LeserforumDas Mehrheitswahlrecht: eine Gefahr für die Demokratie

Leserforum / Das Mehrheitswahlrecht: eine Gefahr für die Demokratie

Mit einer absoluten parlamentarischen Mehrheit gegen die Mehrheit der Bevölkerung zu regieren, ist der Traum vorrangig konservativer Politik. Doch auch linke Parteien sind davor nicht gefeit, wie der mitterrandistische PS es gezeigt hat, indem er sich aus Angst vor den Grünen in den 90er Jahren weigerte, das Mehrheitswahlrecht abzuschaffen, mit dem Argument, nur mit diesem könnte man die Faschisten des FN dauerhaft dem Parlament fernhalten. Es ist aber gerade das Mehrheitswahlrecht, das die Rechtsextremisten an die Tore der Macht gebracht hat. Am Sonntag bestand die Gefahr, dass der RN mit knapp 32 Prozent der Stimmen eine absolute Mehrheit im Parlament erhalten hätte. Zwar hat der „second tour“ noch einmal seine Rolle als „garde-fou“ gespielt. Aber man sollte sich nicht täuschen: Die Gefahr bleibt bestehen. Nicht nur in Frankreich.

Das englische Beispiel zeigt die Gefahren zur Genüge. Zwar regiert hier seit einer Woche Labour, doch mit nur knapp 36 Prozent der Stimmen. Die politische Lüge, dass das Mehrheitswahlrecht politische Stabilität bringe, haben die 14 Jahre Chaos der Tory-Regierung klar widerlegt. Interessanterweise beklagen sich gerade abgewählte Tory-Vertreter aus den Londoner Außenbezirken, dass ihre Wählerschaft jetzt nicht mehr gehört werde. Genau das ist das Problem beim antidemokratischen Mehrheitswahlrecht: Es schließt Teile der Bevölkerung aus der parlamentarischen Repräsentation aus. In England, mehr noch als in Frankreich, ist es theoretisch möglich, dass mit nur 25 Prozent der Stimmen eine Partei zwischen 80 und 90 Prozent der Sitze, und somit sogar eine Mehrheit erlangen kann, die die Verfassung(-sgesetzgebung) einseitig ändern könnte. Auf genau diese Möglichkeit setzen der RN und die nicht minder faschistische Reform-Partei von N. Farage im Vereinigten Königreich, die bei den letzten Wahlen 14 Prozent der Stimmen erlangen konnte.

Und in Luxemburg? 2021weigerte sich die CSV, eine Verfassungsreform zu stimmen, die den Anteil des Mehrheitswahlrechts (die Wahlbezirke) zugunsten einer demokratischen, gerechten Vertretung des Volkes in der Kammer abgeschafft hätte – weil sie genau aus diesem System ihren Profit zieht. Und die Idee der CSV in großen Gemeinden, das Verhältniswahlrecht zugunsten des Mehrheitswahlrechts abzuschaffen, zielt in die gleiche Richtung. Dies macht für die CSV dann „Koalitionen“ mit nicht-etikettierten ADR-Vertretern möglich, wie wir sie leider schon aus kleineren Kommunen kennen.

Deutschland zeigt, dass es auch anders geht: Zwar sitzt die faschistische AfD in den Parlamenten, allerdings braucht sie Koalitionen, um an die Macht zu kommen. In diesem Fall liegt die Verantwortung bei den konservativen und rechten Parteien wie CDU/CSU und FDP. Sie müssen sich entscheiden zwischen der Zusammenarbeit mit Demokraten (Grüne oder SPD) oder den Faschisten. Aber eine absolute Mehrheit für die Rechtsextremisten gibt es nicht. Proporz bringt Extremisten in die Parlamente, Majorz bringt sie an die Macht.

fraulein smilla
15. Juli 2024 - 10.20

Das Mehrheitswahlrecht mag vieleicht nicht so ganz demokratisch sein ,besonders in den USA wo man dank Gerrymandering sich die Wahlkreise so zusammensetzen kann dass man nur noch gewinnen kann ,aber es ist ehrlicher . Labour muss sich am Ende des Tages an seinen Wahlversprechen messen lassen . Sie koennen sich nicht hinter einem Koalitionspartner verstecken nach dem Motto -Wir waren gezwungen etwas Wasser in unseren Wein zu giessen .