EnthüllungenJournalisten und Oppositionelle weltweit offenbar mit Spähsoftware überwacht

Enthüllungen / Journalisten und Oppositionelle weltweit offenbar mit Spähsoftware überwacht
Der Firmensitz der NSO Group in Herzliya bei Tel Aviv Foto: AFP/Jack Guez

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Europäische Politiker und Presseorganisationen haben empört auf Berichte reagiert, wonach Journalisten, Oppositionelle und Aktivisten in aller Welt offenbar mithilfe einer israelischen Software ausgespäht wurden.

„Wenn es stimmt, dann ist es komplett inakzeptabel“, sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Montag zu den Berichten, denen zufolge Geheimdienste und Polizeibehörden mehrerer Länder die hoch entwickelte Spähsoftware namens Pegasus nutzten, um Mobiltelefone anzuzapfen. UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet zeigte sich beunruhigt.

Eine internationale Recherchegruppe hatte zuvor ein Datenleak mit mehr als 50.000 Telefonnummern ausgewertet, die seit 2016 als Ziel möglicher Überwachung durch Kunden des israelischen Unternehmens NSO Group ausgewählt worden sein sollen. Wie viele der Anschlüsse tatsächlich gehackt oder überwacht wurden, blieb zunächst unklar. Das von der Firma entwickelte Programm namens Pegasus gilt dem Bericht zufolge unter Experten als das derzeit leistungsfähigste Spähprogramm für Handys und ist als Cyberwaffe eingestuft worden.

Pegasus ist in der Lage, infiltrierte Mobiltelefone in Echtzeit auszuspähen und die Verschlüsselung von Messenger-Diensten wie WhatsApp oder Signal zu umgehen. Die NSO Group verkauft das Programm nur an staatliche Behörden – und offiziell zum Zweck der Bekämpfung von Terrorismus und schwerer Kriminalität.

Erste Schlagzeilen machten Pegasus und NSO bereits 2016. Forscher warfen dem Unternehmen damals vor, seine Software werde zur Überwachung eines Regierungskritikers in den Vereinigten Arabischen Emiraten eingesetzt.

Zu den jetzt betroffenen Telefonnummern zählen laut den Berichten die Nummern von zahlreichen Journalisten weltweit, darunter auch Mitarbeiter der Nachrichtenagenturen AFP, Reuters und AP, der Zeitungen New York Times, Le Monde, El País und der Sender Al-Dschasira, Radio Free Europe und CNN. Insgesamt konnten demnach mehr als 180 Nummern von Journalisten ausgewertet werden.

Wie die Washington Post berichtete, standen auf der Liste auch die Nummern von Staatsoberhäuptern und Ministerpräsidenten, Mitgliedern arabischer Königsfamilien, Diplomaten und Geschäftsleuten. Wer die Auftraggeber der möglichen Ausspähungen waren, gehe aus dem Leak nicht eindeutig hervor. Das internationale Recherchenetzwerk erhielt die Liste nach eigenen Angaben von Amnesty International und der in Paris ansässigen Organisation Forbidden Stories, die sich für bedrohte Journalisten einsetzt.

Einige Länder dementieren, was sonst …

UN-Menschenrechtskommissarin Bachelet zeigte sich alarmiert über die Berichte und forderte eine strengere Regulierung des Handels und Einsatzes von Überwachungstechnologie. EU-Kommissionschefin von der Leyen forderte die Überprüfung der Enthüllungen. „Eine freie Presse ist einer der Grundpfeiler der Europäischen Union“, sagte sie in Prag.

Zu den Journalisten, auf deren Handys laut Bericht Spuren erfolgreicher Pegasus-Angriffe nachgewiesen wurden, zählen zwei Reporter des ungarischen Investigativmediums Direkt36 – sie seien offenbar im Visier staatlicher Stellen gewesen. Ungarns Regierung wies den Vorwurf zurück. „Die Regierung hat keine Kenntnis von einer derartigen Datensammlung“, sagte Außenminister Peter Szijjarto. Der ungarische Geheimdienst nutze die betreffende Software „überhaupt nicht“.

Die marokkanische Regierung betonte, sie habe „niemals Computersoftware erworben, um Kommunikationsgeräte zu infiltrieren“.

Zu den Ländern, aus denen Telefonnummern auf der Liste auftauchen, gehören neben Ungarn und Marokko vor allem Staaten wie Aserbaidschan, Bahrain, Kasachstan, Mexiko, Ruanda, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. (AFP)