Paris„Die Strahlkraft nutzen“: Missionschef Marc Kiefer über die Paralympics 2024

Paris / „Die Strahlkraft nutzen“: Missionschef Marc Kiefer über die Paralympics 2024
Marc Kiefer (l.) stand Tom Habscheid im Stade de France als Coach zur Seite Foto: Luxpress/Jean-Claude Ernst

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Die Paralympics in Paris sind am Sonntagabend mit der großen Abschlussfeier im Stade de France zu Ende gegangen. Für Luxemburg waren es rundum gelungene Spiele. LPC-Missionschef und Sportdirektor Marc Kiefer blickt im Gespräch mit dem Tageblatt unter anderem auf die Medaille von Tom Habscheid zurück und spricht über die Herausforderungen auf dem Weg zu LA 2028.

Tageblatt: IPC-Präsident Andrew Parsons hat bei der Abschlussfeier von „den spektakulärsten Spielen aller Zeiten“ gesprochen. Wie haben Sie die Paralympics in Paris empfunden?

Marc Kiefer: Es waren sicherlich sehr großartige Spiele. Ich tue mich aber ein bisschen schwer damit, einen Vergleich zu ziehen mit anderen Spielen, weil alle ihren eigenen Charakter haben. Man kann Paris nicht mit Tokio vergleichen, weil das, was die Spiele jetzt so besonders gemacht hat, die Fans, in Tokio nicht da sein konnte wegen der Pandemie. Es ist so, dass in der Geschichte der Paralympischen Spiele 2012, was Zuschauerresonanz und mediale Resonanz etc. betrifft, einen Wendepunkt markiert hat. Der Parasport wurde danach immer mehr als Hochleistungssport anerkannt. Und die Zuschauer erkennen diese Leistung mittlerweile an. Das Thema Behinderung ist logischerweise präsent, weil die Sportler ein Handicap haben. Aber es stehen vor allem ihre Leistungen im Vordergrund. Persönlich habe ich vieles, was um die Spiele passiert ist, aus den Medien aufgenommen. Als Missionschef hat man eben das Pech, dass man Missionschef ist. Die Zeit, um das ganze Flair der Paralympics mitzubekommen, war sehr knapp. Der Hauptteil meiner Arbeit spielte sich im Dorf ab. Es drehte sich alles um das Thema Akkreditierungen und die Organisation, beispielsweise der Trainings. Da Toms Heimtrainer nicht vor Ort war, habe ich ihn auch bei seinen Trainings so gut es ging begleitet.

Wie haben Sie Tom Habscheid in den Tagen vor seinem Wettbewerb und seiner Medaille erlebt?

Sein Wettbewerb war ziemlich am Ende der Spiele. Das war ein bisschen komisch. Andere Teams – und wir selber auch – waren schon im Begriff, die Abreise zu planen, aber eigentlich ging es dann erst richtig los. Das kann einen Athleten nervös machen. Tom reiste schon einen Tag vor der Eröffnungsfeier an und hat dann die ganze Periode vor Ort verbracht. Er hat das aber sehr gut gemacht. Er war sehr fokussiert auf das, was er täglich zu tun hatte. Trainieren, essen, ausruhen, physiotherapeutische Maßnahmen wahrnehmen und trotzdem irgendwie entspannt bleiben. Das ist ihm extrem gut gelungen. Ich habe versucht, ihn darin zu unterstützen und ihn keinen Druck spüren zu lassen. 

Da waren 80.000 Zuschauer. Tom ist ein Athlet, der das extrem mag. Er hat das Publikum auch immer wieder animiert, aber ist danach wieder direkt in den Fokus gekommen.

Marc Kiefer, über den Medaillenabend von Tom Habscheid

Wie nervenaufreibend war der Abend selbst im Stadion?

Ich war nicht als Zuschauer, sondern als sein Coach im Stadion. Ich habe mich auf ihn fokussiert und habe auch die Weiten der Gegner verfolgt, um ihm dann die Informationen zu geben, die er haben wollte. Ansonsten hatte ich auch da das Gefühl, dass er sehr fokussiert war. Er hat sich nicht irritieren lassen. Was für ihn toll war, ist, dass das Stadion ausverkauft war. Da waren 80.000 Zuschauer. Tom ist ein Athlet, der das extrem mag. Er hat das Publikum auch immer wieder animiert, aber ist danach direkt wieder in den Fokus gekommen. Dieses Publikum gibt es maximal alle vier Jahre, ansonsten hat man diese Zuschauerzahlen im paralympischen Sport nicht. Das dann für sich nutzen zu können, ist toll. Ein Teil davon zu sein, war auch für mich unglaublich schön.

