Interview zu „Die Ermittlung“RP Kahl: „Es hat stattgefunden, darum muss es beschreibbar sein!“

Interview zu „Die Ermittlung“ / RP Kahl: „Es hat stattgefunden, darum muss es beschreibbar sein!“
Der Regisseur hinter „Die Ermittlung“: RP Kahl Foto: Sammy Hart 

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Der Berliner Regisseur RP Kahl im Gespräch über seine Peter-Weiss-Verfilmung „Die Ermittlung“ und die Frage, wie man angemessene Bilder für Auschwitz findet.

Tageblatt: RP Kahl, Sie haben sich zwei Jahre nahezu täglich mit dem Stoff „Auschwitz“ beschäftigt. Was hat das mit ihnen gemacht?

RP Kahl: Es ist nicht schön, es ist schrecklich. Es wühlt einen auch auf, man schläft schlechter und einiges mehr – aber ich will das gar nicht zu sehr aufzählen. Denn es gehört zum Respekt vor den Opfern, dies auch auszuhalten. Mich hat die Beschäftigung mit dem Thema auch stärker gemacht in meiner Sicherheit, dass ich Demokrat und Humanist sein will, und die liberale Ordnung verteidigen, und in der Gewissheit, dass universale Werte unverzichtbar sind. Auschwitz hatte keinen Sinn. Es war sinnlos, sinnlos, sinnlos. Aber diesen Film gemacht zu haben, war für mich sehr, sehr sinnvoll.

Ist dies jetzt vor dem Hintergrund des aufkeimenden Rechtsextremismus und Antisemitismus „ein Film gegen rechts“? Haben Sie ihn deswegen gemacht oder hieße das, ihn zu vereinnahmen oder zu vereinfachen?

Kahl: Ich glaube, als Erstes ist der Film erstmal der Film, und steht für sich. Natürlich steht es jedem frei, den Film zu interpretieren und seine Schlussfolgerungen zu ziehen. Ich glaube, es wäre aber zu einfach, es auf die Aussage zu verkürzen: Das ist der Film der Stunde gegen den Rechtsextremismus. Ich hoffe, dieser Film wird länger bleiben, als es die Rechtsextremisten geben wird. Meine Interpretation ist ganz klar: Der Film wendet sich gegen eine Gesellschaft, die totalitär ist, und in der der Opportunismus siegt. Zudem ist Antisemitismus leider etwas, das nicht nur auf Rechtsextremisten beschränkt ist. Ich sehe auch in der Mitte der Gesellschaft eine gewisse Hinwendung zu antisemitischen Floskeln und Denkmustern. Ich sehe das Gleiche auch in einem Teil der linken Politik unter dem Mantel postkolonialen und identitätspolitischen Denkens.

Gab es im Vorfeld Leute, die gesagt haben: „Muss man das denn jetzt noch mal machen? Hat das nicht mal ein Ende?“ – also diese üblichen Schlussstrich-Floskeln. Oder gab es Schauspieler, die abgelehnt haben?

Kahl: Bei Schauspielern gab es keine Ablehnungen. Aber diesen Satz „Wer will denn das sehen?“, „Wen interessiert denn das?“ – das waren Sätze, die wir doch häufiger gehört haben. Das muss gar nicht antisemitisch gemeint sein, sondern es ist mehr ein Controlertum der Betriebswirtschaftler und eine Leichtfertigkeit, die das Wissen um die Geschichte und die Herkunft ignoriert. Das merkt man ja auch in den jetzigen Konflikten.

Antisemitismus ist leider etwas, das nicht nur auf Rechtsextremisten beschränkt ist. Ich sehe auch in der Mitte der Gesellschaft eine gewisse Hinwendung zu antisemitischen Floskeln und Denkmustern. Ich sehe das Gleiche auch in einem Teil der linken Politik unter dem Mantel postkolonialen und identitätspolitischen Denkens.

RP Kahl, Regisseur

Was macht diesen Stoff aktuell und worum geht es genau?

Kahl: Zunächst ist es wichtig, die historische Wahrheit als solche zu erzählen. Denn oft genug ist diese historische Wahrheit verschüttet unter all den Fiktionalisierungen, all den Überschreibungen. Ich glaube, wer diesen Film sieht und glaubt, er wisse schon alles über Auschwitz, der wird ganz viel Neues erfahren.
Über den Schock und die Emotionen hinaus, über das Erlebnis und das Quälende daran, sich diese schrecklichen Dinge anhören zu müssen und zu vergegenwärtigen, geht es auch darum, dass der Film eine Form von Erkenntnis liefert. Daraus kann man Schlussfolgerungen ziehen: Der Film zeigt ganz klar, was totalitäre Systeme bedeuten. Das ist etwas, was wir in unserem Leben in der Demokratie und der Freiheit vergessen haben. Für das Nazisystem kommt hinzu, dass der Totalitarismus in diesem Fall durch Terror ausgelöst wird. Dieser Terror hat am Ende auch bei den Opfern Mitmenschlichkeit und Ethik unmöglich gemacht.

