ParisTom Habscheid will bei den Paralympics seine Dämonen besänftigen

Paris / Tom Habscheid will bei den Paralympics seine Dämonen besänftigen
Im August stieß Tom Habscheid in Beles seine Saisonbestleistung von 14,94 Metern Foto: Editpress/Fernand Konnen

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Tom Habscheid hatte eigentlich schon einen Schlussstrich unter seine Karriere gezogen. Für die Paralympics in Paris ist der Kugelstoßer aber noch einmal auf das internationale Parkett zurückgekehrt. Denn mit den Paralympischen Spielen hat er noch eine Rechnung offen. Diese will der 38-Jährige am Samstag (20.25 Uhr) begleichen und damit seine Dämonen besänftigen.

Tom Habscheid muss kurz schmunzeln, dann sagt er: „Ja, diese Logik gefällt mir.“ Bei den Paralympischen Spielen 2016 in Rio wurde er Siebter, fünf Jahre danach in Tokio Vierter. Geht es in gleichen Schritten weiter, würde bei den Paralympics 2024 in Paris der erste Platz herausspringen. So gern der 38-Jährige diese Vorstellung auch mag, schiebt er gleich hinterher: „Ganz so einfach ist es aber nicht.“

Habscheid hatte seine Sportkarriere nach den Spielen 2021 in Tokio eigentlich schon beendet, für Paris 2024 ist er aber noch einmal auf das internationale Parkett zurückgekehrt. Denn mit den Paralympics hat er noch eine Rechnung offen. Habscheid war vor drei Jahren in Japan mit Medaillenhoffnungen angetreten, musste sich am Ende aber mit dem undankbaren vierten Platz zufriedengeben. Edelmetall hatte er mit einer Weite von 13,92 Metern gerade mal um 21 Zentimeter verpasst. Was den ambitionierten Sportler auch drei Jahre später noch beschäftigt, ist, dass er damals seine Leistung an dem so wichtigen Tag nicht abrufen konnte. „Es war nicht der Knaller. Ich wusste bereits vor Tokio, dass ich in dem Jahr aufhören will. Weil das Ergebnis richtig scheiße war, ist es mir dann leichtgefallen“, blickt er zurück. „Ich habe auch jetzt noch Wut im Bauch.“

Comeback ein hartes Stück Arbeit

Diese trug auch dazu bei, dass er sich jetzt, drei Jahre später, für ein Comeback entschied. „Es gab drei Gründe“, sagt Habscheid: „Erstens: Ich muss meine Dämonen besänftigen. Zweitens: Paris ist sehr nah. Und drittens: Ich habe noch eine Rechnung mit den Paralympischen Spielen offen.“ In der französischen Hauptstadt will er einen versöhnlichen Abschluss seiner Karriere finden. „Ich muss mein Ego befriedigen“, so der Kugelstoßer. „Ich muss eine gute Leistung bringen. Mein Ego, meine Dämonen, wollen, dass ich das mache – also mache ich das.“

Eine gute Leistung setzt der 38-Jährige allerdings nicht mit einer Platzierung oder einer Medaille gleich. Die offene Rechnung mit den Paralympics will er in erster Linie mit einer guten Weite begleichen. „Meine Leistung muss an dem Tag stimmen. Wenn ich in Paris einen Versuch von 15 Metern raushaue und drei vor mir stoßen 15,10 – dann werde ich eben Vierter und kann trotzdem zufrieden sein. Dann ist für mich alles gut“, so Habscheid. „Wenn die Leistung aber schlecht ist, bin ich nicht zufrieden. Das war bei mir schon immer so. Ich will, dass die Leistung stimmt – ob jetzt eine Medaille dabei herausspringt oder auch nicht. Ich will eine gute Weite schaffen. Alles andere wäre ein Bonus.“ Mit 14,80 Metern in Paris würde sich der Luxemburger im Vorfeld zufriedengeben, seine Saisonbestleistung liegt bei 14,94.

Tom Habscheid nimmt zum dritten Mal an Paralympischen Spielen teil
Tom Habscheid nimmt zum dritten Mal an Paralympischen Spielen teil Foto: Editpress/Luis Mangorrinha

