Serie: Para-Sportler im FokusPara-Radsportler Amsal Redzepovic: „Das bedeutet für mich die absolute Freiheit“

Serie: Para-Sportler im Fokus / Para-Radsportler Amsal Redzepovic: „Das bedeutet für mich die absolute Freiheit“
Vor kurzem hat der Athlet an einem 40-Kilometer-Rennen rund um Brüssel teilgenommen Foto: Pierrot Feltgen

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Amsal Redzepovic hat die Liebe zum Radsport im Rehazentrum entdeckt. Nach mehreren Beinoperationen musste er viel Zeit in der Reha verbringen, wo er oft auf dem Spinningrad saß. Mittlerweile ist der 23-Jährige so weit, dass er von den Paralympics 2028 in Los Angeles träumt. 

Meteolux hatte für Montagabend eine Gewitterwarnung herausgegeben, mit möglichem Starkregen und Hagel. Ein junger Radfahrer nutzt, zusammen mit seinem Trainer, beide im Dress von Velo Woolz, die letzte trockene Stunde in den frühen Abendstunden zum Techniktraining. Auf dem Parkplatz oberhalb des Wiltzer Campings dreht Amsal Redzepovic mit seinem Tricycle Runde um Runde, übt die Kurven im abschüssigen Gelände, immer mit einer gewissen Vorsicht, damit das schwere Sportgerät nicht umkippt, ehe es wieder bergauf geht und der Sportler kräftig in die Pedale treten muss.

Für den 23-jährigen Redzepovic ist dieses Training nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit. Die Wiltzer Einwohner erinnern sich noch an die Zeiten, als der heutige Sportler kaum gehen konnte und auf Hilfsmittel wie Rollator angewiesen war, um sich fortzubewegen. Vor zehn Jahren waren Operationen an seinen Beinen vonnöten, um ihm ein in etwa normales Gehen zu ermöglichen. Ein langer Prozess begann, mit anderthalb Jahren Rehabilitation im Rehazentrum. „Ich musste von null auf beginnen, um wieder zu lernen, zu gehen“, sagt Redzepovic heute.

Mit Wettbewerbscharakter

Bedingt durch seine Zerebralparese ist die rechte Körperseite geschwächt. „Ich brauche eben länger Zeit beim Fortbewegen und habe auch Probleme mit dem Gleichgewicht.“ Im Rehazentrum begann ein neues Leben. „Sport hat mich schon immer interessiert, aber jetzt wurde er Bestandteil meines Alltags. Und ich fand wahres Vergnügen am Radfahren. So oft wie nur möglich saß ich auf dem Spinningrad.“ Dank der von den Physiotherapeuten initiierten Organisation „Back to Sport“ kam der junge Mann in Kontakt mit dem Sport. Das Fahrrad übte sofort eine gewisse Anziehungskraft auf den jungen Wiltzer aus. Die ersten Versuche fanden im Rehacenter auf Spinningrädern statt, Starts bei Triathlons folgten.

„Es ist jedoch schwierig, gleich drei Sportarten zu betreiben und zu trainieren. Meine Freude am Radfahren war ungebrochen und der Leistungsaufwand passt besser zu meinem Handicap.“ So wurde der Kontakt zum Luxembourg Paralympic Committee (LPC) und dem lokalen Verein in Wiltz hergestellt. Seit 2020 ist er Mitglied des LPC, seit vergangenem Jahr ist er auch Teil des lokalen Wiltzer Fahrradvereins und hat schon einige Rennen bestritten. Er startete unter anderem bei Zeitfahrrennen auf einem Rundkurs in Belgien (Mettet, 11 Kilometer) und in den Niederlanden (Zolder, 16 Kilometer). „Leider gibt es nur sehr wenige Wettbewerbe, wo ich Erfahrungen sammeln kann. Ich möchte wissen, wo ich mich gegenüber möglichen Konkurrenten klassiere.“ Jede Rennmöglichkeit wird also genutzt, unter anderem ein 40-Kilometer-Rennen kürzlich rund um Brüssel. Aber Velo Woolz gibt auch ihm die Gelegenheit, sich im Rennmodus zu beweisen, beispielsweise vor einigen Wochen bei einem Event in Binsfeld.

