren Kampagne ist – eben nur das Buch zum Film. Trotzdem rüttelt es auf und bietet in einem umfangreichen Anhang seitenweise Tipps und Ansprechpartner für diejenigen, die bei der Reduzierung der Lebensmittelverschwendung gleich bei sich selbst anfangen wollen.