Schließlich: So ein totalitäres Terrorsystem wird erst möglich durch Täter sowie die große Masse an Opportunisten. Der Punkt ist, zu erkennen: Unsere Freiheit, liberales Denken und Demokratie sind nicht umsonst gekommen. Wir müssen uns selbst darum kümmern, dass so etwas nicht möglich ist. Das ist das ganz Zeitgemäße dieses Films. Ich kann es auch nicht verstehen, wieso man relativ schnell universalistische Werte ignoriert und beiseite schiebt, und stattdessen Universalismus, die Menschenrechte, rechtsstaatliche Prinzipien, die für alle gleich gelten, durch Identitätspolitik aufgeweicht werden. Das sind Projektionen. Genauso etwas war ja der Antisemitismus: eine Projektion von Hass auf bestimmte Gruppen innerhalb der eigenen Bevölkerung.

Was war für Sie die größte ästhetische Herausforderung?

Kahl: Ganz einfach die Aufgabe, einen Theatertext für das Kino umzusetzen. Dann die Frage: Was sind die richtigen Bilder, um Auschwitz zu erzählen? Ich wollte keinesfalls die Bilder wiederholen, die wir alle schon kennen, die nicht mehr unser Herz erreichen oder unseren Kopf. In diese Falle wollte ich nicht tappen. Natürlich ist „Die Ermittlung“ kein historisierender Spielfilm, der versucht, von Charakteren zu erzählen, mit denen Identifikationen oder ihr Gegenteil gefordert werden. Wir haben uns der melodramatischen Struktur und vielen narrativen Strukturen verweigert, die im Kino üblich sind. Dies ist am ehesten Gerichtsdrama, aber eines, dass dieses Genre wiederum nicht zu ernst nimmt.

Im Zusammenhang mit Auschwitz wurde immer wieder auch die Frage eines Bilderverbots aufgeworfen – etwas weniger scharf formuliert: Kann man angemessene Bilder von Auschwitz machen?

Kahl: Natürlich ist die Frage eines Zeigetabus ethisch wie ästhetisch sehr wichtig. Für mich war am Ende die These des französischen Bildwissenschaftlers George Didi-Hubermann maßgebend, aus seinem Buch „Bilder trotz allem“. Er argumentiert: Es hat ja stattgefunden, und darum muss es beschreibbar sein. Denn wenn es Menschen getan haben, dann gab es Bilder davon. In meinem Film kommen ja auch tatsächlich einige historische Bilder vor: Die Künstlerin Stephanie Keitz hat eine Reihe von Fotos in Archiven gefunden, die zu den ganz wenigen Fotos gehören, die die Insassen von Auschwitz im Lager gemacht haben und aus ihm herausschmuggeln konnten. Einige von ihnen zeigen wir in der Einleitung, und wir zeigen auch Luftaufnahmen von Auschwitz, die von US-Aufklärungsflugzeugen gemacht wurden. Wir sprechen hier oft von dem Unbeschreibbaren – was ich aber auch selber lernen musste: Nein, es ist beschreibbar, und es zu tun ist die Aufgabe. Bilder zu finden, ist die Aufgabe.


Und wie gefällt „Die Ermittlung“?

Ein Prozess, eine Ermittlung der Fakten – das Theaterstück „Die Ermittlung“ von Peter Weiss (1916-1982) ist nicht nur eines der erfolgreichsten deutschen Theaterstücke der Nachkriegszeit und ein Schlüsselwerk der westdeutschen Erinnerungskultur, es ist auch dokumentarische Verdichtung eines realen Gerichtsverfahrens, das die Bundesrepublik veränderte: Knapp zwei Jahre dauerte der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess, von 1963 bis 1965, bei dem erstmals Deutsche über Deutsche zu Gericht saßen.

Peter Weiss, der den Nationalsozialismus als Emigrant in Schweden überlebte, verfolgte die Verhandlung und verdichtete sie zu einem vierstündigen dokumentarischen Stück in der Tradition des Brechtschen Theaters.

Nach zwei Verfilmungen fürs Fernsehen hat der Berliner Regisseur RP Kahl, bisher für experimentelle Independent-Filme bekannt, das Stück nun fürs Kino verfilmt. Das Ergebnis ist eine verdichtete Auschwitz-Chronik – auf der Grenze zwischen historischer Realität und Überhöhung. Nichts ist naturalistisch, alles ist realistisch. Denn die Figuren sprechen in nüchterner, oft nicht komplett realistischer, sehr präziser Sprache. Die Kamera zeigt uns Nuancen ihres Spiels und stellt geschickt Beziehungen her.

Das Ergebnis ist ein beklemmender Film – über den Umgang mit der Ermordung der europäischen Juden in der frühen Bundesrepublik, ein Film über Verdrängung und Verdrängungsverweigerung, über Tonlagen und Wortwahl beim Sprechen über das Unaussprechliche, ein Film über das Verschweigen und das zur-Sprache-bringen. Und ein Film über die Ausreden. Die Vernichtungsmaschine verwandelte sich nach 1945 in eine Exkulpationsmaschine.

Kahls Film führt zugleich vor, dass immer der Film vor dem inneren Auge der ist, den wir sehen. Er führt vor, dass Kino nicht notwendig nur Emotion und Gefühlsintensität bedeutet, sondern auch Analyse und Gedankenschärfe. „Die Ermittlung“ erzählt uns damit auch etwas über das Kino an sich und erweitert unsere Vorstellungen des Mediums.

Neu im Ciné Utopia

Clemens Schick in „Die Ermittlung“
Clemens Schick in „Die Ermittlung“ Foto: Hans-Joachim Aki Pfeiffer