Die Methode Mittal

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Einen Hoffnungsschimmer gibt es noch. Auch wenn mehr als offen ist, wer denn nun die Hochöfen von Florange kaufen soll, hat die traditionsreiche lothringische Stahlindustrie – nicht zuletzt dank massiver politischer Einmischung – einen Strohhalm in Händen, nachdem ArcelorMittal das Werk fallen lässt.

Am liebsten hätte der weltweit größte Stahlproduzent keinem seiner Konkurrenten die Möglichkeit gegeben, die stillgelegten Öfen zu erwerben (die der französische Staat nun für einen symbolischen Euro übernehmen konnte). Die für die Produktionsmittel notwendige Kokerei – so ein letzter Versuch Mittals, die Zukunft des Werkes in anderen Händen zu verhindern – sollte von dem Verkauf ausgeschlossen werden. Auch diese Absicht konnte verhindert werden. Die Hochöfen stehen nun inklusive Kokerei zum Verkauf.

Robert Schneider rschneider@tageblatt.lu

Die Methode, nach der das Unternehmen – oder besser formuliert die Familie Mittal – funktioniert, wurde unlängst während des Syndikatstags Stahl des OGBL von einem Gewerkschafter (Bart Samyn, stellvertretender Generalsekretär von IndustriALL) beschrieben, der regelmäßig mit Lakshmi Mittal zusammentraf und auch auf psychologische Eigenschaften des Inders, der sich in London gern als Philanthrop produziert, verwies.

Der Miteigentümer der Queens Park Rangers, der sich mit Millionenbeträgen bei den Olympischen Spielen in seiner Wahlheimat als sportlicher Gutmensch und Fackelträger hervortun wollte, trat einst als Retter der europäischen Stahlindustrie auf und versprach noch 2008, dass alle geschlossenen Werke wieder eröffnet würden, sobald die wirtschaftliche Lage dies erlaube.

Mittal will die Nummer 1 sein

Die Kaltblütigkeit, mit der die Mittals eine Woche nach den Hundertjahrfeiern der Luxemburger Stahlindustrie (15. September 2011) die (provisorische) Schließung der Werke in Schifflingen und Rodange verkünden ließen (22. September 2011), ist besonders seit der Übernahme der Verantwortung über die Finanzen der Mittal-Gruppe durch Lakshmis Sohn Aditya gang und gäbe in dem Konzern.

Als der neue Finanzdirektor mitten in der Krise das Ziel formulierte, der Gewinn solle um eine Milliarde gesteigert werden, war Analysten bereits klar, dass dies nur durch weitere Schließungen europäischer Werke zu bewerkstelligen sei. Parallel investiert das finanziell noch gesunde Unternehmen nämlich anderswo in Rohstoffe und kauft munter Erz- und Kohleminen auf.

Während sich andere Stahlunternehmen wie Thyssen Krupp, die Mittal eine Zeit lang imitierten und statt ihre europäischen Werke auszubauen in anderen Regionen, etwa in Nordamerika, investierten, von dieser Strategie verabschiedeten und wieder erfolgreich auf europäische Qualität und Nischenprodukte setzen, versucht ArcelorMittal, seine Spitzenposition mit billiger Produktion in Niedriglohnländern zu festigen.

Zu dieser Strategie, die psychologische Züge von Größenwahn trägt, gehört es auch, lieber Werke definitiv zu schließen, als sie einem Konkurrenten zu überlassen: So gesehen in Lüttich, wo Übernahmeangebote von dem Unternehmen ausgeschlagen wurden.

Die Tatsache, dass bei wieder anziehender Konjunktur ArcelorMittal dadurch ein strukturelles Problem riskiert, dass das Gleichgewicht zwischen Rohstoffen und Produktionsmitteln nicht mehr gegeben ist, interessiert die kurzfristig, auf Quartalsbilanzen ausgerichteten Finanzstrategen um Aditya offensichtlich wenig.

Geld wird dann wohl irgendwie anderweitig zu verdienen sein. ArcelorMittal benimmt sich längst nicht mehr wie ein Industrieunternehmen, sondern wie eine Investmentbank, was nicht verwunderlich ist: Immerhin hat Aditya Erfahrungen als Investmentbanker für Zusammenschlüsse und Übernahmen bei Credit Suisse Boston gesammelt.

Emotionale Verbundenheit früherer Stahlbarone mit Regionen wie Lothringen, Wallonien oder Luxemburg ist den Mittals offensichtlich nicht nur fremd, sie würde bei deren dagobertduckschen Zielen nur stören.