Januskopf der Historikerzunft?

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„Gott“-lob sind die Zeiten vorbei, als wir Vertreter der mit äußerster Vorsicht zu genießenden Kohl’schen „Gnade der späten Geburt“ in den 60er Jahren mit dem 1956 neu aufgelegten Geschichtsbuch von Joseph Meyers der verlogenen Vergangenheitsbewältigung unserer Väter ausgesetzt waren.

War Dr. Josy Meyers doch Direktionsmitglied der 1935 von Damian Kratzenberg neu formierten „Gedelit“ (Gesellschaft für deutsche Literatur und Kunst), der noch nach dem Krieg und seiner ungeprüften Aussage vor der Luxemburger Staatsanwaltschaft, er habe auch Professoren und Wissenschaftler eingeladen, die dem „Regime ablehnend gegenüberstanden“, mit seiner „Von der Wiege bis zur Bahre“-Geschichte ganze Generationen von Schülern in die Irre führte.

Michel Pauly
Geschichte Luxemburgs

C.H. Beck 2011
ISBN: 978-3-406-62225-0
www.chbeck.de

Anregend und faktenreich

Heute forschen glücklicherweise (im Gegensatz zu Gott sei Dank) nicht nur Historiker wie der junge Bernard François, dessen kürzlich mit dem Robert Krieps-Preis ausgezeichneten Publikation „Le Luxembourg dans la ligne de mire de la Westforschung“ wir diese ansonsten eher subjektive Einleitung verdanken, sondern auch etwas ältere Kollegen wie der an der heimischen Universität lehrende Professor für transnationale Geschichte Luxemburgs Michel Pauly, dessen neueste „Geschichte Luxemburgs“ nun in der Reihe „Wissen“ des renommierten deutschen C.H.-Beck-Verlags erschienen ist.

Vorweg sei kritisch angemerkt, dass sich Michel Pauly in seiner Bibliografie solch unterschiedlicher Werke wie der von Pit Péporté, Sonja Kmec, Benoît Majerus und Michel Margue erst kürzlich vorgelegten Publikation „Inventing Luxembourg“ und der vom früheren Journal-Chefredakteur Rob Roemen zum 150. Jahrestag des Liberalismus in Luxemburg erzählten „Liebe zur Freiheit“ bedient.

Ansonsten handelt es sich, wie wir dem Klappentext entnehmen, um „einen anregenden und faktenreichen Überblick über die Entwicklung Luxemburgs von den frühesten Anfängen bis zur Gegenwart. Er erläutert die historischen Prozesse, die aus der mittelalterlichen Grafschaft Lucilinburhuc den souveränen Staat Luxemburg werden ließen, und beschreibt zugleich die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen dieses Aufstiegs. Dabei setzt er die Geschichte Luxemburgs konsequent in Beziehung zu den Nachbarregionen und erhellt damit die historische, kulturelle und politische Vielfalt dieses europäischen Kernlandes.“

Scheinbar sind wir mit den „frühesten Anfängen bis zur Gegenwart“ immer noch nicht aus dem von der Wiege bis zur Bahre-Schema heraus, doch muss man anerkennen, dass Michel Pauly nicht nur linear vorgeht, sondern auch in die Breite denkt, wenn er zum Beispiel die von seinem Trierer Kollegen Prof. Dr. Winfried Reichert vorgezeichneten finanztechnischen Glanzstücke nachzeichnet, mit der Johann der Blinde, dem in der hiesigen Geschichtsschreibung lediglich die eher unbedeutenden Kriegshandlungen vorgehalten werden, die Grafschaft Luxemburg mithilfe seines Ratgebers und Financiers Arnold von Arlon ausweitete.

Ansprechende Dynamik

Auch die Wahlen von 1974, bei denen die CSV erstmalig und bis heute zum einzigen Mal die Oppositionsbank drücken musste, als Bruch mit der Generation von Politikern zu sehen, die den Krieg noch selbst erlebten, wirft ein neues historisches Licht auf diese für die gesellschaftlich relevanten politischen Fragen sonder Zweifel sehr aufschlussreiche Periode legislativen Schaffens.

Wenn sich erkenntnistheoretische Historiker aber anmaßen, volatil ökonomische Statements abzugeben, dass zum Beispiel die Vorgabe eines durchschnittlichen Wirtschaftswachstums von vier Prozent jährlich zur Garantie der Alterversorgung kaum noch zu halten ist, dann bewegen sie sich, auch wenn sie recht hätten, in einer Gegenwart, die nicht ihr Feld ist, und bedienen lediglich bürgerliche Ängste.

Es sei denn, sie verstehen sich als Januskopf der Historikerzunft, der mit strengen Argusaugen nach hinten schaut, um auf der anderen Schwellenseite misstrauische Zeitgenossen in ihren schwarzen Zukunftsvisionen zu wiegen. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, ist das vorliegende Buch von Michel Pauly, das durchaus eine neue und interessante Dynamik in der Luxemburger Geschichtsschreibung einläutet, interessierten und aufgeklärten Lesern nur wärmstens zu empfehlen.