RadsportIvan Centrone über sein Karriereende: „Habe mich krank gefühlt, obwohl ich es nicht war“

Radsport / Ivan Centrone über sein Karriereende: „Habe mich krank gefühlt, obwohl ich es nicht war“
Ivan Centrone fuhr seit Saisonbeginn für Global 6 United Foto: Editpress/Luis Mangorrinha

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Mit 28 Jahren hat sich Ivan Centrone dazu entschieden, seine Radsportler-Karriere zu beenden. Bei den Landesmeisterschaften am 23. Juni in Harlingen hat er sein letztes Rennen bestritten. Im Tageblatt-Interview blickt er auf seine Radsportjahre zurück und redet offen über die Gründe seines frühen Karriereendes. 

Tageblatt: Ivan Centrone, Sie haben das letzte Rennen Ihrer Karriere hinter sich. Wie fühlt sich das an?

Ivan Centrone: Ich muss sagen, es ist komisch. Meiner Meinung nach könnte ich noch weiterfahren. Physisch wäre ich in der Lage, noch ein paar Jahre konstante Leistungen zu bringen. Es ist schon traurig. Früher oder später kommt aber immer das letzte Rennen. Bei mir ist es ein wenig früher als gewohnt. Für mich ist das schon emotional. 

Sie sind 28 und noch vergleichsweise jung, um eine Radsportler-Karriere zu beenden. Was sind Ihre Gründe?

Vor zwei Jahren ist die ganze Misere losgegangen, als mein Vertrag beim Team Roubaix nicht verlängert wurde. Ich bin in einem kleineren Kontinental-Team (Geofco-Doltcini Matériel Velo.com) gelandet und die Bedingungen in diesen Teams sind oft schwierig. In Roubaix ging es nur ums Radfahren. Da kamst du einen Tag vor dem Rennen nur mit deinem Koffer in der Hand an. Das Rad war da, die Massage war bereit – du musstest dich nur aufs Rad setzen, fahren, essen und schlafen. Bei anderen Konti-Teams muss man viel mehr selbst machen. Selbst irgendwie zum Rennen anreisen, Hotels finanzieren, nach dem Material schauen. Das macht müde. 

Ich habe alles gegeben, was ich hatte, und jetzt bin ich am Limit angekommen

Ivan Centrone

Seit diesem Jahr sind Sie für Global 6 gefahren. Wie zufrieden sind Sie mit dem Team gewesen?

Es wird so gut es geht gespart. Material und Hotels wurden vom Team geregelt, aber wir haben oft in Hotels zu dritt oder zu fünft in einem Zimmer geschlafen. Da wird es schwer mit der Erholung. Mit Professionalität hat das in diesem Jahr nichts zu tun. Es sind viele Dinge im Team passiert, die einen Schritt nach hinten bedeuten. Das Problem in der Kontinental-Welt ist Folgendes: Der Radfahrer ist ein Typ, der alles dafür geben würde, eine Chance zubekommen. Man bekommt nicht immer eine Chance, internationale Rennen zu fahren. Die Konkurrenz ist groß. Und um diese Möglichkeit zu erhalten, haben viele Radsportler das Motto „Augen zu und durch“. Das krasseste Beispiel ist das Team Visma Lease a Bike. Die investieren jeden einzelnen Cent in Details. Wir kommen hingegen zu Rennen und haben nicht mal eine Massage. Wir haben in dieser Saison genau zwei Trikots und zwei Hosen bekommen. Man sagt, ein guter Zeitfahr-Anzug macht eine Sekunde pro Kilometer aus. Bei der Tour of Malopolska (2.2) wurde ich beim Prolog Dritter mit 1,5 Sekunden Rückstand bei 2 Kilometern. Wenn ich einen guten Anzug gehabt hätte, hätte ich vielleicht gewonnen. Dieses Detail macht den Unterschied. Das ist eine große Problematik. Wenn es in diesem Jahr ein Fahrer aus dem Team Global 6 in den Profibereich schafft, dann sage ich nichts mehr. Dann lag es vielleicht an mir. Aber ich glaube nicht, dass das möglich ist. 

Ivan Centrone im Trikot vom Team Differdange, als er ein regionales Rennen in Dommeldingen gewann
Ivan Centrone im Trikot vom Team Differdange, als er ein regionales Rennen in Dommeldingen gewann Foto: Editpress/Luis Mangorrinha

Konnten Sie problemlos, mitten in der Saison, Ihre Karriere beenden?

Es ist genau wie bei einer normalen Arbeit. Wenn du zu einem Zeitpunkt entscheidest, dass du aufhören möchtest, dann geht das. Es sind Dinge in diesem Jahr passiert, die mich an die Grenze gebracht haben. Viele Details machen am Ende ein gutes Resultat aus. Es fängt bei der Kleidung an und hört bei der Unterstützung im Rennen auf. Seit Anfang des Jahres haben wir keinen Pfleger bei Rennen dabei. Bei Etappenrennen wurden wir nicht massiert. Es gab viele Dinge, die nicht gut waren. Ich bin seit zwei Jahren wirklich mit den Kontinental-Teams am kämpfen. Ich möchte aber auf keinen Fall mit dem Finger auf jemanden zeigen; ich bin dankbar, dass diese Teams mir die Möglichkeit gegeben haben, internationale Rennen zu fahren. Aber die Bedingungen sind so schlecht, dass es für mich keinen Wert mehr hat, das noch so weiterzumachen. 