Katrin Kohl war schon ein paar Tage davor im Einsatz. Sie hat den 13. Platz gemacht und war selbst mit ihrer Zeit (20,39 Sekunden) nicht ganz zufrieden. Wie bewerten Sie ihren Auftritt?

Wenn man sich die Zeiten der Konkurrenz ansieht – das Finale wäre mit unter 17 Sekunden erreichbar gewesen –, wäre das rein von den Trainingsergebnissen her, die sie zuvor geliefert hatte, nicht möglich gewesen. Deswegen war das Ziel, eine persönliche Bestleistung zu erreichen, das richtige Ziel. Das hat sie leider um über eine Sekunde verpasst. 

Wie fällt die globale Bilanz nach den Spielen aus?

Die Bilanz ist durchweg positiv. Die Organisation war sehr gut – es war alles nahezu perfekt gestaltet. Auch vom sportlichen Abschneiden konnten wir nicht mehr erwarten. Tom hat die erste Medaille seit 40 Jahren für uns gewonnen. Deswegen ist auch die sportliche Bilanz durchweg positiv. Zwei Sachen, die noch sehr positiv sind, sind die mediale Präsenz und aus meiner Sicht auch die Präsenz des Großherzogs und der Großherzogin. Sie haben uns Mut gemacht für die Spiele und waren sowohl bei Katrins als auch bei Toms Wettbewerb dabei und auch bei der Eröffnungsfeier. Das Gleiche gilt für den Sportminister. Dazu gab es am vergangenen Sonntag noch einen Empfang in der Residenz des Botschafters in Paris auf Einladung des Premierministers Luc Frieden, der ebenfalls nach Paris kam. Diese Resonanz war, soweit ich das beurteilen kann, einmalig. Wir sind ein kleines Land, dass wir überhaupt zwei Sportler entsenden konnten, ist schon ein Erfolg. Jetzt haben wir auch sportlich sehr positiv abgeschnitten – und man redet darüber. Das ist für uns ein voller Erfolg. Wir wollen die Strahlkraft jetzt nutzen, um weitere strukturelle Fortschritte zu erzielen, um dann auch bei den kommenden Paralympics in LA erfolgreich antreten zu können.

Mein Wunsch wäre, dass wir personell, strukturell und auch finanziell noch mal ein paar Schritte machen können

Marc Kiefer, blickt auf LA 2028 voraus

Vor den Spielen hatten Sie gesagt, es würde darum gehen, „möglichst viele Menschen zu begeistern“ und die Sichtbarkeit des Parasports in Luxemburg zu erhöhen. Wurden diese Ziele Ihrer Meinung nach erreicht?

Es ist schwierig, das in Zahlen zu belegen. Meiner Wahrnehmung nach ist es aber gelungen. Wir stehen zwar nicht im Kontakt mit der generellen Bevölkerung, aber ich denke schon, dass wir begeistert haben. Es haben auch viele Fans den Weg nach Paris gefunden. Wir haben immer wieder Anfeuerungsrufe von Luxemburgern im Stadion gehört. Das fing schon bei der Eröffnungsfeier an und ich glaube schon, dass der Funke da übergesprungen ist und mit diesem Erfolg auch Menschen mit der paralympischen Bewegung in Kontakt kommen, die das vorher gar nicht so richtig wahrgenommen haben.

Man sagt bekanntlich „nach den Spielen ist vor den Spielen“. Wie geht es nach Paris 2024 weiter?

Wir müssen jetzt in die Analyse gehen. Es ist relativ klar, dass für Tom nach seinen dritten Spielen definitiv Schluss ist. Wir müssen jetzt prüfen, in welchen Sportarten und mit welchen aktuellen, aber auch potenziellen Athleten wir die Qualifikation angehen wollen. Dann werden auch neue Sportarten in LA dazukommen. Welche genau, wird erst nächstes Jahr bekannt gegeben. Eine Möglichkeit ist das Sportschießen, wo wir im Paratrap mit Steve Nothum auch einen in der Weltrangliste sehr gut platzierten Athleten haben. Aber da ist eben noch die Frage, ob diese Disziplin in LA paralympisch sein wird. Und wenn diese Fragen geklärt sind, müssen wir Strukturen etablieren und weiterentwickeln, damit unsere Athleten erfolgreich die Qualifikation bestreiten können. Mein Wunsch wäre, dass wir personell, strukturell und auch finanziell noch mal ein paar Schritte machen können. Leistungssport kostet eben auch Geld und braucht gute, qualifizierte Personen, die unsere Athleten begleiten und fördern. In Paris haben wir jetzt gesehen, wie andere Länder aufgestellt sind. Und da sind wir meiner Meinung nach noch nicht derart aufgestellt, dass wir sagen können, dass wir innerhalb dieser paralympischen Leistungssportwelt die gleichen Bedingungen haben wie Sportler, die im Ausland gefördert werden.