Hinter dieser Distanz verbirgt sich seit Habscheids Comeback ein hartes Stück Arbeit. Zwar hat er während seiner dreijährigen Pause weiter Kraftsport gemacht, jedoch kein spezifisches Techniktraining. „Dank des Kraftsports habe ich nicht an Muskelmasse abgenommen. Das war kein großer Impakt“, erklärt er. „Die Technik ist zudem wie Fahrradfahren. Man verliert sie nicht, wenn man das so lange wie ich gemacht hat. Sie musste nur wieder geschliffen werden.“ Das größte Problem sei die Explosivkraft gewesen. „Die war komplett weg“, so Habscheid. „Daran habe ich am meisten arbeiten müssen. Das hat mich auch richtig Zeit und Nerven gekostet. Es hat mich im Mai, Juni verrückt gemacht, weil ich zu dem Zeitpunkt einfach nicht weitergekommen bin.“ Erst nach einem Trainerwechsel im Juli mit neuen Impulsen lief es besser. „Zu komplexe Übungen in dem kurzen Zeitraum waren nicht möglich“, sagt Habscheid. „Wir konzentrierten uns nur auf das Nötigste, um weit zu stoßen – und daran arbeiteten wir mit Qualität.“ 

Form besser als in Tokio

Über den Sommer hat sich Habscheid dann immer weiter gesteigert. „Beim internationalen Meeting in Schifflingen habe ich Ende Juli 14,24 Meter gestoßen. Das war ok, aber es war bei meinen Versuchen noch kein Ausreißer nach oben dabei.“ Es hat noch an Details gehapert. „Ich war zu schnell und die Technik in den Beinen hat geschlafen“, erklärt Habscheid. „Es verging anschließend ein guter Monat, in dem ich viel trainiert habe. Dann kam das Abschiedsmeeting von Bob (Bertemes). Eine Woche davor habe ich im Training 14,50 gestoßen – da habe ich gemerkt, dass es mit dem richtigen Druck im Wettbewerb klappen könnte. Dann sind die 14,94 zustande gekommen. Seitdem komme ich immer besser klar.“

Ich will, dass die Leistung stimmt – ob jetzt eine Medaille dabei herausspringt oder auch nicht

Tom Habscheid, über seine Ziele in Paris

Mittlerweile sei die Form sogar besser als vor drei Jahren in Tokio. „Damals war ich vor den Spielen noch im Trainingslager auf Teneriffa – und ich war nicht so gut drauf wie jetzt. Ich habe auch im Training nicht so weit gestoßen wie jetzt. Mich nach drei Jahren wieder so in Form zu bringen, war harte Arbeit. Es hat aber geklappt, worauf ich sehr stolz bin.“

Im Vorfeld von Paris hat Habscheid diesmal auf ein Trainingslager verzichtet. Er ist in seiner Wohlfühlzone geblieben. „Ich war zu Hause, habe gearbeitet und mich um meine Familie gekümmert“, sagt er. „Ich hatte zwar eine Woche Urlaub, um mich ein bisschen mehr aufs Training zu konzentrieren. Ansonsten bin ich aber in meiner Routine geblieben, ganz gemütlich zu Hause. Ich habe mich nicht gestresst.“ Die Vorbereitung sei gut verlaufen. „Für den Wettkampf müsste ich jetzt on point fit sein.“

Leistung und Spaß kombinieren

In Paris sind neun Athleten in der zusammengelegten Kugelstoß-Kategorie F42 und F63 am Start. Nach den ersten drei Stößen bekommen die besten acht drei weitere Versuche, ehe der Sieger feststeht. „Die Konkurrenz ist stark“, sagt Habscheid, der in der F63-Klasse mit 15,10 Metern den Weltrekord hält. „Es sind viele neue junge Sportler dabei, die richtig gut sind. Es gab noch nie ein solch enges Line-up. Das wird eine wilde Geschichte.“ Am Start sind unter anderem der Sieger von 2021, Aled Davies (GB), und der Dritte Faisal Sorour (KUW). Mit seiner Saisonbestleistung gehört aber auch Habscheid in der französischen Hauptstadt zu den Medaillenkandidaten.

Davon wissen will er selbst nichts. „Ich will Spaß haben und genießen“, sagt er. „Natürlich möchte ich gleichzeitig auch meine Leistung bringen. Es muss eine anständige Mischung sein.“ Den Wettbewerb geht er ohne Druck an. „Früher war ich zu sehr auf Leistung getrimmt. Es hat zwar oft funktioniert, aber in den letzten drei Jahren, in denen ich mehr Kraftsport gemacht habe, habe ich mich zum intuitiven Athleten entwickelt. Wenn man Spaß hat und die Dinge einfach laufen lässt, dann klappt es auch mit der Leistung.“

Nach Paris wird er dann – hoffentlich mit besänftigten Dämonen – einen endgültigen Schlussstrich unter seine internationale Karriere ziehen.

Steckbrief

Tom Habscheid
Geboren am
11. August 1986
Sportart: Para-Leichtathletik (Kugelstoßen)
Verein: C.A. Düdelingen
Startklasse: F63
Persönliche Bestleistung: 15,10 Meter (Weltrekord in der Klasse F63)
Paralympics-Teilnahmen: 3 (Rio 2016, Tokio 2021, Paris 2024)