EMÜber Wolfsgruß und anderes Übel: Die missbrauchte EM

EM / Über Wolfsgruß und anderes Übel: Die missbrauchte EM
Die österreichischen Fans präsentierten ein Banner mit der Aufschrift „Defend Europe“ (im Hintergrund) – ein Slogan der Identitären Bewegung Foto: dpa/Soeren Stache

Der Wolfsgruß des Türken Merih Demiral schlägt weiter hohe Wellen. Generell hat die Fußball-EM mit Missbrauch zu kämpfen.

Der deutsche Konter ließ nicht lange auf sich warten. Nach der Einberufung seines Botschafters in Ankara bestellte das Auswärtige Amt am Donnerstag den türkischen Abgesandten zum Rapport ein. Dass nun sogar der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nach Berlin kommt, macht aus dem Wolfsgruß-Eklat bei der Fußball-EM endgültig eine diplomatische Affäre. Die rechtsextreme Geste des türkischen Nationalspielers Merih Demiral war allerdings nur der vorläufige Tiefpunkt einer Endrunde, die seit ihrem Beginn als Bühne für Nationalismus und ähnliches Übel missbraucht wird.

Schon beim Eröffnungsspiel sollen deutsche „Fans“ den Hitlergruß gezeigt haben. Slowenen präsentierten das als rechtsextreme Zeichen geltende Keltenkreuz. Österreicher sangen „Ausländer raus“, nutzten den rechten Code des Songs „L’amour toujours“ von Gigi D’Agostino und zeigten ein Banner mit der Aufschrift „Defend Europe“ – ein Slogan der Identitären Bewegung.

Albaniens Stürmer Mirlind Daku stimmte anti-mazedonische und -serbische Gesänge an. Albaner wurden zudem auffällig, als sie gemeinsam mit Kroaten „Tötet den Serben“ riefen. Serben wiederum präsentierten eine Landkarte inklusive des seit 2008 unabhängigen Kosovo. Die Europäische Fußball-Union (UEFA) reagierte mit Sperren und Geldstrafen auf das hässliche Gesicht dieser EM.

Erdogan schaltet sich ein

Im Fall Demiral, der den Wolfsgruß beim 2:1 im EM-Achtelfinale gegen Österreich gezeigt hatte, ermittelt die UEFA noch. Mittels einer Petition wird bereits der EM-Ausschluss des Doppeltorschützen gefordert. Als Gastgeber der Europameisterschaft „wünschen wir uns, dass Sport verbindet“, kommentierte das Auswärtige Amt bei X die Einbestellung des türkischen Botschafters, Details zu den Gesprächen wurden aber nicht genannt.

Fast zeitgleich schaltete sich Erdogan ein. Das Präsidialamt kündigte eine kurzfristige Reise Erdogans in die deutsche Hauptstadt an, wo er der Nationalmannschaft am Samstag im Viertelfinale gegen die Niederlande den Rücken stärken will.

Für die deutsche Bundesinnenministerin Nancy Faeser ist der Fall rund um den Wolfsgruß als Symbol der rechtsextremen Grauen Wölfe klar. „Es ist eine rechtsextremistische Geste – und die hat in deutschen Stadien nichts zu suchen“, sagte die SPD-Politikerin: „Die Grauen Wölfe werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Wir haben sie fest im Blick. Unsere Behörden gehen dagegen vor. Das ist die richtige juristische Herangehensweise.“

Die Grauen Wölfe gelten als militanter Arm der rechtsextremen türkischen Partei MHP. Die Gruppe vertritt radikale Ideen und wandte in der Vergangenheit Gewalt gegen linke Aktivisten und ethnische Minderheiten an. In Deutschland soll es mindestens 12.000 Anhänger der Gruppierung geben.

Appelle gegen rechts

Die türkische Regierung sieht indes nichts Verwerfliches. Dagegen sei „die Reaktion der deutschen Behörden gegenüber Herrn Demiral selbst fremdenfeindlich“, ließ das Außenministerium wissen und sprach von einem „historischen und kulturellen Symbol“, das sich gegen „niemanden“ richte. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) bewertete den Gruß auf X allerdings völlig anders: „Seine Botschaft ist rechtsextrem, steht für Terror, Faschismus.“

Rechtsextremismus, Faschismus, Nationalismus – all dem wollten die EM-Organisatoren durch eine bunte EURO eigentlich entgegenwirken. Turnierdirektor Philipp Lahm betonte immer wieder, dass die Menschen zusammengebracht werden sollen, um „unsere gemeinsamen Werte zu feiern“.

UEFA-Boss Aleksander Ceferin peilte ein Turnier an, „das als Vorbild für Demokratie, Respekt, Toleranz und Menschenrechte“ gelten sollte. Der Slowene wollte weder „Hass noch Diskriminierung“ bei der Endrunde sehen. Auch zahlreiche Protagonisten wie der französische Superstar Kylian Mbappé oder Österreichs Trainer Ralf Rangnick machten mobil gegen rechte Ideologie.

All die Appelle konnten allerdings nicht verhindern, dass die EM zum Spiegelbild der Gesellschaft wurde. In weiten Teilen Europas sind rechte Parteien auf dem Vormarsch. Das hat auch bei der EM dazu geführt, dass sich Rechtsextremisten ermutigt fühlen, ihre Anschauungen ungeniert zu präsentieren.

Gerade im Fall des Wolfsgrußes wollen das die demokratischen Parteien in Deutschland aber nicht akzeptieren. In einer gemeinsamen Stellungnahme verurteilte der „Parlamentskreis Kurdisches Leben“, dem Bundestagsabgeordnete von SPD, FDP, Grüne, Linken und CDU angehören, die Geste scharf und erhöhte mit Blick auf ein Verbot der Grauen Wölfe den Druck auf Faeser.