Sprungbrett zur Arbeitswelt

Neben den wöchentlichen drei bis vier Trainingseinheiten über zweieinhalb Stunden mit Techniktraining sind solche Wettbewerbe auch opportun, um zu zeigen, dass ein Handicap nicht im Gegensatz mit Rennen steht. „Es ist wichtig, den Leuten, die Paracycling nicht kennen, zu zeigen, dass man Rennen bestreiten kann. Zu dieser Demonstration hatte der Verein andere Fahrer aus Deutschland eingeladen.“

Während seiner langen Rehabilitationszeit konnte Redzepovic dank Privatstunden im Rehazenter seinen Schulabschluss erreichen. Anschließend gestaltete sich die Arbeitssuche jedoch schwierig, bis der Sport ihm zu einer Stelle verhalf. „Bei einem Triathlon von ,Back to Sport‘ war ich in einem Team mit der Präsidentin vom ,Wonschstär‘, die mir dann einen Job in dieser Vereinigung angeboten hat.“ Seit nun fünf Jahren ist er bei „Wonschstär“ in Vollzeit als Sekretär tätig. Eine Stelle, die ihm wie auf den Leib geschneidert ist. Der junge Paracycler liebt den Kontakt zu anderen Menschen und ist redegewandt. Somit ist er auch in der Öffentlichkeitsarbeit der Vereinigung, wie bei Schecküberreichungen oder in Schulen, im Einsatz. „Es macht mir eine große Freude, zu helfen, Wünsche anderer Leute zu erfüllen, denen es nicht so gut geht. Ich kann mir momentan kein besseres Leben vorstellen. Außerdem ist der Sport auch eine Hilfe zum Abschalten nach dem Arbeitsalltag.“

Eine klare Botschaft

Kein Wunder, dass heute Fahrradfahren das höchste Gefühl für Amsal Redzepovic bedeutet, der jetzt stetig seine Wattwerte steigert. „Fahrradfahren bedeutet für mich die absolute Freiheit. Hier verliere ich komplett den Gedanken, dass ich eine Einschränkung habe.“ Eine Tatsache, die sein Trainer und Begleiter mit dem Rad, Fernand Theisen, ebenfalls Präsident von Velo Woolz, nur bestätigen kann. „Da die Straße viel zu gefährlich ist, benutzen wir hauptsächlich den Radweg in Richtung Bastogne. Wir fahren mittlerweile Strecken von 50 Kilometer in knapp zwei Stunden. Und das Schöne daran ist, dass Amsal Landschaften sieht, die vorher für ihn unerreichbar waren.“

Redzepovics Botschaft ist klar: „Fahrradfahren ist zu einer Routine in meinem Alltag geworden. Nach ein oder zwei Tagen ohne Training bemerke ich, dass mir etwas Wichtiges fehlt. Da ich eine große Freude am Radfahren verspüre, gebe ich immer 100 Prozent. Ich möchte anderen Beeinträchtigten vermitteln, dass man, egal, welches Handicap man hat, Sport treiben kann und so ein Stück Freiheit und Anerkennung erreicht.“ Da es momentan noch an Events mangelt, ist es schwer einschätzen, was international für den motivierten Wiltzer in Zukunft möglich ist.

„Mein Ziel ist es, gute Zeiten zu fahren und eventuell an den Paralympics 2028 in Los Angeles teilzunehmen. Ich arbeite jedenfalls hart in diese Richtung. Augenblicklich ist es jedoch noch zu früh, um zu wissen, ob ich es dorthin schaffen werde. Immerhin betreibe den Sport ja erst richtig seit zwei Jahren. Aber ich bin überzeugt, dass ich es schaffen werde.“ Ob Amsal Redzepovics Ambitionen von Erfolg gekrönt sein werden, werden die nächsten Jahre offenbaren. Sein Traum lebt auf jeden Fall weiter. Sicher ist, dass er seine Freiheit auf seinem Tricycle nicht mehr hergeben wird.

Serie: Para-Sportler im Fokus

Anlässlich des 50-jährigen Bestehens des LPC (Luxembourg Paralympic Committee) und der Paralympics 2024 in Paris beschäftigt sich das Tageblatt in einer monatlichen Serie mit den verschiedensten luxemburgischen Para-Sportlern. Nach dem sehbehinderten Judoka Roberto Lomba (18. April), den Tischtennisspielern Philippe Hein und Matteo Scuto (16. Mai) und dem Leichtathleten Massimo Saputo (20. Juni) wird heute der Fahrradfahrer Amsal Redzepovic vorgestellt. 

Steckbrief

Amsal Redzepovic
Geboren am
14.9.2000
Wohnhaft in Wiltz
Beruf: Sekretär
Startklasse: T2
Verein: Velo Woolz, Back to Sport
Verband: LPC