Ich bin seit einigen Jahren unter diesen Bedingungen am Fahren. Schon länger kämpfe ich damit. Es hat mich krank gemacht, ich habe mich nicht mehr wohlgefühlt und war drei Jahre lang unglücklich. Ich habe alles gegeben, was ich hatte, und jetzt bin ich am Limit angekommen. Ich fühle mich leer, ich kann mich unmöglich noch motivieren. Für mich ist das alles sehr hart, aber ich sage: Ich habe lieber den Sport beendet, bevor der Sport mich beendet. Ich war nicht mehr ich selbst, auch zu Hause nicht. Ich habe mich krank gefühlt, obwohl ich es nicht war. Für meine Gesundheit ist es besser, das alles sein zu lassen.

Ist es ein befreiendes Gefühl, nun mit dem Radsport fertig zu sein?

Ich habe bis zur letzten Sekunde daran geglaubt, Profi zu werden. Ich bin jetzt an einem Punkt angekommen, an dem es nicht mehr weitergeht. Ich habe nicht das Gefühl, erleichtert zu sein. Eher bin ich froh, nichts mehr mit dem Konti-Schlamassel zu tun zu haben. Es ist einfach bitter, diesen Traum nicht zu Ende fahren zu können. Ich hätte gerne die Erfahrung gemacht, eine Grand Tour oder ein Monument zu fahren. Bei der Tour de la Guadeloupe 2023 wurde ich mit jedem Tag besser und hatte am letzten Tag die beste Leistung meines Lebens. Wer weiß, was ich bei 21 Tagen Rennen hätte zeigen können.

An was erinnern Sie sich besonders gerne?

Die zehn Jahre waren eine Reise. Ich habe oft von null angefangen. Ich habe ein internationales Rennen gewonnen (Etappensieg bei der Tour de la Guadeloupe 2022), habe Trikots bei großen Rennen in Frankreich getragen und bin auf Podien gefahren. In einer Sportlerkarriere geht es aber nicht immer nur um Leistung, da brauchst du auch Glück. Oder sagen wir, dass man zumindest kein Unglück braucht. 2021 bin ich gestürzt, das hat den Lauf meiner Karriere gedreht. Davon habe ich mich nie wirklich erholt. Nach der OP (eine Arterie verlängerte sich mit der Zeit, dies musste in der zweiten Saisonhälfte 2021 operiert werden). Ich habe meinen Job gemacht, aber es hat ein Team, ein Manager oder irgendjemand gefehlt, der mein Talent erkennt und mir die Möglichkeit gibt. Für mich ist das Buch zu, aber die letzte Seite nicht fertig geschrieben. Meine Geschichte ist nicht zu Ende. Aber ich trotzdem stolz auf das, was ich geleistet habe.

Bereuen Sie Entscheidungen in Ihrer Karriere?

Ich würde sagen, dass ich zu lange in Differdingen gewesen bin. Nicht, dass es nicht das richtige Team war. Aber für meine Entwicklung wäre es besser gewesen, in ein anderes Umfeld zu gehen. Raus aus der luxemburgischen Komfortzone. Wenn ich etwas ändern könnte, dann würde ich nach der Saison 2016 ein anderes Team suchen. 

Wie geht es nun für Sie weiter?

Ich habe mehrere Optionen. Coaching würde mich wirklich interessieren. Ich bin eine energievolle Person und kann Energie gut übertragen. Ich weiß, wie es ist, als Sportler eine harte Zeit zu haben, und habe viele Erfahrungen in Sachen Muskulatur, Ernährung oder in mentalen Aspekten. Sollte das nicht klappen, hat mein Bruder mehrere Restaurants. Er wird noch ein weiteres Konzept eröffnen: eine Art Spielplatz, wo man amerikanisch essen und bowlen kann. Das könnte ich mit managen. Und falls ich noch Studien nachholen will, kann ich mich bis September einschreiben. 

Werden Sie noch aufs Rad steigen?

Vielleicht werde ich ein paar Fahrten mit meiner Freundin machen. Aber sicher werde ich keine Amateurrennen mehr fahren. Vielleicht fange ich mit Fußball an, in der zweiten oder dritten Division. Ein Teamsport mit Ball ist noch mal was ganz anderes, als alleine raus mit dem Rad zu fahren. 

Wie würden Sie Ihre Radsport-Karriere abschließend beschreiben?

Ich würde es mit einem Buch vergleichen. Das Buch ist interessant zu lesen, aber es gibt kein Happy End und die letzte Seite ist offen. Ich bin trotzdem stolz auf die Person, die ich geworden bin. Wenn man sich in Luxemburg nur ein wenig mit Radsport auskennt, dann kennt man meinen Namen. Ich war, glaube ich, immer nett zu den meisten, habe viel gute Energie mitgebracht, aber habe eben die Geschichte nicht so beendet, wie ich es gewollt hätte. Aber so ist das im Leben. Es ist oft unfair. Damit muss man umgehen können. 

Steckbrief

Name: Ivan Centrone
Geboren: 17. September 1995
Teams: 2015-2019 Team Differdange Losch (LUX/Continental Tour), 2020-2021 Roubaix Lille Metropole (FRA/CT), 2022-2023 Matériel Velo.com (BEL/CT), 2024 Global 6 United (LUX/CT)
Größte Erfolge: Etappensieg bei der Tour de la Guadeloupe 2022 (2.2), 3. Platz beim Gemenc Grand Prix II (1.2), 6. der Gesamtwertung der Tour de la Guadeloupe 2022