Elvis lebt

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(dapd)

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Am 16. August 1977 starb Elvis Presley in seiner Villa Graceland an Herzversagen. Heute, genau 35 Jahre später, versammeln sich Tausende von Fans zu einer neuntägigen „Elvis Week“ in Memphis.

Sie gehen auf Cover-Konzerte, blicken auf Videoleinwände, besuchen das Museum, halten sogar eine Nachtwache ab und ersteigern bei einer Auktion Erinnerungsstücke ihres „King of Rock ’n’ Roll“:

Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu

Ein Plastikfläschchen leeres Antibiotikum für 5.500 Dollar, ein Büchereiausweis für 7.000 Dollar, eine eigens für Elvis angefertigte Sonnenbrille mit gelben Gläsern für 22.500 Dollar. 35 Jahre nach Elvis’ Tod steht das, was er zurückließ, höher im Kurs denn je. Der symbolische Wert seiner persönlichen Gegenstände, seine Fangemeinde (die Organisatoren der „Elvis Week“ erwarten in diesem Jahr eine Rekordzahl von Teilnehmern aus aller Welt), die Anzahl seiner verkauften Plattenträger (Very Special Edition zum 35. Todestag!): Alles wächst.

Es lebe der Kitsch, der Kommerz, die Nostalgie. Elvis Presley ist Kult. Ein Mythos, eine Ikone, eine Legende. Darin sind sich Medien- und Alltagssprache einig. Auch 35 Jahre nach seinem Tod.

Doch was heißt es, ein Mythos zu sein? Und was macht ausgerechnet Elvis Presley zum Mythos? Sicher nicht in erster Linie seine Musik. Und schon gar nicht seine Filme.

Menschen brauchen Mythen

Vielmehr war er wohl vor allem zur richtigen Zeit am richtigen Ort:

Die Fünfzigerjahre in den USA waren von einer Kultur des Aufbegehrens gekennzeichnet. Die Jugend rebellierte gegen bürgerliche Moral, gegen Hierarchien, gegen vorgegebene Ordnungssysteme. Sie wurde immer aufgeklärter und selbstbewusster, der Graben zur Generation ihrer Eltern immer tiefer. Sie identifizierte sich zunächst über die Beat-Literatur, später dann vor allem über die Musik, den Rock ’n’ Roll.

Für diese Bewegung wurde Elvis Presley zur Identifikationsfigur schlechthin: mit seinen körperbetonten, ungezügelten Bühnenauftritten, seiner markanten, beinahe drei Oktaven umfassenden Stimme und vor allem seinem Potenzial, zu polarisieren und zu spalten. Die Jugend liebte ihn, ihre Eltern wollten ihn am liebsten verbieten. Er verkörperte Freiheit, Revolte und Unabhängigkeit, er wurde zu jener Kult- und Symbolfigur, die die Bewegung zusammenhielt, ihre Grenzen absteckte und die Richtung vorgab. Elvis wurde zum Mythos, weil er als pars pro toto, als Repräsentant einer ganzen Bewegung fungierte. Und weil sein Leben sich perfekt dazu eignete, zu einer sinnstiftenden Erzählung hochstilisiert zu werden.

Er verkörperte den amerikanischen Traum vom Tellerwäscher – in seinem Fall Lastwagenfahrer – zum Millionär wie kein anderer und er lebte das Motto des Rock ’n’ Roll, „Keine Ahnung, was morgen passiert, deshalb lebe ich heute“, tagtäglich vor. Bis zu seinem Tod. Seinem mit gerade einmal 42 Jahren viel zu frühen Tod, der wiederum ordentlich zur Legendenbildung nach dem 16. August 1977 beitrug …

Die Fünfzigerjahre sind vorbei, doch Elvis blieb, bis heute. Die Scharen von Pilgern nach Graceland zeigen seine ungebrochene Popularität. Doch brauchen wir Elvis immer noch, weil uns heute Identifikationsfiguren fehlen, die das Gefühl ganzer Generationen verkörpern können? Weil wir in der aktuellen Gesellschaft keine Traumfabrikanten finden?

Oder war Elvis Presley wirklich ein so einzigartiger Künstler? Ein Genie? Und „Love Me Tender“ und „In The Ghetto“ Klassiker der Menschheitsgeschichte? Das wird sich erst in einigen Hundert Jahren sagen lassen. Bis dahin werden allerdings sicher noch so manche Special Editions für klirrende Kassen sorgen.

Der King ist tot. Es lebe der King!