Mut zur Meinung

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(AFP)

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Genau 100 Tage war es Mitte vergangener Woche her, dass François Hollande an die Spitze Frankreichs gewählt wurde. Alles in allem hat der neue französische Präsident diese „Schonfrist“ dann auch gut überstanden.

Wobei „überstanden“ wohl das falsche Wort ist, versteht man unter dem Verb doch zumeist passives Abwarten. Hollande war aber alles andere als passiv.

Tom Wenandy twenandy@tageblatt.lu

Er hat, ganz im Sinne seiner Ankündigungen und Versprechen, sofort begonnen, sein doch arg von aufeinander folgenden konservativen Regierungen gebeuteltes Land im Sinne von mehr sozialer Gerechtigkeit umzubauen. Vor allem hat er seine ersten Reformen – und darin unterscheidet Hollande sich deutlich von seinem Vorgänger – mit Ruhe und Bedacht umgesetzt. Auch wenn zum Beispiel die Kürzungen der Regierungsgehälter, die Anhebung des Mindestlohns, das bedingte Herabsetzen des Rentenalters, um nur diese Punkte zu nennen, nicht ohne Kritik oder Widerstand blieben.

Schließlich hat Hollande es auch in etwas mehr als drei Monaten fertiggebracht, dass die Europäische Union zumindest ansatzweise bereit ist, ihre bisherige, nachweislich fehlerhafte Politik zu überdenken.

Es überrascht demnach nicht, dass in ganz Europa Sozialisten und Sozialdemokraten hoffen, auf der „Hollande-Welle“ reiten und auf die eine oder andere Weise profitieren zu können. Und eigentlich stehen die Zeichen für Parteien aus dem mehr oder weniger linken Spektrum – auch dank dem Vorbild Hollande – günstiger als irgendwann in der jüngeren Vergangenheit. Schließlich haben die derzeit mehrheitlich in Europa regierenden konservativen und wirtschaftsliberalen Parteien, die traditionell in Krisenzeiten das Vertrauen der Wähler genießen, in den vergangenen Jahren bewiesen, dass sie mit ihren „klassischen“ Politikmodellen von Wirtschaftswachstum und rein materiellem Wohlstand am Ende der politischen Fahnenstange angelangt sind.

Einzig und allein darauf zu vertrauen, dass in anderen europäischen Ländern ein Linksruck dank François Hollande einsetzt, ist aber zu wenig. Ganz ein bisschen was müssen die nicht-französischen Sozialisten, alle für sich, schon dazutun. (Schon alleine deshalb, weil die Situationen in den jeweiligen Ländern zumindest nicht direkt mit jener in Frankreich zu vergleichen sind.)

„Ohne uns …“

Dies gilt auch für die LSAP, die mehrmals in den vergangenen Monaten bekundet hat, viel (auch für sich selbst) von François Hollande zu erwarten.

Trotz dieser Aussagen ist eine Veränderung in der politischen, nicht unbedingt immer sehr sozialen Marschrichtung der luxemburgischen Sozialisten aber nicht zu erkennen. „Ohne uns wäre alles noch schlimmer“, scheint weiter das Leitmotiv der Mannschaft um Vizepremier Jean Asselborn zu sein. Ob dem so ist bzw. ob dies ausreicht, um eine Regierungsbeteiligung zu rechtfertigen, wollen wir an dieser Stelle nicht im Detail diskutieren.

Vielleicht ist es ja wirklich so, dass trotz allen guten Willens, trotz aller Anstrengungen, nicht mehr „drin“ ist, dass die LSAP innerhalb der schwarz-roten Koalition weder finanz-, noch wirtschafts-, steuer-, sozial-, gesellschafts- oder umweltpolitisch mehr durchsetzen kann. Schließlich sind, egal wie man es dreht oder wendet, 26 Abgeordnetenmandate genau doppelt so viele wie 13.

Wenn dem also so ist, dann muss man sich aber die Frage stellen, warum eine LSAP als Partei ihre Fraktion blindlings unterstützt. Um es deutlicher zu formulieren: Warum stellt sich die sozialistische Partei nicht hin und erklärt – öffentlich und warum nicht mit anderen linken Verbündeten –, was sie anders machen würde, welches ihre Ziele und Ambitionen wären, wenn sie stärker in Parlament oder Regierung vertreten wäre oder sogar eine Mehrheit besäße. Eigentlich müsste es doch möglich sein, dass die Sozialisten, wenn sie als Partei eine andere Meinung vertreten als die Regierung (und laut Grundsatz- und Wahlprogramm können die Sozialisten nicht mit allem, was derzeit passiert, einverstanden sein), dies auch kritisch kundtun. Schließlich sind – rein theoretisch – Regierung (und Fraktion) eine Sache, die Partei eine ganz andere. Beide müssen aus Gründen falsch verstandener politischer Geschlossenheit nicht ein und derselben Meinung sein. Der Wähler ist sicherlich fähig, zwischen parteipolitischer und regierungspolitischer Linie (mit ihren koalitionstechnischen Einschränkungen) zu unterscheiden. Die LSAP sollte, wenn sie nicht in ihrer eigenen Profillosigkeit untergehen will, zwar ihre Politik auf Regierungsebene verteidigen, vor allem aber ob der derzeitigen Kräfteverhältnisse erklären, dass diese nicht unbedingt immer 100-prozentig mit den eigenen Zielen übereinstimmt. Und diese dann auch deutlich machen. Wenn sie denn welche hat, unabhängig von der CSV …